Beinahe jeder neue amerikanische Präsident, der ins Weiße Haus einzieht, ist fest entschlossen, alle vermeintlichen Fehler seines Vorgängers rückgängig zu machen. Auch wenn die Kontinuität in der US-Außenpolitik weitaus größer ist als gemeinhin zugegeben, brennt die neue Führungsriege oftmals darauf zu zeigen, dass mit ihr neue Zeiten anbrechen. Donald Trump ist ein besonders anschauliches Beispiel für diese Tendenz. Vier Jahre nach seinem Amtsantritt betont er noch immer mit großem Nachdruck, wie sich sein Weltverständnis von dem seiner Vorgänger unterscheidet.

Sollte Joe Biden im Januar 2021 das Amt übernehmen, wird dieser Impuls noch stärker sein als sonst, weil Trumps Amtszeit anders war als alle Präsidentschaften vor ihm. Nichts eint die Beamten, die unter Biden für die nationale Sicherheit zuständig wären, mehr als ihre Abneigung gegen Trumps Außenpolitik. Angesichts der vielen Fehlentscheidungen, die Trumps Regierung sich geleistet hat, tendieren die Experten in beiden politischen Lagern zu einer Neuausrichtung der US-Außenpolitik, die sich von Trumps transaktionalem und eigennützigem Politikstil lossagt und zu einer traditionelleren Haltung zurückkehrt. Biden stellte bereits in Aussicht, dass er im Fall seiner Wahl all jenen, die nach den vier turbulenten Jahren der Ära Trump verunsichert sind, rasch ein „Wir sind wieder da“-Signal senden werde. Sein Team stünde unter enormem Erwartungsdruck, dem amerikanischen Volk und der Welt zu beweisen, dass es rasche Veränderungen herbeiführt.

Dennoch täte eine künftige Biden-Administration gut daran, die eine oder andere von Trumps Hinterlassenschaften für sich zu nutzen, statt sie über Bord zu werfen – unter anderem eine Neufokussierung auf andere Themen als jene, die noch vor wenigen Jahren das außenpolitische Denken bestimmten, und sogar einige Teile von Trumps Außenpolitik. Vor allem aber würde die Trump-Administration dem Nachfolger eine ganze Reihe von Einflussmöglichkeiten vererben. Diesen einmaligen Vorteil, der sich nur kurze Zeit bietet, sollte eine neue Regierung sinnvoll nutzen.

Auch wenn er sich nach Kräften bemüht, bei so gut wie allen Themen die Unterschiede zwischen sich und seinem Gegner deutlich zu machen, hat Biden erklärt, einige der wichtigsten Neuerungen der Trump-Ära übernehmen zu wollen. Er befürwortet einen stärkeren Wettbewerb mit China sowie eine Außenpolitik, die stärker auf die US-Mittelschicht ausgerichtet ist. Er unterstützt Trumps USA-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA), das das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA ablöst, und würde den Rückzug aus dem Krieg in Afghanistan weiter vorantreiben. Sein Team scheint die neue Nationale Verteidigungsstrategie, das US-Militär für ein Zeitalter der Großmachtrivalitäten neu aufzustellen, im Grundsatz zu befürworten. Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass ein Präsident Biden die US-Botschaft von Jerusalem wieder nach Tel Aviv zurückverlegen, die Strafzölle gegen China sofort aufheben oder die Regierung der Ukraine zur Rückgabe der von den Vereinigten Staaten gelieferten Waffen auffordern würde.

Eine künftige Biden-Administration täte gut daran, die eine oder andere von Trumps Hinterlassenschaften für sich zu nutzen.

Doch selbst in den vielen Bereichen, in denen Biden und sein Team grundlegende Veränderungen anstreben, könnte es für ihre Bemühungen eher hilfreich als hinderlich sein, sich die eine oder andere Trump’sche Hinterlassenschaft zu eigen zu machen. Neben so manchem politischen Kurswechsel hat Trump in den vergangenen vier Jahren beträchtliche Einflussmöglichkeiten auf Gegner und Verbündete gewonnen. Bestimmte Druckmittel (leverages) haben alle US-Präsidenten eingesetzt, um auf internationaler Ebene ihre Ziele zu erreichen – oft mit Hilfe von moralischen Appellen, persönlichen Beziehungen, öffentlichen Aufrufen und anderen Mitteln.

