Wenige Tage vor seinem Amtsantritt ging Donald Trump ein letztes Mal als Privatmensch auf Europa los. In Interviews mit der Bild und der britischen Times bezeichnete er die NATO als „obsolet“ und die Europäische Union als ein Instrument deutscher Interessen. Zudem sagte er, dass er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin genauso viel Vertrauen entgegenbringen werde wie Angela Merkel. Das war die letzte einer ganzen Reihe von Provokationen, die auf den Kern des historischen Bündnisses der USA mit den Nationen Europas abzielten.
Im Vorfeld schien die Präsidentschaft Trumps daher als existenzielle Bedrohung für das transatlantische Bündnis, vor allem für die NATO. Aber jetzt, wo Donald Trump tatsächlich Präsident ist, stellt sich die Frage: Haben seine diversen verrückten Tiraden, die er als Privatmensch auf Twitter vom Stapel ließ, überhaupt irgendeine Bedeutung?
Die NATO ist eine Institution, eine Verwaltungsmaschinerie, deren tagtäglicher Betrieb bisher selbst dann reibungslos ablief, wenn über ihrem Kopf politische Unwetter tobten. Auch die US-Regierung ist eine Verwaltungsmaschinerie aus Beamten, denen ihre gesamte Laufbahn hindurch der Gedanke eingetrichtert wurde, dass die NATO entscheidend für die Sicherheit der USA sei. Abgesehen von der Rhetorik ändert das Schiff des US-amerikanischen Staates in der Praxis nur sehr langsam seinen Kurs und überdauert häufig die Anstrengungen seiner zeitweiligen Steuermänner. Der von Trump ausgewählte Außenminister, Rex Tillerson, und der Verteidigungsminister, James Mattis, traten in ihren Anhörungen vor dem Senat für die NATO ein und deuteten damit an, dass die Stimmungsmache ihres zukünftigen Chefs gegen das Militärbündnis nichts als Getöse ist.
Wie bei fast allem, was Trump macht, scheint es auch bei seinem Ansatz zur NATO eher um Verhandlungstaktiken als um geopolitische Strategien zu gehen.
Es ist daher unwahrscheinlich, dass Donald Trump einen strategischen Plan für das Ende der NATO in der Tasche hat. Sollte er doch einen haben, würde ihm das willige Personal fehlen, diesen umzusetzen. Wie bei fast allem, was Trump macht, scheint es auch bei seinem Ansatz zur NATO eher um Verhandlungstaktiken als um geopolitische Strategien zu gehen. Für ihn sind die Bündnispartner der USA schon seit langem arme Verwandte, die zu Besuch kommen, um sich Geld zu leihen, und dann den ganzen Tag bleiben und sich im Pool fläzen. Maßgeblich für sein Konzept „America first“ ist der Gedanke, dass er einen besseren Deal mit den NATO-Partnern aushandeln will und dass diese mehr für ihre Verteidigung ausgeben sollen. Mit seinen verächtlichen Bemerkungen über die NATO und der Drohung, die Unterstützung einzustellen, wenn die Partner nicht mehr leisten, hofft er, ihnen gehörig Angst einzujagen.
Und tatsächlich spricht einiges dafür, dass seine Taktik aufgeht. In Europa sind erste Anzeichen erkennbar, dass man höhere Verteidigungsausgaben für nötig hält. In erster Linie ist das wohl eher auf die russische Aggression und das Chaos im Nahen Osten zurückzuführen, aber eben auch auf den Gedanken, dass die US-amerikanische Sicherheitsgarantie nicht mehr so zuverlässig ist, wie zuvor immer gedacht.
Natürlich haben alle amerikanischen Präsidenten die Europäer seit Urzeiten (oder zumindest seit 1949) gedrängt, einen größeren Teil der NATO-Lasten zu tragen. Aber die früheren US-Bemühungen um einen besseren Lastenausgleich gründeten immer auf der Idee, dass die Sicherheit und der Wohlstand Europas im ureigenen Interesse der USA lägen und daher geschützt werden müssten – wenn möglich, von den Europäern selbst, notfalls aber auch von Amerika. Es galt als sicher, dass die USA Europa nie im Stich lassen würden. Vor Trump hat kein US-Präsident je damit gedroht, Europa sich selbst zu überlassen und ihm selbst im Bündnisfall nicht zur Seite zu stehen.
Das Problem bei all dem ist, dass es bei der NATO, trotz der unzähligen diesem Thema gewidmeten sterbenslangweiligen Konferenzen der letzten Jahrzehnte, im Grunde nicht um Verteidigungsausgaben und Lastenausgleich geht. Vielmehr geht es um Solidarität – um das Gefühl, dass sich die Nationen des transatlantischen Bündnisses im Ernstfall aufeinander verlassen können. Die NATO bedeutet, dass einem die Freunde bedingungslos zu Hilfe eilen, wenn man angegriffen wird – so wie die NATO-Partner den USA nach dem 11. September 2001 zur Seite standen. Vor allem die Solidarität der USA mit Europa, ihr Einsatz für die Sicherheit Europas, ist der eigentliche Kern des Bündnisses. Ohne die Solidarität der USA verliert die NATO ihre Bedeutung und wird gewissermaßen irrelevant.
Bündnisse bedürfen ständiger Pflege und gehen aufgrund von Vernachlässigung genauso leicht zugrunde wie durch Vorsatz.
Trumps Infragestellung der US-Loyalität zur NATO wird geopolitische Auswirkungen haben, ganz gleich, ob er das beabsichtigt oder nicht. Auch die Europäer werden nach und nach von dem Bündnis abrücken und sich anderweitig absichern. Das mag zu höheren Verteidigungsausgaben führen, wird aber auch eine zunehmende Entkoppelung der Interessen von USA und Europa mit sich bringen. Bei den in Europa anstehenden Wahlen werden die Politiker keine Hemmungen haben, Trump öffentlich zu verunglimpfen und zu verbreiten, dass eine Anbindung Europas an Trumps Außenpolitik die europäischen Werte untergraben würde. Derlei Manöver hat Trump bisher nur selten freundlich aufgenommen, sodass weiterer transatlantischer Wirbel zu erwarten ist, der die Solidarität immer weiter unterminieren wird.
Den Feinden der NATO wird es nicht lange verborgen bleiben, dass die entscheidende Stärke des Bündnisses, seine Solidarität, geschwächt ist. Vor allem Russland könnte die Gelegenheit nutzen und Artikel 5 des NATO-Vertrags, den Bündnisfall, mit einer mittelschweren Provokation gegen ein NATO-Mitglied auf die Probe stellen. Wenn ein NATO-Mitglied verlangt, den Bündnisfall nach Artikel 5 auszurufen, und Trumps USA nicht darauf reagiert, ist die NATO sofort obsolet, ganz gleich, wieviel die NATO-Mitglieder für ihre Verteidigung ausgeben.
Das war nur ein Gedankenspiel. Der wesentliche Punkt ist aber, dass Trump die NATO auch ungewollt und ohne die Hilfe seiner Minister oder Staatsbeamten zur Bedeutungslosigkeit verdammen kann. Bündnisse bedürfen ständiger Pflege und gehen aufgrund von Vernachlässigung genauso leicht zugrunde wie durch Vorsatz.
1 Leserbriefe
Hier spricht ein Apologet der amerikanischen und deutschen Aufrüstungsindustrie, der vesucht, aus den Unvoillkommenheiten von Trump Kapital zu schlagen. Er verschweigt dabei die mittelschwere Provokation, die die NATO derzeit mit ihrem Aufmarsch im Baltikum betreibt sowie mit dem Ausbau der nuklearen Erstschlagskapazität durch die Modernisierung der u.a. hier stationierten Atomwaffen zu zielsicheren Bunkerbrechern.
Ausgerechnet die SPD hat in ihren Parteitagsbeschlüssen noch das Ziel der Auflösung der NATO und den Übergang zu enem gesamteuropäischen Friedensprojekt vermerkt.