Vom 13. bis 14. Mai findet in Berlin erstmals die Ministerialkonferenz der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung (United Nations Peacekeeping Ministerial – PKM) statt. Ziel des Treffens ist es, über die Zukunft der UN-Friedensmissionen zu beraten. Diese zweijährlichen Treffen gelten als Gradmesser dafür, wie stark die politische Unterstützung für derartige Missionen noch ist. Selbstverständlich sind UN-Friedenssicherungsmissionen nur ein Werkzeug im umfassenden „Werkzeugkasten“ der UN zur Konfliktbearbeitung – neben der allgemeinen Konfliktprävention, neben Vermittlungsmissionen und Maßnahmen zur Friedenskonsolidierung. Doch der Reformbedarf ist offensichtlich: Herausforderungen bestehen bei der Planung, Durchführung und beim Abschluss von Friedensmissionen.
Die letzte größere UN-Friedenssicherungsmission wurde 2014 mit der MINUSCA in der Zentralafrikanischen Republik ins Leben gerufen. Zwar werden bestehende Missionen regelmäßig verlängert, doch gewinnen zunehmend andere Akteure wie insbesondere (sub-)regionale Organisationen an Bedeutung. Größere Erfolge der UN-Missionen bleiben aus, während weltweit die Anzahl der Konflikte zunimmt. Veränderte Konfliktdynamiken, etwa durch neue Bedrohungen wie Desinformation, erschweren die Arbeit der Missionen zusätzlich. Dennoch gelten UN-Friedenssicherungsmissionen als eines der kosteneffizientesten und wirksamsten Instrumente im internationalen Konfliktmanagement. Sie reduzieren nachweislich unmittelbare Gewalt gegen Zivilbevölkerungen – und bleiben damit unverzichtbar. Angesichts der wachsenden Herausforderungen diskutiert das kommende PKM in Berlin über neue, flexiblere Modelle der künftigen Friedenssicherung. Bereits im September 2024 hatten die UN-Mitgliedstaaten im Zukunftspakt den Generalsekretär António Guterres damit beauftragt, Reformvorschläge für die UN-Friedenssicherung zu entwickeln. Es tut sich also einiges in der Debatte um UN-Friedenssicherungsmissionen. Und welche Rolle spielt dabei Deutschland?
Paradoxerweise ging die deutsche Truppenbeteiligung sogar regelmäßig in jenen Phasen zurück, in denen Deutschland für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat vertreten war.
Zuletzt wurde in der ersten, 2023 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) betont, dass Deutschland Verantwortung im internationalen Krisenengagement übernehmen wolle. In der Praxis bleibt das Engagement jedoch vor allem personell zurückhaltend. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat die sicherheitspolitischen Prioritäten hin zur Landes- und Bündnisverteidigung verschoben. Ein fehlendes substanzielles deutsches Engagement in der UN-Friedenssicherung wäre aber fatal. Die deutsche Beteiligung ist aus mehreren Gründen entscheidend: nicht nur aufgrund des Bedarfs an gut ausgebildetem Personal sowie an Logistik, Transport und Hochwertfähigkeiten, sondern auch im Sinne politischer Glaubwürdigkeit. Wer bei der Zukunft von Friedensmissionen mitreden und Einfluss nehmen will, muss auch personell Verantwortung übernehmen. Der Abschlussbericht der Afghanistan-Enquetekommission fordert eine Stärkung des UN-Systems durch besseres Krisenmanagement, mehr Finanzmittel und realistische, priorisierte Mandate. Dies könne nur gelingen, wenn „Friedensmissionen von Deutschland relevante materielle und personelle Unterstützung erfahren“. Doch gerade Letzteres ist bislang kaum vorhanden. Bis zu ihrem Abzug 2023 war die UN-Mission in Mali das letzte substanzielle – wenn auch selektive – Engagement Deutschlands in der Friedenssicherung. Derzeit beschränkt sich der deutsche Beitrag weitgehend auf die maritime Komponente der UNIFIL-Mission im Libanon. Zwar beteiligt sich die Bundesrepublik traditionell zuverlässig an der Finanzierung von UN-Einsätzen, aber seine personelle Präsenz war stets begrenzt – und mit ihr auch der politische Einfluss. Paradoxerweise ging die deutsche Truppenbeteiligung sogar regelmäßig in jenen Phasen zurück, in denen Deutschland für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat vertreten war. Anspruch und Wirklichkeit klaffen also schon lange weit auseinander. Diese Widersprüchlichkeit offenbart sich auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie. Einerseits heißt es: „Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung; alle Aufgaben sind dieser Mission untergeordnet.“ Andererseits wird erklärt: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass Friedenssicherungsmissionen der Vereinten Nationen mit klarem politischem Auftrag und den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden.“ Somit bleibt die außenpolitische Botschaft ambivalent – und verweist auf einen weiterhin offenen Klärungsbedarf im politischen Entscheidungsprozess.