Trump jedoch hat mit seiner transaktionalen Denkweise die Nutzung des eigenen Machtpotenzials über andere Instrumentarien gestellt. Dabei ging er oft unklug vor, erzielte aber große Wirkung. Mit seiner Vorliebe für Sanktionen und protektionistische Maßnahmen hat er China, Iran, Venezuela und andere Länder unter Druck gesetzt. Mit seiner scharfen Kritik an den Verbündeten und der Drohung, die Sicherheitsgarantien aufzukündigen, versetzte Trump die Länder in Angst, die zu wenig in die Verteidigung investieren. Mit seinem Rückzug aus wichtigen multilateralen Abkommen bewirkte er, dass die übrigen Mitgliedstaaten sich mehr als zuvor wünschen, die Vereinigten Staaten mögen ihnen wieder beitreten.

Es geht nicht darum, ob diese Entscheidungen kluge Schachzüge im Interesse der nationalen Sicherheit waren: Meist waren sie es nicht; einige waren sogar grenzwertig katastrophal. Doch mit solchen Aktionen hinterlässt Trump einer möglichen Nachfolgeregierung ein Kapital, das sie für sich nutzen kann, wenn sie das außenpolitische Chaos ihres Vorgängers beseitigt. Dieses Machtpotenzial sollte eine neue Regierungsmannschaft nutzen, wenn auch zu ganz anderen Zwecken.

Die meisten Experten für nationale Sicherheit würden Trumps Buch Die Kunst des Erfolges nicht gerade zu den Grundlagentexten ihres Arbeitsgebiets zählen, aber in dem Buch findet sich eine hilfreiche Begriffsklärung: „Machtpotenzial“ (leverage), so heißt es dort, „bedeutet, dass man etwas hat, was der andere will oder – noch besser – braucht oder – das ist am allerbesten – auf das er unmöglich verzichten kann.“ Ein Ziel der neuen Biden-Regierung wäre der Neustart und Neuaufbau der internationalen Beziehungen. Dabei sollte sie sich von Verlässlichkeit, einer international engagierten Einstellung und multilateralem Denken leiten lassen und zugleich einen klaren Blick dafür haben, wann sie ihre von Trump hinterlassenen Einflussmöglichkeiten geltend machen sollte.

Die meisten Experten für nationale Sicherheit würden Trumps Buch Die Kunst des Erfolges nicht gerade zu den Grundlagentexten ihres Arbeitsgebiets zählen.

Eine neue Regierung hätte mehrere Möglichkeiten, ihr Machtpotenzial gegenüber amerikanischen Gegnern einzusetzen. Das Atomabkommen mit dem Iran zum Beispiel enthält sogenannte „Sunset-Klauseln“ (Ablaufklauseln), deren Stichtag näher rückt, und weitere verbesserungsbedürftige Regelungen. Die Trump-Regierung stellte ihre Versuche ein, mit europäischen Ländern ein Nebenabkommen auszuhandeln, mit dem das Vertragsverhältnis hätte gestärkt werden können – ein weiteres Beispiel dafür, wie man Einflussmöglichkeiten gewinnt, indem man damit droht, aus dem Abkommen auszusteigen und es dadurch zum Scheitern bringt, dass man einen Rückzieher macht, bevor die Verhandlungen ausgereizt sind.

Mit ihrem Ausstieg zwangen die USA Europa, auf Ausweichlösungen zurückzugreifen, während Teheran sich gegen Änderungen am geltenden Abkommen sperrt. Vor dem Hintergrund, dass die ganze Welt darauf hofft und wartet, dass die USA dem Abkommen wieder beitreten, könnte eine neue US-Regierung ihren maximalen Einfluss eher vor dem Wiederbeitritt als danach geltend machen. Sie sollte ihn nutzen, um sowohl beim Iran als auch bei den europäischen Parteien zu sondieren, welche Verbesserungen möglich wären, statt bloß einem unveränderten Abkommen wieder beizutreten.

