Am vergangenen Dienstag beendete US-Präsident Barack Obama seine sechstägige Asien-Reise. Mit Abschluss des Besuchs in Japan, Südkorea, auf den Philippinen und in Malaysia endeten dabei nicht nur intensive diplomatische Verhandlungen mit den US-Verbündeten und Partnern in der Region, sondern zugleich auch zumindest einige der Spekulationen, dass der im November 2011 verkündete „Pivot to Asia“ über die Phase einer vollmundigen Ankündigung nie hinaus kommen würde.

Vor dem Hintergrund der US-Haushaltskrise im Oktober 2013 und des daraus resultierenden Regierungs-Shutdowns war die ursprünglich für den Herbst vorgesehene Reise zunächst verschoben worden. Angesichts der sich entfaltenden Ukraine-Krise mehrten sich in der Folge Stimmen, die das Gesamtkonzept des Pivots (also die Hinwendung der Vereinigten Staaten nach Ostasien) in Frage stellten. So forderte die New York Times den US-Präsidenten auf, statt nach Asien einen „Pivot to Europe“ vorzunehmen. Und dies war nicht die einzige Kritik. Je nach Gusto war die vielbeschworene strategische Umkehr der Amerikaner seit der Verkündung mal als schlicht nichtexistent, mal als strategisch fehlgeleitet und mal als fundamental unterfinanziert charakterisiert worden.

Die Strategie lässt sich zwar auch an Gesten der Tagespolitik ablesen, ist aber viel langfristiger angelegt.

Der Abschluss des Besuchsparcours in der vergangenen Woche belegt jedoch zweierlei. Erstens: Der US-Präsident macht ernst. Die Pivot-Strategie ist real und intakt. Dabei beruht sie auf einer wirtschaftlichen, einer militärischen und einer politisch-diplomatischen Säule. Die Strategie lässt sich zwar auch an Gesten der Tagespolitik ablesen, ist aber viel langfristiger angelegt. Klar ist dabei - zweitens - auch, dass sich der Strategiewechsel anders als vom Präsidenten immer wieder beschworen sehr wohl gegen China richtet. Ein Blick auf die Fakten:

 

Wirtschaft, Diplomatie, Militär: Die heilige Dreifaltigkeit

Im Wirtschaftsbereich gelang es Obama bereits 2012, ein vielbeachtetes Freihandelsabkommen mit Südkorea abzuschließen. Das US-Korea Free Trade Agreement stellt das zweitgrößte US-Abkommen dieser Art dar.

Für Washington noch wichtiger ist jedoch der angestrebte Abschluss des transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP). Dabei verhandeln ein Dutzend Anrainerstaaten des Pazifiks, die circa 40 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, über Handels- und Zollerleichterungen. Die strategischen Vorteile scheinen für Washington enorm: Ein von den USA dominiertes TPP und die damit verknüpften Normen könnten in Zukunft den Wirtschaftsverkehr Asiens bestimmen und dadurch die Führungsrolle der USA in der Region festigen. Dies vor allem, weil es die in der TPP festgeschriebenen Regeln China unmöglich machen würden, dem Abkommen zuzustimmen. Das Projekt wird von Obama auch gegen Widerstände im US-Kongress sowie verbreitete Skepsis in vielen asiatischen Ländern vorangetrieben. Besonders brisant: der Abschluss der TPP befindet sich in direkter Konkurrenz zur Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) Initiative. Dies ist ein von China und den südostasiatischen Staaten initiiertes Abkommen, das als Grundlage für eine Wirtschaftsunion dienen soll, jedoch statt den USA China integriert.

Auf politischer Ebene beteiligen sich die USA unter Präsident Obama seit geraumer Zeit verstärkt an den bestehenden multilateralen Institutionen der Region – insbesondere am ASEAN Regional Forum und dem East Asia Summit. Beide Foren haben dadurch deutlich an Gewicht gewonnen. In den ansonsten gemächlich arbeitenden und auf Konsens ausgerichteten Institutionen werden auf Initiative der Vereinigten Staaten nun auch kontroverse Themen wie die maritimen Territorialkonflikte der Region angesprochen. Dies geschieht zum Leidwesen Pekings, das die Konflikte lieber bilateral bearbeiten möchte – vermutlich, um seine Stärke in den Verhandlungen mit den kleinen Nachbarstaaten besser ausspielen zu können. Das Engagement belegt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Amtsvorgänger George W. Bush und Außenministerin Condoleeza Rice in beiden Institutionen durch Abwesenheit glänzten.

Auch im bilateralen Bereich steht Washington seinen regionalen Verbündeten nun verstärkt zur Seite. So verkündete Obama vergangene Woche in einem Interview in Japan, dass die wahlweise als Senkaku oder Diaoyou bezeichneten und von Japan und China beanspruchten Inseln unter das japanisch-amerikanische Sicherheitsabkommen fallen. Ein Novum. Falls es zu einer militärischen Auseinandersetzung um die Inseln käme, müssten die USA demnach dem Bündnispartner Japan zur Hilfe eilen.

Der militärische Arm des Pivot wird bislang unter anderem durch die Stationierung von bis zu 2 500 US-Marines in Nord-Australien und vier Kampfschiffen zur küstennahen Gefechtsführung in Singapur umgesetzt. Hinzu kommt die Errichtung eines regionalen Raketenabwehrsystems in Japan und Pläne, dieses um einen weiteren Standort in Südostasien zu erweitern. Außerdem kündigte Washington 2012 an, bis Ende des Jahrzehnts 60 Prozent der Schiffe der US-Navy in die Region zu verlegen.

Washington setzt vermehrt auf militärische Zusammenarbeit mit den Staaten der Region, um deren Verteidigungsfähigkeit zu stärken.

All das belegt: Washington setzt vermehrt auf militärische Zusammenarbeit mit den Staaten der Region, um deren Verteidigungsfähigkeit zu stärken. In der vergangenen Woche konnte die US-Regierung anlässlich des Präsidentenbesuchs in Manila ein Abkommen über die Nutzung von Militärbasen auf den Philippinen verkünden. Für Evan Medeiros vom Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten ist die Übereinkunft das „bedeutendste Verteidigungsabkommen mit den Philippinen seit Jahrzehnten“. 1992 hatte das ostasiatische Land die dort seit beinahe hundert Jahren stationierten US-Truppen aus dem Land geworfen. Warum nun die philippinische Rolle rückwärts? Auch von der anderen Seite betrachtet fragt man sich: Was steckt hinter der Fokussierung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum?

 

Um was geht es wirklich?

Laut offizieller amerikanischer Regierungsdoktrin gehe es darum, in der wirtschaftlich aufstrebendsten Weltregion präsent zu sein und des Weiteren – wie im Falle des Taifuns Haiyan schnell Katastrophenhilfe leisten zu können. „Die Entscheidung stammte aus der Erkenntnis, welch wichtige Rolle die USA in der Unterstützung von Asiens sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung einnimmt“, äußerte der damalige Nationale Sicherheitsberater Thomas E. Donilon.

Doch richtet eine Supermacht daran tatsächlich seine Außenpolitik aus? Wohl kaum. Der Adressat der neuen US-Strategie ist in Wirklichkeit in Peking zu finden. Der rasante Aufstieg Chinas, das dieses Jahr die USA als größte Wirtschaftsmacht ablösen könnte, und das damit verbundene forschere außenpolitische Auftreten der chinesischen Regierung, haben in den Hauptstädten Ostasiens sowie in Washington die Alarmglocken schrillen lassen.

Mit zunehmendem Machtgewinn sind in Peking offenbar auch die Ansprüche gewachsen. Die chinesische Führung um Präsident Xi Jinping strebt augenscheinlich an, das von den USA und seinen westlichen Verbündeten dominierte internationale System zu verändern und einen Wandel des Status Quos in der Region zu erwirken. Zumindest wird dieser Schluss durch das offensive Agieren chinesischer Kräfte im Ost- und Südchinesischen Meer nahegelegt, mit dem Peking die zahlreichen maritimen Territorialkonflikte mit den Staaten der Region zu seinen Gunsten entscheiden will.

Im Südchinesischen Meer beansprucht China über 80 Prozent des Gewässers, einschließlich der darin befindlichen Inseln und Atolle. Das Problem: Einige dieser Gebiete befinden sich über 1000 Kilometer vom eigenen Festland entfernt und laut internationalem Seerecht in der ausschließlichen Wirtschaftszone anderer Staaten. Erst am vergangenen Wochenende entsandte Peking die mobile Ölplattform Haiyang Shiyou 981 in die 200 Meilen-Zone Vietnams - gegen den expliziten Protest aus Hanoi.

Mit zunehmendem Machtgewinn sind in Peking offenbar auch die Ansprüche gewachsen.

In seinen Methoden schreckte China zuletzt auch vor Einschüchterungsversuchen nicht zurück. So kam es 2013 zu einem Beinahe-Zusammenstoß mit dem US-Kreuzer USS Cowpens, der nur durch ein Ausweichmanöver der Amerikaner verhindert wurde. Der Vorfall sorgte international für Aufmerksamkeit. Viele andere Beispiele tun dies nicht. In den vergangenen Monaten hat Peking wiederholt philippinische Zivilschiffe blockiert. Dabei ist die chinesische Marine auch mit Wasserwerfern gegen Fischer vorgegangen. Zahlreiche Boote anderer Anrainer gerieten ebenfalls mit chinesischen Sicherheitskräften aneinander und wurden mit Waffengewalt gekapert. Boote wurden beschlagnahmt, die Besatzungen verhaftet; dabei waren auch Todesopfer zu beklagen.

