Trumps Triumph über Kamala Harris kam nicht unerwartet. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage, insbesondere mit der Inflation, begünstigen ihn ebenso wie die Unterstützung einer strikteren Migrationspolitik durch eine beträchtliche Wählerschaft. Von Vorteil erwies sich auch, dass viele US-Bürger in Trump einen starken Anführer sehen, der außenpolitische Konflikte, wenn nicht löst, dann doch eindämmt und kostspielige Engagements verhindert. Zudem profitierte der Republikaner davon, dass sich seine Basis loyal zeigte und Skandale, einschließlich seiner strafrechtlichen Verurteilung, vor allem als politisch motivierte Angriffe wahrnahm.
Besonders bedeutsam war, dass Trump seine Wählerbasis über das Niveau von 2016 hinaus erweitern konnte. Besonders unter schwarzen und Latino-Männern erzielte er Zugewinne, aber auch in der Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen Wähler. Daneben behielt er seinen starken Rückhalt in der weißen, vor allem ländlichen Arbeiterschaft. Damit nicht genug, nutzt seine Kampagne neue Medien effektiver als die Demokraten; sein Auftritt im Joe-Rogan-Podcast ist hierfür beispielhaft. Während der zukünftige Präsident sich fast drei Stunden mit dem Podcaster hemdsärmelig austauschte, setzte die Harris-Kampagne vor allem auf altherkömmliche Formate wie 60 Minutes, die aus einer anderen Zeit stammen.
Ein cleverer Schachzug dürfte auch Trumps Selbstinszenierung als „Pommesverkäufer“ bei McDonalds gewesen sein – im Kontrast zu Harris, die auf dem Cover der Vogue abgebildet war. Trump als Symbol der Arbeiterschaft, Harris als Vertreterin einer abgehobenen politischen Elite. Dies funktionierte: Der Republikaner hat die Wahlen deutlich gewonnen. Er hat nicht nur die erforderliche Mehrheit im Electoral College erreicht, sondern auch die Mehrheit der Wählerstimmen landesweit. Zusätzlich wird seine Partei den Senat und womöglich auch das Repräsentantenhaus kontrollieren.
Damit ist sein Sieg kein Betriebsunfall. Umso wichtiger ist es, nicht neuerlich die Gründe dafür vor allem in Fake News und ausländischer Desinformation zu suchen. Diese Ansicht war schon 2016 unzureichend und mehr einer Selbstentlastung der Clinton-Kampagne geschuldet als einer realistischen Lagebewertung. Wollen die US-Demokraten wieder mehrheitsfähig werden, müssen sie sich auch programmatisch neu aufstellen. Es bedarf einer sozialdemokratischen Wende in der Partei, eines Bekenntnisses zu einem starken Staat.
Es bedarf einer sozialdemokratischen Wende in der Partei, eines Bekenntnisses zu einem starken Staat.
Trumps Agenda für die nächsten Jahre wird voraussichtlich unter anderem eine Zentralisierung der Macht im Weißen Haus, einen radikalen Personalaustausch in den Bundesbehörden und eine rigorose Migrationspolitik beinhalten. Auch sind Verschärfungen des Abtreibungsrechts und eine reduzierte Förderung sauberer Energien zu erwarten. Gleiches gilt für einen noch transaktionaleren Umgang mit Verbündeten. Inwiefern Trump die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland zwingen kann und wird, bleibt dagegen abzuwarten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt seiner Präsidentschaft, der hierzulande leider zu wenig beachtet wird, dürfte seine Atomwaffenpolitik sein. Hier gibt es Anzeichen, dass sich die Vereinigten Staaten dazu entscheiden könnten, ihre Nuklearstreitkräfte sowie ihre nukleare Infrastruktur auszubauen, um vor allem Chinas unbestreitbare nukleare Aufrüstung zu kontern. Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater Robert O’Brien warb kürzlich für eine Wiederaufnahme von Nuklearwaffentests, was die Teststoppnorm zusätzlich unter Druck setzen würde. Die Kosten für die US-Nuklearstreitkräfte wurden bereits vor den Wahlen bis 2032 auf ungefähr 750 Milliarden US-Dollar geschätzt – und könnten nun noch weiter anwachsen.
