Seit Donald Trumps Amtsantritt im Januar blickt die Welt gespannt auf die Aussicht eines Waffenstillstands in der Ukraine. Der Grund liegt auf der Hand: Mit einem US-Präsidenten, der sich eher als Vermittler denn als Unterstützer der Ukraine versteht, schien erstmals die Chance greifbar, den Status quo aufzubrechen und das Blutvergießen zu beenden.
Wirksame Kriegsdiplomatie erfordert das richtige Maß an Einfluss – Zuckerbrot und Peitsche – gegenüber den jeweils richtigen Akteuren sowie klaren Zeitdruck. Diesen erzeugte Trump zunächst durch das Versprechen schneller Ergebnisse, später dann durch die – letztlich folgenlose – Drohung, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen. Doch das Belohnen und Bestrafen ist ihm misslungen, weil er die Peitsche gegen das angegriffene Land schwang und sich das ganze Zuckerbrot für den Angreifer aufsparte. Trump wetterte gegen die Ukraine, gab ihr die Schuld am Krieg und fror zeitweise die Militärhilfe ein – während er für Russlands Präsident Wladimir Putin lobende Worte fand.
Das Ergebnis: Seit Trumps Wahlsieg im November ist die Welt substanziellen Verhandlungen keinen Schritt nähergekommen. Zwar gab es viele Signale: Moskau zeigte sich trumpfreundlich, Kiew gesprächsbereit und Europa suchte die Nähe zu Washington. Es wurde sehr viel Pendeldiplomatie betrieben. Doch all das waren weniger Schritte in Richtung Frieden als vielmehr Versuche, den amerikanischen Präsidenten zu umwerben. Ziel war es nicht, den Krieg zu beenden, sondern Trump auf die eigene Seite zu ziehen – und zu verhindern, dass er zur anderen überläuft.
Dass Trumps Mission ein schwieriges Unterfangen werden würde, war von Anfang an klar. Die harte Realität ist, dass es für Russland und die Ukraine kaum Anreize gibt, die Kampfhandlungen einzustellen. Der Kreml hat eine Kriegswirtschaft aufgebaut, die es ihm ermöglicht, weiterzukämpfen – und die es schwer macht, damit aufzuhören. Die Ukraine wiederum ist nicht gewillt, Abstriche an ihrer Souveränität hinzunehmen, und ist mit ihrer Armee nach wie vor stark genug, um sich wirksam zu verteidigen. Aus diesen Gründen ist ein Waffenstillstand in der Ukraine derzeit unmöglich.
Die Freunde der Ukraine im Westen sind seit Langem uneins darüber, welche Ziele Russland tatsächlich verfolgt.
Die Freunde der Ukraine im Westen sind seit Langem uneins darüber, welche Ziele Russland tatsächlich verfolgt. Einige glauben, Putin verfolge eine begrenzte Agenda und werde sich mit begrenzten Erfolgen zufriedengeben. Nach dieser Logik wäre der Hunger des Kreml etwa dann gestillt, wenn die besetzten Teile der Ukraine als rechtmäßiges russisches Territorium anerkannt würden und wenn eine Garantie erfolgte, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt.
Andere sind entschieden anderer Meinung. Sie befürchten, dass ein beschwichtigender Kurs gegenüber Putin diesen nur zusätzlich ermutigen würde. Der russische Präsident, so ihre Einschätzung, strebe die Kontrolle über die gesamte Ukraine an, deren Existenz als eigenständiger Staat mit seiner Vorstellung von der historischen Rolle Russlands unvereinbar sei. Als Beleg verweisen sie auf Putins vor dem Krieg veröffentlichten Aufsatz „Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“, in dem er die Ukraine als keine eigenständige Nation, sondern als widerspenstiger Teil Russlands bezeichnete, der wieder unter Moskaus Oberhoheit gestellt werden müsse. Auch in seinen Überlegungen zu möglichen Friedensgesprächen betont Putin immer wieder, jede Einigung müsse eine Lösung für die „tiefer liegenden Ursachen des Konflikts“ enthalten – sprich: die Souveränität der Ukraine beseitigen.
Manche westliche Politiker können diese Einschätzung zwar nachvollziehen, argumentieren jedoch, je länger sich der Krieg hinziehe, desto schwächer werde die Position der Ukraine – und desto wahrscheinlicher werde es, dass sie sich am Ende werde ergeben müssen. Daher solle sie besser jetzt eine schlechte Einigung akzeptieren als später eine noch schlechtere. Diese Auffassung vertritt offenbar auch Donald Trump. „Sie haben die Karten nicht in der Hand“, sagte er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar.
