Ende Juli töteten die Vereinigten Staaten den al-Qaida-Führer Aiman al-Sawahiri in Afghanistan mit einer Kampfdrohne. Der Einsatz bewaffneter Drohnen für gezielte Tötungen ist ein völkerrechtlich kompliziertes Thema. Dennoch lobte Präsident Joe Biden den Schlag gegen al-Sawahiri, weil man damit „Gerechtigkeit hergestellt“ habe. Da die Tötung al-Sawahiris 21 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erfolgte, ergeben sich allerdings unbequeme rechtliche Fragen, inwieweit sich die Aktion im Rahmen des jus ad bellum (Recht auf Krieg) und des jus in bello (Kriegsrecht) rechtfertigen lässt.

Im globalen Krieg gegen den Terror der letzten beiden Jahrzehnte wurde ausgiebig über die Rechtmäßigkeit der Tötungsoperationen gegen Osama bin Laden in Pakistan, Anwar al-Awlaki im Jemen und Kassem Soleimani im Irak debattiert. Der Schlag gegen al-Sawahiri wurde hingegen nicht in diesem Maße kritisch beleuchtet. Wir müssen uns fragen, warum das so ist und ob der Einsatz bewaffneter Drohnen inzwischen womöglich als normal gilt? Insbesondere nach dem vermehrten Drohneneinsatz im Krieg in der Ukraine.

Gilt der Einsatz bewaffneter Drohnen inzwischen womöglich als normal?

In den westlichen Medien wurden interessante kritische Einwände gegen die Tötung al-Sawahiris nur in einigen wenigen juristischen Blogs geäußert. Manche US-Militärwissenschaftler sprachen sich im Bereich der Terrorismusbekämpfung in Afghanistan für die sogenannte Over the Horizon-Strategie aus, die dank Drohnen auf Bodentruppen in dem jeweiligen Land verzichten kann. Ich frage mich, was dem britischen Establishment durch den Kopf ging, als auch Verteidigungsminister Ben Wallace seine Bereitschaft erklärte, nach dem Abzug britischer Truppen in Afghanistan Drohnenangriffe durchzuführen.

Die USA müssen Farbe bekennen, warum sie erstens Gewaltaktionen gegen Afghanistan und zweitens die Tötung al-Sawahiris als rechtmäßig erachten. Dank des von Katar vermittelten Doha-Abkommens zwischen den Taliban und den USA befindet sich Afghanistan offiziell nicht im Krieg, sondern in einer Übergangsphase in den Frieden – beziehungsweise in einer Nachkriegs-, Wiederaufbau- und Versöhnungsphase.

Im vergangenen Jahr erklärte Präsident Biden den Krieg für beendet und zog die US-Truppen ab. Nach der Tötung al-Sawahiris erklärte Biden nun aber, er habe den Drohnenangriff genehmigt, um al-Sawahiri „vom Gefechtsfeld zu entfernen“. Solche Widersprüche sind nicht neu – US-Drohnenangriffe außerhalb von Kriegsgebieten gab es bereits in Pakistan, Somalia und im Jemen. Die US-Leitlinien für den Drohneneinsatz erlauben Tötungen und nächtliche Angriffe überall: Für die CIA und die US Army ist die gesamte Welt ein Schlachtfeld.

Für die CIA und die US Army ist die gesamte Welt ein Schlachtfeld.

Derzeit steht die Liquidierung al-Sawahiris durch die Regierung Biden im Widerspruch zu dem unter Vermittlung Katars ausgehandelten Doha-Abkommen, zum geltenden Völkerrecht und zu der vom US-Kongress 2001 erteilten Authorization for Use of Military Force (AUMF, Genehmigung zum Einsatz militärischer Gewalt), die es erlaubte, „al-Qaida, die Taliban und assoziierte Kräfte“ ins Visier zu nehmen.

Eine völkerrechtskonforme Selbstverteidigung im Rahmen eines Krieges dürfte sich mit dem 20 Jahre alten US-Gesetz kaum geltend machen lassen, zumal wenn der Gegner eine nichtstaatliche bewaffnete Gruppierung ist, die die juristische Schwelle für „bewaffnete Angriffe“ auf einen Nationalstaat mutmaßlich nie erreichen wird. Nach dem Bericht eines Teams des UN-Sanktionsausschusses gemäß Resolution 1267 im Juli dieses Jahres stellt die Gruppierung al-Qaida „an ihrem Rückzugsort in Afghanistan keine unmittelbare internationale Gefahr dar, weil es ihr an externem operativem Leistungsvermögen mangelt und sie die Taliban derzeit international nicht in Schwierigkeiten oder Verlegenheit bringen will“. Eine Einschätzung der US-Geheimdienste vom August 2022 stützt diese Argumentation: Al-Qaida sei nicht in der Lage, „von Afghanistan aus Anschläge gegen die USA oder ihre Interessen im Ausland zu verüben“.

Ein ranghoher Taliban behauptet, die US-Streitkräfte und Biden hätten schon fast 1000 Mal gegen das Doha-Abkommen verstoßen.

Der Vorwurf, die Taliban hätten gegen das Abkommen von Doha verstoßen, indem sie al-Qaida-Mitgliedern weiterhin Unterschlupf geboten hätten, ist relevant, rechtfertigt jedoch nicht die gezielte Tötung al-Sawahiris nach dem Abzug der US-Truppen. Der rechtliche Rahmen hat sich geändert, und ein von einem Drittstaat vermitteltes Abkommen ist nicht unbedingt ein Vertrag. Der Wortlaut der Bedingungen ist ohnehin umstritten, und man muss sich schon fragen, wie es nach jahrelangen Gesprächen zwischen den Parteien in Katar dazu kommen konnte. Anas Hakkani, ein ranghoher Taliban, behauptete in einem Interview mit dem in Katar ansässigen Mediennetzwerk Al-Jazeera, die US-Streitkräfte und Biden hätten schon fast 1000 Mal gegen das Abkommen verstoßen.

Schlussendlich haben die USA mit dem Drohnenangriff die territoriale Souveränität Afghanistans verletzt. Dabei ist es unerheblich, ob sie die Herrschaft und effektive Kontrolle der Taliban nach internationalem Recht anerkennen. Das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes und des ungerechtfertigten Einsatzes von Gewalt ist in der Charta der Vereinten Nationen eindeutig geregelt.

Die USA haben mit dem Drohnenangriff die territoriale Souveränität Afghanistans verletzt.

Die USA dürften anführen, die Taliban seien „nicht willens und nicht in der Lage“, die von al-Qaida oder dem sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr einzudämmen. Diese US-Doktrin des „unwilligen und unfähigen“ Staates ist jedoch umstritten. Zwar wird in der westlichen Wissenschaft versucht, die Doktrin zu stärken, doch letztlich senkt sie die Schwelle maßgeblicher Definitionen und Prinzipien für bewaffnete Angriffe und unmittelbare Bedrohungen.

Die USA haben für sich den sogenannten Exzeptionalismus durchgesetzt, eine Sonderstellung in der regelbasierten internationalen Weltordnung. Für die traditionelle Lesart und Interpretation der internationalen Rechtsprechung stellt die amerikanische Rechtsauffassung eine Gefahr dar. Sie führt dazu, dass aufstrebende Mächte den amerikanischen Exzeptionalismus zwar akzeptieren, gleichzeitig aber ihre eigene Strategie für den Kampfdrohneneinsatz entwickeln und in anderen Ländern umsetzen.

Die USA haben für sich den sogenannten Exzeptionalismus durchgesetzt.

An diesem Wendepunkt beobachten die aufstrebenden Drohnenmächte die Umsetzung des US-Drohnendrehbuchs ganz genau, und niemand kann verhindern, dass sie für ihre eigenen künftigen ferngesteuerten Kriege – oder Terrorabwehroperationen im Ausland – abweichende militärische Codes und Rechtstraditionen anwenden werden.

Staaten in aller Welt kaufen bewaffnete Drohnen in großer Zahl ein. Darüber hinaus entwickeln sie die Technologie weiter, statten sie mit künstlicher Intelligenz und autonomen Systemen aus und vergrößern mittels Satelliten und Sendern im Weltall die Reichweite nachrichtendienstlicher Überwachung und Aufklärung.

Bewaffnete Drohnen sind zur Normalität geworden und mittlerweile ein anerkanntes System für gezielte Tötungen und Attentate. Für Staaten, die eine Truppenentsendung scheuen, sind sie eine günstige und ungefährliche Option. Eine Drohnenpilotin kann morgens mit der Familie frühstücken, sich vom Partner zur Arbeit bringen lassen und nur wenige Kilometer von ihrem Zuhause entfernt Menschen in aller Herren Länder gezielt töten.

Aus dem Englischen von Anne Emmert