Insgesamt hemmen drei zentrale Herausforderungen Deutschlands UN-Engagement: Erstens bleibt die deutsche Öffentlichkeit grundsätzlich skeptisch gegenüber einer stärkeren Rolle in internationalen Kriseneinsätzen. Trotz der mantraartigen Bekundung, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, muss die neue Bundesregierung die Sinnhaftigkeit solcher Einsätze überzeugender vermitteln. Gerade weil viele dieser Missionen weit entfernt von der eigenen Lebensrealität stattfinden, braucht es eine offenere und zugleich verständliche Kommunikation über die Bedeutung multilateralen Handelns – ohne dabei Kritikpunkte auszublenden. Und selbstverständlich muss eine deutsche Beteiligung stets sorgfältig abgewogen und müssen die Erfolgsaussichten gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern geprüft werden. Zweitens ist die Bundeswehr trotz „Zeitenwende“ und Grundgesetzänderung weiterhin unterfinanziert. Eine nachhaltige Verbesserung erfordert stabile Finanzierungszusagen und Strukturreformen – auch im Personalbereich. Dafür muss der Verteidigungshaushalt langfristig wachsen und Strukturen müssen angepasst werden – auch mit Blick auf die ausgesetzte Wehrpflicht. Eine neue Bundesregierung sollte daher das eine tun, ohne das andere zu lassen: Landes- und Bündnisverteidigung sollten mit Einsätzen in Krisenregionen zusammengedacht werden. Die NSS betont schließlich, dass deutsche Sicherheit „verbunden [ist] mit der Sicherheit und Stabilität anderer Weltregionen“. Drittens mangelt es im zivilen Bereich an politischem Willen und geeigneten Strukturen zur stärkeren Beteiligung. Der Koalitionsvertrag von 2021 versprach zwar eine Stärkung der Krisenprävention und des zivilen Krisenmanagements – in der Praxis blieb dieser Anspruch weitgehend unerfüllt. So waren im März lediglich zwölf deutsche Polizistinnen und Polizisten in UN-Friedensmissionen im Einsatz – trotz langjähriger Zielvorgaben zur Ausweitung. Neben unterschiedlichen Interessen zwischen Bund und Ländern mangelt es auch an Karriereanreizen für internationale Einsätze. Zum Vergleich: Über 280 deutsche Polizeikräfte sind derzeit bei Frontex im Einsatz – ein klares Zeichen für die politischen Prioritäten.
Deutschland muss seine Ernsthaftigkeit in der UN-Friedenssicherung unter Beweis stellen, wenn es sich im Jahr 2026 erneut um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bewirbt.
Angesichts globaler Veränderungen in der UN-Friedenssicherung sollte Deutschland umfassend an den anstehende Reformdiskussionen teilnehmen, eigene Vorschläge einbringen und vor allem konkrete Ressourcen bereitstellen. Das Peacekeeping Ministerial im Mai bietet eine wichtige Gelegenheit, Deutschlands politisches Engagement sichtbar zu machen, die Zukunft der UN-Friedenssicherung mitzugestalten und verbindliche Beiträge zuzusagen. Schließlich muss Deutschland seine Ernsthaftigkeit in der UN-Friedenssicherung unter Beweis stellen, wenn es sich im Jahr 2026 erneut um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für die Jahre 2027/2028 bewirbt – und in der Kandidatur die Stärkung der UN-Friedenssicherung hervorhebt. Doch nachhaltige Unterstützung darf sich nicht auf das Ministerialtreffen oder den Sicherheitsratssitz beschränken. Deutschland sollte sein Engagement systematisch in der gesamten UN-Architektur für Frieden und Sicherheit vorantreiben, etwa im Rahmen seines derzeitigen Vorsitzes der Kommission für Friedenskonsolidierung oder in der Generalversammlung, deren Präsidentschaft Deutschland im September übernimmt. Grundsätzlich sollte die Bundesrepublik weiter die engere Verzahnung von Friedenskonsolidierung und Friedenssicherung vorantreiben: politisch, strukturell und operativ. Die beteiligten Ministerien sollten daher die Ziele für die deutsche Beteiligung an UN-geführten Friedensoperationen definieren – mit verbindlichen Zeitplänen sowie personellen und finanziellen Zusagen. Diese Ziele sollten auch mit den strategischen Prozessen in NATO und EU koordiniert werden, um internationale Kohärenz und Arbeitsteilung sicherzustellen. Solche Selbstverpflichtungen können auch in die überarbeiteten Krisenleitlinien aufgenommen werden (ursprünglich von 2017). Die neue Bundesregierung muss dringend handeln – nicht nur angesichts kriselnder Friedenseinsätze, sondern auch wegen der zunehmenden grenzüberschreitenden Sicherheitsbedrohungen. In einer Zeit multipler Krisen kann sich Deutschland keine sicherheitspolitische „Blaupause“ leisten. Denn die Auswirkungen der gegenwärtigen Konflikte werden früher oder später auch hierzulande spürbar werden.