Dieser Gedankengang mag rational erscheinen, verkennt jedoch das Blatt, das die Ukraine tatsächlich auf der Hand hat. Gewiss – es könnte besser sein. Doch das Land befindet sich nicht in einer derart verzweifelten Lage, dass es die Partie schon jetzt verloren geben müsste. Die Ukraine setzt darauf, dass Europa sie vor möglichen dramatischen Veränderungen im Kriegsverlauf bewahren werde, die sich aus einer nachlassenden militärischen Unterstützung durch die USA ergeben könnten. Außerdem weiß sie: Die Lage an der Front ist nicht so düster, wie oft behauptet wird. Im Dezember 2023 kontrollierte Russland rund 109 000 Quadratkilometer ukrainischen Staatsgebiets. Bis Dezember 2024 stieg diese Zahl nur geringfügig auf 112 950 Quadratkilometer. Seither ist die Größe der von Russland besetzten Gebiete nahezu konstant geblieben. Ende Mai hatte Russland wenig mehr als 113 050 Quadratkilometer unter seiner Kontrolle.
Aufmerksame Beobachter der Nachrichtenlage lesen regelmäßig Meldungen, wonach die russische Armee Dorf um Dorf, Quadratkilometer um Quadratkilometer einnimmt. Doch bei nüchterner Betrachtung ergibt sich ein anderes Bild: Das Land, das angeblich alle Trümpfe in der Hand hält, hat in den vergangenen 16 Monaten lediglich 4 270 Quadratkilometer zusätzlich unter seine Kontrolle gebracht – bei einer Gesamtfläche der Ukraine von über 603 000 Quadratkilometern. Anders gesagt: Der von Russland besetzte Anteil des ukrainischen Staatsgebiets ist von Ende 2023 bis heute lediglich von rund 18 auf etwa 19 Prozent gestiegen. Entsprechend überzeugt ist Kiew davon, genügend Zeit zu haben, um die eigene Position sowohl diplomatisch als auch militärisch zu stärken.
Natürlich gibt es neben Russlands Geländegewinnen weitere Faktoren, die das Kalkül der Ukraine verändern könnten – etwa ein glaubwürdiges Umschwenken Moskaus auf begrenztere Ziele. Auch könnte sich Kiew bewegen, wenn Europa die wegfallenden US-Waffenlieferungen nicht kompensiert und die ukrainische Luftabwehr kollabiert, weil keine amerikanischen PAC-3-Abfangraketen mehr eintreffen. (Solche Raketen zählen womöglich zu Trumps wichtigsten Druckmitteln.) Zugeständnisse kämen für Kiew auch dann in Betracht, wenn die zivile Infrastruktur noch stärker zerstört wird. Das weiß auch Putin – und deshalb lässt er derzeit so viele Drohnen und Raketen einschlagen wie nie zuvor.
Obwohl die russische Armee keine entscheidenden Durchbrüche erzielt, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Putin von seinen absolutistischen Zielen abrückt.
Bislang jedoch hält die ukrainische Luftabwehr stand. Europa hat neue militärische Unterstützung angekündigt und investiert verstärkt in die eigene Rüstungsproduktion. Und obwohl die russische Armee keine entscheidenden Durchbrüche erzielt, gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Putin von seinen absolutistischen Zielen abrückt. Aus diesem Grund wird es Trump – ebenso wie jedem anderen – kaum gelingen, die Ukraine zu einem Deal zu drängen, den sie als unvorteilhaft empfindet und bei dem sie befürchten muss, dass Russland sich ohnehin nicht daran halten wird.
Trumps Fehlschläge in der Ukrainefrage bedeuten keineswegs, dass seine Russlandpolitik sicherheitspolitisch irrelevant wäre. Dadurch, dass der Präsident Moskau umgarnt und sich parallel von Europa abwendet, wird der Kontinent gezwungen, unabhängiger zu werden und die eigene Bevölkerung viel größeren Gefahren auszusetzen. Die europäischen Staaten sind dabei, ihre Armeen zu stärken und die Rüstungsindustrie auf eine solidere Basis zu stellen, aber das geht nicht schnell genug, um den eigenen Bedürfnissen und denen der Ukraine gerecht zu werden. Trump erklärt, er werde nicht aus der NATO aussteigen. Doch angesichts seiner offen zur Schau gestellten Feindseligkeit gegenüber Europa und des allgemeinen Rückzugs der USA aus internationalen Konflikten fällt es schwer, sich vorzustellen, dass amerikanische Soldatinnen und Soldaten künftig für Europa ihr Leben riskieren.