Eine republikanische Mehrheit im Kongress könnte es Trump jedoch erleichtern, diesen Weg zu gehen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass auch unter einer Harris-Regierung mit einer robusteren US-Nuklearwaffenpolitik, inklusive Bestückung von Raketen mit zusätzlichen nuklearen Sprengköpfen, zu rechnen gewesen wäre. Das Ausmaß der nuklearen Aufrüstung könnte jedoch unter einer republikanischen Administration weit umfassender ausfallen.
Dessen ungeachtet zeugt die deutsche Auseinandersetzung mit dem US-Wahlergebnis – wie bereits in der Vergangenheit – von groben Defiziten. Ein erstes Problem ist ein Blick auf die USA, der extreme Erwartungen an US-Präsidenten setzt. John F. Kennedy und Barack Obama wurden zu messiasähnlichen Figuren erhoben, George W. Bush und Donald Trump – um in der Terminologie zu bleiben – als Anti-Christen gezeichnet. Diese dichotome Sichtweise zeugt nicht von einer reifen Gesellschaft, sondern von gelebter Spätadoleszenz.
Ein zweites Problem ist die selektive Wahrnehmung der Vereinigten Staaten durch viele Deutsche. Oft wird nur das wahrgenommen, was man sehen möchte oder was man durch eine aufgesetzte kontinentaleuropäische Brille sehen kann. Wenn dann zusätzlich noch durch eine progressive Brille auf die USA geblickt wird, entsteht eine doppelte Verzerrung der Wirklichkeit. Dies erschwert das Verständnis für die Resonanz republikanischer Politik jenseits des einfachen Narratives „Sie lügen, wir nicht“.
Es ist so, dass deutsche, europäische und amerikanische Interessen und Interpretationen nicht immer deckungsgleich sind.
Ein drittes Problem, das damit zusammenhängt, liegt darin, dass amerikanische Diskurse hierzulande häufig eins zu eins nacherzählt werden. Dazu kommen Modi der Reproduktion amerikanischen Wissens. Doch ist es so, dass deutsche, europäische und amerikanische Interessen und Interpretationen nicht immer deckungsgleich sind. Eine Forderung aus den USA nach Investitionen in Abschreckung und Härte ist per se ebenso wenig begrüßenswert wie Forderungen aus den USA nach Abrüstung und Dialog. Unsere Bewertung ist entscheidend.
Doch was folgt daraus? Zuallererst bedeutet das, dass die Vereinigten Staaten endlich als Ganzes erschlossen werden müssen. Kontakte zu republikanischen Politikern und konservativen Experten müssen intensiviert werden, nicht als Freundschaftsdienst, sondern als Erfordernis. Es ist begrüßenswert, dass dieser Prozess von der deutschen Politik und Ministerialbürokratie bereits eingeleitet worden ist. Darauf gilt es aufzubauen. Ein positiver Nebeneffekt könnte sein, dass deutsche Akteure dadurch Fehlentwicklungen in der ihnen häufig nahestehenderen Demokratischen Partei besser korrigieren können. Gute Verbündete und Partner sind keine Ja-Sager, sondern stehen für ihre Überzeugungen ein.
Darüber hinaus muss anerkannt werden, dass eine erneute Trump-Präsidentschaft nicht gleichbedeutend ist mit einem außenpolitischen Rückzug der USA. Skepsis gegenüber internationalen Organisationen und Bündnissen wie der NATO bedeutet nicht zwingend eine Aufgabe des amerikanischen Anspruchs auf Weltmacht. Auch unter einer republikanischen Regierung wird der Konsens bestehen, dass nur die Amerikaner allein über ihren Status in der Welt entscheiden, und sonst niemand. Die Vereinigten Staaten werden mindestens mittelfristig die stärkste Militärmacht bleiben und ihre Interessen global durchzusetzen versuchen – allerdings wohl noch vermehrter abseits etablierter multilateraler Strukturen.
Deutschland wird auf Trump in einem Zeitalter der Instabilität treffen, in der auch ein nuklearer Rüstungswettlauf nicht ausgeschlossen ist. Eine Rückkehr zum Status quo ante wird es nicht nur aufgrund der US-Wahlen, sondern vor allem aufgrund der anhaltenden russischen Aggression gegen die Ukraine nicht geben – und darf es auch nicht. Daher ist der Ausbau der eigenen Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung ebenso notwendig wie die Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und das Kitten gesellschaftlicher Konflikte. Die deutsche Bevölkerung braucht und verdient ein funktionierendes Gemeinwesen, einen starken Staat im Inneren wie im Äußeren. Wer das anders sieht, hat in der Regierung nichts verloren.