Auch die gegen China verhängten Zölle sind ein wichtiger Machtfaktor. Sie dienen weitgehend falschen Zielen – nämlich unter anderem dazu, dass Handelsdefizite abgebaut und mehr Waren gekauft werden, die in den Swing States (den Wechselwählerstaaten) produziert oder angebaut werden. Der nächste Präsident sollte anbieten, die Zölle im Gegenzug für Verbesserungen in anderen Problemfeldern aufzuheben, die für die USA wichtiger sind, wie dem Diebstahl geistigen Eigentums, erzwungenen Technologietransfers und die diskriminierende Behandlung von US-Unternehmen in China. Würden die USA die Zölle aufheben, ohne von der Gegenseite Zugeständnisse einzufordern, so würden sie ihren Vorteil ohne Not aus der Hand geben und dem äußerst transaktionsfreudigen Peking die Chance geben, sich als Gewinner zu fühlen und den Ton für die künftigen Beziehungen vorzugeben.

Gegenüber den Verbündeten stehen auch einer Regierung, die von ihnen als freundlicherer und verlässlicherer Partner wahrgenommen werden will, andere Druckmittel zur Verfügung. Trump hat sich auf diejenigen NATO-Mitglieder eingeschossen, die weniger als zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben, und darauf versteift, dass Südkorea und Japan sich stärker an den Kosten für die Stationierung von US-Truppen in ihren Ländern beteiligten. Keines dieser beiden Anliegen ist ein sonderlich aussagekräftiger Gradmesser für den Stellenwert einzelner Verbündeter. Eine neue Regierung täte besser daran, ihre Partner dazu zu ermuntern, die Modernisierung der Verteidigung zu forcieren, in Nischenfähigkeiten zu investieren, die die militärische Arbeitsteilung zwischen den Verbündeten fördern, statt Doppelstrukturen zu schaffen und sich an Einsätzen wie Antiterrormaßnahmen im Nahen Osten und in Afrika oder maritimen Operationen in asiatischen Gewässern zu beteiligen.

Wenn eine neue US-Regierung mit einem politischen Wunschzettel an befreundete Länder in Europa, Südostasien, Lateinamerika und anderswo herantreten will, sollte sie frühzeitig anfragen.

Gleichzeitig sollte eine neue US-Regierung die Verbündeten beruhigen – aber nicht so sehr, dass deren Trittbrettfahrerinstinkte geweckt werden. Die erwartete Kürzung des US-Verteidigungshaushalts und die Tatsache, dass sich die Vereinigten Staaten noch stärker auf den indopazifischen Raum fokussieren, ist ein wirksames Druckmittel, um auf Lastenteilung zwischen den Verbündeten zu drängen. Wenn die USA ihre militärischen Ressourcen zunehmend auf eine Region fokussieren, werden Sicherheitslücken entstehen, die von den Bündnispartnern geschlossen werden können.

Die nächste Regierung sollte entsprechende Erwartungen formulieren und die Bündnispartner auffordern, einen größeren Teil der Lasten zu schultern. Anders als Trump sollte sie jedoch nicht den Bündnispartnern so lange in den Ohren liegen, bis sie mehr zahlen, sondern eine umfassendere Strategie aufbauen, die den Blick auf neue Bedrohungen mit einer angemessenen Lastenaufteilung verbindet.

Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf andere Partner werden sich aus den Erwartungen ergeben, die andere Staaten an eine neue US-Regierung stellen. Saudi-Arabien zum Beispiel wird sich auf weitaus frostigere Beziehungen einstellen müssen. Eine flexible Annäherung an Riad würde bedeuten, die Saudis nicht einfach zu isolieren, sondern Riads Anliegen dafür zu nutzen, um die Beziehungen neu zu beleben – mit dem Ziel, den Krieg im Jemen zu beenden und das rücksichtslose Vorgehen der Saudis zu stoppen, das unter anderem zur Ermordung von Jamal Khashoggi, zur Entführung von Saad Hariri und zur Blockade Katars führte.