Insgesamt macht diese Kombination von Faktoren für Putin den Gedanken verlockend, einen NATO-Verbündeten in Europa anzugreifen. Anders als im Fall der Ukraine ginge es ihm dabei zunächst nicht darum, das angegriffene Land zu unterwerfen, sondern Europas Schwäche offenzulegen und zu demonstrieren, dass es mit der kollektiven Sicherheitsgarantie der NATO nicht weit her ist. Die kommenden Jahre könnten für Putin das Zeitfenster sein, um ein Stück NATO-Territorium zu erobern, bevor Europa seine Verteidigungsdefizite schließt und Trump durch einen US-Präsidenten ersetzt wird, dem der Kontinent nicht gleichgültig ist.
Moskau wiederum ist in der Lage, eine neue Front zu eröffnen und gleichzeitig den Krieg gegen Kiew fortzusetzen. An den Grenzen zu Finnland und Norwegen baut Russland seine Militärpräsenz aus – ähnlich wie im Frühjahr 2021 an der ukrainischen Grenze. Hinzu kommt ein zunehmend aggressives Auftreten in der Ostsee. Erst kürzlich kündigte Moskau gemeinsam mit Belarus groß angelegte Militärübungen an.
Sollte der Preis für russisches Öl dauerhaft einbrechen und damit der Kriegswirtschaft die finanzielle Grundlage entziehen, könnte Putin seine Haltung zum Krieg womöglich überdenken.
Putin hat bewiesen, dass er bereit ist, seinem Volk Härten in einem Ausmaß zuzumuten, das für die meisten Nationen kaum vorstellbar ist – um seine militärischen Ziele zu erreichen. Er pflegt enge Beziehungen zu China, während im Lager der Ukraine-Unterstützer Uneinigkeit über Russlands strategische Endziele herrscht. Seine Wirtschaft hat er auf Kriegsbedingungen umgestellt. Es ist daher durchaus möglich, dass Putin sich darauf vorbereitet, mehrere Kriege unterschiedlicher Größenordnung gleichzeitig zu führen.
Europa hat eine Reihe von Sanktionen gegen Moskau verhängt, die politisch und finanziell nützlich sind, um Russland von Aggressionen abzuschrecken. Doch auch wenn die Europäische Union sich über jede neue Restriktion freut – aus eigener Kraft kann sie die russische Kriegsmaschinerie nicht lahmlegen. Dass der Block inzwischen entschiedener gegen die Schattentankerflotte vorgeht, mit der Russland die Sanktionen umschifft, ist ermutigend, wird aber den Preis für russisches Öl nicht weit genug nach unten treiben, um eine wesentliche Veränderung zu bewirken.
Sollte der Preis für russisches Öl dauerhaft einbrechen und damit der Kriegswirtschaft die finanzielle Grundlage entziehen, könnte Putin seine Haltung zum Krieg womöglich überdenken. Ein solcher Einbruch lässt sich jedoch nur mit Unterstützung der USA erreichen, denn sie verfügen über den nötigen Einfluss auf den Weltmarkt. Washington müsste härtere Sanktionen gegen Russland verhängen und zugleich Saudi-Arabien als eines der größten Förderländer sowie Indien als einen der größten Abnehmer russischen Erdöls zum Mitziehen bewegen. Voraussetzung für eine solche Koalition wäre, dass China sich nicht einmischt. Dafür müsste unter anderem klar kommuniziert werden, dass es nicht um das Ende Russlands, sondern um das Ende des Krieges geht. Aufgrund seiner engen Beziehungen sowohl zu Washington als auch zu Peking scheint Riad am besten positioniert, um einen solchen diplomatischen Vorstoß zu unternehmen.
All das ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Zwar verschärft Trump inzwischen seinen Ton gegenüber Putin, doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass er zu entschlossenen Maßnahmen bereit wäre. Auch Indien und Saudi-Arabien haben wenig Interesse daran, sich in diesem Ausmaß gegen den Kreml zu stellen. Im Klartext heißt das: Putin wird mit dem Ölgeschäft weiterhin genug verdienen, um den Krieg zu finanzieren. Möglicherweise nicht nur den in der Ukraine.
Das Zeitalter des Friedens in Europa scheint vorbei zu sein. Eine Fortsetzung des Krieges in der Ukraine ist weitaus wahrscheinlicher als sein baldiges Ende. Putin hat keinen Grund, nachzugeben, und Selenskyj hat keinen, aufzugeben – denn für den ukrainischen Präsidenten steht fest: Eine Teilabtretung würde früher oder später den vollständigen Verlust des Landes bedeuten. Unter diesen Voraussetzungen ist der Waffenstillstand für ihn nicht das Licht am Ende des Tunnels, sondern das eines entgegenkommenden Zuges. Der Tod ist die einzige Gewissheit im Leben. Trump und andere mögen ihre Meinungen und Strategien ändern – doch die Europäer müssen jetzt das Tempo erhöhen: bei der Unterstützung Kiews und bei der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Es ist das Beste, was sie in dieser Lage tun können.
© Foreign Affairs
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld