Wie konnten sie nur? Am Wochenende haben die 28 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einvernehmlich die italienische Außenministerin Federica Mogherini zur neuen EU-Außenbeauftragten ernannt. Die Bestätigung im Europäischen Parlament steht noch aus, doch schon hagelt es Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ zwar verlauten, sie „freue sich auf die Zusammenarbeit“. Doch andere waren weit weniger gnädig.
„Was sich die europäischen Staats- und Regierungschefs dabei gedacht haben, ist, unter dem Aspekt von Kompetenz und Krisenerfahrung, offen gesagt schleierhaft“, meint etwa Klaus-Dieter Frankenberger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von einer „schwachen Person“ spricht die Stuttgarter Zeitung, während Mogherini bei der Neuen Züricher schlicht als „außenpolitischer Grünschnabel“ firmiert.
Kopfschütteln aber nicht nur in der deutschsprachigen Presse: Thomas Wright senkt für die renommierte Brookings Institution in Washington D.C. den Daumen. Und – angesichts der Schwere des Vergehens – nicht nur über der neuen Außenbeauftragten, sondern gleich über sämtlichen Regierungschefs, die diesen Wahnsinn zu verantworten haben: „Es ist schlichtweg irre, dass die EU in der Woche, in der Russland eine dritte Front in der Ukraine eröffnet, auch nur in Betracht zieht, jemanden ohne entsprechende Leistungsbilanz im Verständnis und in der Reaktion auf die Herausforderung durch Russland zu ernennen. Das ist, als ob ein Klimaskeptiker der Ölindustrie zum Umweltminister ernannt wird.“
Sie soll gelächelt haben. Unglaublich!
Nun gut. Über Mogherinis Einstellung gegenüber Russland ist zu diskutieren. Sie leidet sicher nicht unter Russo-Phobie. Osteuropäischen Staaten gilt sie als zu moskaufreundlich, seit sie im Angesicht des Leibhaftigen im Kreml sogar gelächelt haben soll. Skandalös. Doch Spaß beiseite. Mogherinis Positionierung in Bezug auf die Ukraine ist tatsächlich alles andere als ein Manko. Abgesehen davon, dass den zu besetzenden Part der Moskau-Kassandra wohl der neuernannte Ratspräsident Tusk höchstpersönlich übernehmen wird, dürfte Mogherinis flexibler Ansatz sich schon bald als Grundbedingung einer tatsächlich einheitlichen europäischen Antwort erweisen.
Meinen die Kritiker denn wirklich, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in dem Moment Wirklichkeit wird, in dem ein politisches Schwergewicht die Kakophonie der Partikularinteressen mit Brachialgewalt auf Linie bringt? Auf welche denn?
Weshalb? Weil Mogherini eben keine Außenministerin ist, sondern eine Beauftragte. Die Kritik an Mogherini geht am Kern der neuen Aufgabe vorbei und verdeutlicht eine naive Vorstellung über die Möglichkeiten von Politik im 21. Jahrhundert. Meinen die Kritiker denn wirklich, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in dem Moment Wirklichkeit wird, in dem ein politisches Schwergewicht die Kakophonie der Partikularinteressen mit Brachialgewalt auf Linie bringt? Auf welche denn? Welche Position hätte sich denn dann etwa in der lähmenden Polarisierungen der Libyen- oder Syrien-Frage durchgesetzt? Nein, wer so denkt, geriert sich nicht als Geburtshelfer einer neuen europäischen Außenpolitik, sondern über kurz oder lang als ihr Totengräber.
Eben dessen sind sich die EU-Regierungschefs natürlich bewusst. Fakt ist, dass die embryonale Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aktuell eben keinen Macher, sondern eine Moderatorin braucht. Eine Moderatorin, die zwischen den sensiblen Kerninteressen der Mitgliedsstaaten vermitteln und verhandeln kann. Alles andere ist Wunschdenken.
Das Scheitern der Elder-Statesmen
Doch ist Mogherini nicht selbst dazu zu unerfahren? Und zu jung? Einfach nicht schwergewichtig genug? Zumindest ein Blick auf historische Erfahrungen setzt ein großes Fragezeichen hinter die Stichhaltigkeit solcher Befürchtungen. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan schmiss nach ergebnislosen Verhandlungen als Vermittler im Syrien-Konflikt im August 2012 das Handtuch. Er war von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum „Special Envoy“ ernannt worden. Lag sein Scheitern am fehlenden Standing oder an mangelnder Erfahrung?
Oder Tony Blair: Seit sieben Jahren ist der ehemalige britische Premierminister „Sondergesandter“ des Nahost-Quartetts in Jerusalem. Hat sein Rang und Status als Regierungschef a.D. auch nur zu einem einzigen wirklichen Durchbruch im vertrackten Nahostkonflikt geführt?
Die Beispiele zeigen: Erfolg oder Misserfolg liegen nicht in erster Linie am vermeintlichen Renommee der Verantwortlichen. Viel ausschlaggebender sind die politischen Strukturen und Rahmenbedingungen, die Ziele und Zielerreichung definieren. Was die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angeht, sind diese jedoch bekanntlich, wie sie sind. Und selbst vom breitbeinigsten Elder-Statesman können sie nur auf mikroskopischer Skala erweitert werden – wenn überhaupt.
Daher ist Federica Mogherini zum Amtsantritt nicht zuletzt zu wünschen, dass sie vor überzogenen Erwartungen verschont bleiben möge. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist keine One-Man- und auch keine One-Woman-Show. Ihr Scheitern oder ihr Erfolg hängt nur zum Teil von Personalien ab. Doch dabei gilt auch: Wenn die Auserwählte nicht (wie ihre Vorgängerin) auf einen Karrierestart als parlamentarische Staatssekretärin im Bildungsministerium zurückblickt, sondern auf eine Politiktaufe als Außenministerin eines G-7 Staates – umso besser. Denn da ist so einiges, um das Federica Mogherini sich kümmern sollte.
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