Die USA fürchtet um Stabilität und Einfluss in der Region. „Die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum ist von zunehmender Wichtigkeit für den globalen Fortschritt“, meinte Hillary Clinton bei Verkündung des Strategiewechsels 2011. Sie wies dabei zugleich auch auf die Notwendigkeit einer freien Schifffahrt im Südchinesischen Meer hin. Zusammen mit seinen Partnern soll Washingtons Pivot nun verhindern, dass China den Status Quo im asiatisch-pazifischen Raum zu seinen Gunsten verändert.

Diese Strategie ist dabei alles andere als unumstritten. Das klassische Argument: Die Vereinigten Staaten können sich diese Politik vor dem Hintergrund ihres Engagements im Nahen- und Mittleren Osten und in Europa schlicht nicht leisten. Dies ist sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen. Dennoch sieht die Realität zumindest zunehmend anders aus. In Libyen überließ Washington die Führungsrolle bereitwillig Frankreich und der NATO. Im Fall Syrien beobachtete Obama von Washington aus, wie eigenhändig gezogene „rote Linien“ weitgehend folgenlos überschritten wurden. Truppenabzüge aus dem Irak und Afghanistan werden Schritt für Schritt umgesetzt. Die Bemühungen um ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern wurden vom Weißen Haus an das State Department delegiert (die Folgen sind mittlerweile bekannt). Auch in der Ukrainekrise verhalten sich die USA bislang eher zurückhaltend. Sicher, Sanktionen wurden verhängt, doch im Wesentlichen stimmt Washington die aktuelle US-Politik eng mit den Europäern ab. Die dadurch frei werdenden Ressourcen werden nun größtenteils für die Ostasien-Strategie eingesetzt.

 

Sicherheitspolitisch an den USA, wirtschaftlich an China orientiert?

Peking betrachtet die US-Strategie als Versuch des Containments. Wiederholt hat es sich ein Einmischen der Amerikaner in die als chinesische Angelegenheiten betrachteten Territorialkonflikte verbeten. Für die anderen Staaten Ostasiens ist ihre außenpolitische Orientierung in Zeiten des Pivots ein schmaler Grat.

Die mit China um Territorien streitenden Länder begrüßen die aktivere Präsenz der USA natürlich als willkommene Unterstützung. Auch die anderen Staaten in der Region sind über die gestiegene amerikanische Aufmerksamkeit, die auch neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet, nicht gerade betrübt. Schließlich sind sie von der Ungewissheit, die von dem rapiden chinesischen Wachstum ausgeht, direkt betroffen und befürworten prinzipiell ein Gleichgewicht zwischen den beiden Giganten Washington und Peking. Zugleich müssen sie jedoch ihre starke wirtschaftliche Verflechtung mit China berücksichtigen. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist die Volksrepublik der größte Handelspartner und soll durch eine zu starke strategische Orientierung an die USA nicht verprellt werden.

 

Wie geht es weiter?

Obwohl vieles in den Sternen steht, scheinen zwei Dinge klar: Trotz allem Säbelrasselns kann sich China einen offen ausgetragenen Konflikt vor der eigenen Haustür nicht leisten. Eine dadurch bedingte verstärkte wirtschaftliche Abwärtstendenz im eigenen Land könnte die Legitimationsgrundlage der kommunistischen Führung gefährden.

Zweitens: Das US-Engagement in Asien wird so lange nicht abnehmen, wie sich China im Aufwärtstrend befindet und außenpolitisch expansionistische Signale aussendet. Dies gilt auch in Zeiten von Haushaltskrisen und gekürzten Budgets. Denn wer meint, die mit Abstand größte Militärmacht des Planeten ließe sich von knappen Finanzen seine außenpolitischen Kerninteressen diktieren, dürfte einem Irrtum aufsitzen. Erst in der vergangenen Woche verkündete die US-Navy die Anschaffung von zehn weiteren Unterseebooten der Virginia-Klasse. Kostenpunkt: 17,6 Milliarden US-Dollar – ein bisschen viel für eine taktische Eintagsfliege.

Wer meint, die mit Abstand größte Militärmacht des Planeten ließe sich von knappen Finanzen seine außenpolitischen Kerninteressen diktieren, dürfte einem Irrtum aufsitzen.

Dabei ist auch nicht zu vergessen: Mit Obamas früherer Außenministerin Hillary Clinton steht eine der Hauptarchitekten der Pivot-Strategie als mögliche nächste Präsidentschaftskandidatin der Demokraten in den Startlöchern. Sie läutete schon im November 2011 das strategische Umdenken mit der Bemerkung ein, „ein pazifisches Jahrhundert“ habe für die USA gerade erst begonnen. Wichtige Schritte wurden in der vergangenen Woche Wirklichkeit.