Selbst die weltweiten Hoffnungen auf eine wiederbelebte Führungsrolle der USA können Vorteile bringen, weil ausländische Staats- und Regierungschefs mit den Vereinigten Staaten an einem Tisch sitzen wollen. Wenn eine neue US-Regierung mit einem politischen Wunschzettel an befreundete Länder in Europa, Südostasien, Lateinamerika und anderswo herantreten will, sollte sie frühzeitig anfragen.

Die außenpolitischen Einflussmöglichkeiten könnten sich innenpolitisch als nützlich erweisen, weil sie die Chance bieten, nicht nur Vorteile von ausländischen Parteien zu erwirken, sondern auch Akteuren im Inland Sicherheit zu geben. Der Wiederbeitritt der Vereinigten Staaten zum Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) zum Beispiel ist vor allem für die elf nach Trumps Rückzug verbliebenen Unterzeichnerstaaten eine verlockende Perspektive. Der Beitritt zum Abkommen würde den USA einen besseren Zugang zu wichtigen Märkten verschaffen und ihnen helfen, den Handel zu diversifizieren, seine Chinalastigkeit abzubauen und zu signalisieren, dass die USA in Asien wirtschaftlich wieder eine führende Rolle übernehmen. Biden hat die Möglichkeit angedeutet, das Abkommen neu zu verhandeln und anschließend zu unterzeichnen.

Druckmittel, mit denen sich gute Ergebnisse herbeiführen lassen, sollte man lieber nutzen als verschwenden.

Auch wenn es im Wahlkampf immer wieder heißt, ein solcher Kurs sei undenkbar, sollte die nächste Regierung den Wiederbeitritt anbieten und dafür Änderungen einfordern, die das Abkommen der Kongressmehrheit schmackhafter machen würden – zum Beispiel zusätzliche Regelungen zur Währungsmanipulation und modifizierte Bestimmungen zu den Ursprungsregeln. Ähnliches gilt für das Atomabkommen mit dem Iran, das die Republikaner nach wie vor ablehnen. Auch hier ist denkbar, dass Änderungen an dem Abkommen so manchen bewegen könnten, einer überarbeiteten Version zuzustimmen.

Wenn eine neue US-Regierung diesem Ansatz folgt, würde das in vielen Punkt bedeuten, dass sie vom Vorgänger geschaffene Druckmittel einsetzt, die für einen neuen Präsidenten höchst anstößig wären: Einschüchterung von Verbündeten, Rückzug aus multilateralen Abkommen, Protektionismus. Und doch sind diese Druckmittel nun einmal da – um entweder eingesetzt oder verspielt zu werden. Doch Druckmittel, mit denen sich gute Ergebnisse herbeiführen lassen, sollte man lieber nutzen als verschwenden.

Einerseits Machtpositionen zu nutzen – wie auch immer sie zustande gekommen sind – und andererseits ein  Zeichen für einen neuen Führungsstil in den USA setzen zu wollen, muss kein Widerspruch sein. Einflussmöglichkeiten können in einer solchen Kampagne durchaus ein nützliches Hilfsmittel sein. Ein Maßnahmenkatalog, der die USA stärkt, indem er die von Trump ererbten Einflussmöglichkeiten nutzt, wird die Vereinigten Staaten zu einer leistungsfähigeren globalen Führungsmacht werden lassen, die auch im Inneren mehr Rückhalt für eine expansive globale Rolle erfährt. Im Gegenzug können die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten in aller Welt Vorteile verschaffen und ihnen helfen, gemeinsam auf eine Reihe großer Herausforderungen zu reagieren. Ein solcher klarer Blick für die eigenen Interessen kann der Motor für eine US-Außenpolitik unmittelbar nach Trump sein, die sich auf den Weg zur Erneuerung macht.

Aus dem Englischen von Christine Hardung

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