Die Ukraine militärisch zu unterstützen, solange es notwendig ist, war seit Beginn des russischen Angriffs das Primat der europäischen und der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Dies geschah mit teils bemerkenswertem Erfolg: Die Ukraine ist weiterhin ein souveräner Staat, regiert von Kiew und nicht von Moskau.
Einen maßgeblichen Anteil daran hatten die USA, doch im Verlauf des Krieges haben die EU-Staaten ihre Unterstützung erheblich ausgeweitet und mittlerweile nahezu einen Gleichstand in der Gesamtbilanz erreicht. Dennoch bleibt unbestritten, dass die größte Last dieses Krieges von den ukrainischen Streitkräften, ihren Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilbevölkerung getragen wird.
Doch dieser Ansatz, der darauf basiert, dass allein die Ukraine entscheidet, wann über einen Waffenstillstand verhandelt wird, hat bislang nicht zum Ende des Krieges geführt. Der Westen sieht sich nun mit einem Vorwurf konfrontiert, den vor dem Krieg insbesondere Deutschland ertragen musste: keinen Plan B zu haben.
Während damals kritisiert wurde, dass die deutsche Strategie im Wesentlichen auf Gespräche setze und keine alternative Absicherung vorsehe, lässt sich nun Ähnliches über den gesamten Westen sagen. Neben der notwendigen militärischen Unterstützung der Ukraine – Plan A – fehlte es an einem durchdachten Plan B, der andere Wege in Betracht zog, um zumindest einen Stillstand der Kämpfe herbeizuführen.
Diese Politik wird nun brutal in Frage gestellt – durch einen dramatischen politischen Kurswechsel der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie der Sonderbeauftragte Washingtons für Russland und die Ukraine, Drei-Sterne-General Keith Kellogg, erklärte, sehen sich die USA nicht mehr als Teil der westlichen Unterstützer Kiews, sondern als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland. Man stehe zwischen den beiden Ländern. Zusammengefasst in den Worten von Präsidenten Donald Trump: „Ich will keinen Vorteil, ich will Frieden.“
Diese Politik wird nun brutal in Frage gestellt – durch einen dramatischen politischen Kurswechsel der Vereinigten Staaten von Amerika.
Dazu greift Trump zu rabiaten Methoden. Einerseits will er wirtschaftlich von dem Krieg profitieren, indem er ein Wirtschaftsabkommen mit der Ukraine über umfangreiche US-Investitionen in deren Mineralvorkommen abschließt. Ursprünglich sollte dieses Dokument Ende Februar geräuschlos in Washington unterzeichnet werden. Doch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wollte nicht einfach seine Unterschrift daruntersetzen – er forderte mehr, insbesondere verbindliche Sicherheitsgarantien der USA. Stattdessen wurde er vor laufenden Kameras im Weißen Haus von Trump und seinem Vizepräsidenten J.D. Vance lautstark vorgeführt – ja, fast gedemütigt.
Kellogg verteidigt dieses Vorgehen als notwendig, um die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen – denn als Partei eines Konflikts könne die USA nicht glaubhaft als Vermittler auftreten. Um diesen Kurswechsel unmissverständlich deutlich zu machen – falls es dafür überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte –, stimmten die USA zunächst in den Vereinten Nationen gegen eine Verurteilung Russlands. Kurz darauf reduzierten sie nicht nur einen erheblichen Teil ihrer militärischen Unterstützung für die Ukraine, sondern schränkten auch die Bereitstellung von geheimdienstlichen Informationen über das Kriegsgeschehen ein.
Eine Woche später deuteten die USA zumindest an, dass sie auch die andere Seite in die Pflicht nehmen wollen, um sie an den Verhandlungstisch zu bewegen. So drohte Trump eine Woche nach dem denkwürdigen Rededuell im Weißen Haus an, dass er überlege, Russland mit Sanktionen und Handelszöllen zu überziehen, weil Moskau „im Augenblick die Ukraine auf dem Kriegsschauplatz völlig in den Boden stampft“.
Die Kritik an Trumps Plan ist nicht nur in Europa, sondern auch in den USA erheblich. Politiker im Kongress betonen, dass der russische Präsident Wladimir Putin eindeutig der Aggressor in diesem Krieg sei, während sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj das Opfer eines brutalen Angriffs bleibe – und dessen geschundenes Land weiterhin Unterstützung verdiene.
Zudem wird darauf hingewiesen, dass jeder erzwungene Kompromiss letztlich als eine Niederlage für die Ukraine gewertet werden müsste. Experten weisen zudem darauf hin, dass es bisher keinen nachvollziehbaren Plan aus dem Weißen Haus gebe.
Ja, ein Waffenstillstand könnte erreicht werden – nicht zuletzt, weil auch die russische Armee eine Ruhepause benötigt. Doch von einem vorübergehenden Stillstand der Kämpfe zu einem dauerhaften Frieden zu gelangen, ist ein langer und steiniger Weg voller Hindernisse. Dafür wären zahlreiche diplomatische und sicherheitspolitische Instrumente erforderlich, die bereits während des Kalten Krieges entwickelt und geschärft wurden. Dazu gehört die Festlegung einer klaren Demarkationslinie, der beidseitige Abzug schwerer Waffensysteme sowie die konsequente Überprüfung der vereinbarten Maßnahmen auf beiden Seiten.
Russland hat sich in der Vergangenheit wiederholt geweigert, internationale Beobachter auf seinem eigenen Territorium zuzulassen.
Genau hier liegt jedoch eine zentrale Herausforderung: Russland hat sich in der Vergangenheit wiederholt geweigert, internationale Beobachter auf seinem eigenen Territorium zuzulassen. Und schließlich stellt sich die heikle Frage nach möglichen Friedenstruppen: Aus welchen Ländern sollten sie stammen? Welche Nationen würden von beiden Seiten als neutral genug akzeptiert, um in einem solchen Einsatz eine Rolle zu spielen?
Doch sind es wohl mehr andere Faktoren, die nicht nur ein längeres Schweigen der Waffen ermöglichen, sondern eben auch den Beginn ernsthafter Friedensgespräche einleiten könnten. Dabei geht es vor allem um das Engagement der beteiligten Seiten und die Bereitschaft, keine militärischen Mittel mehr einzusetzen, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Gerade an diesem Punkt kommt bei Diplomaten, Experten und Politikern immer wieder die Frage auf, welche Ziele Moskau tatsächlich verfolgt und welche nur vorgeschoben sind.
Sind die russischen Maximalforderungen vor dem Krieg tatsächlich so zu interpretieren, wie es ein sowjetischer Diplomat einst im Rückblick auf die Verhandlungen zur Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vor 50 Jahren beschrieb? Damals erklärte er die sowjetische Taktik sinngemäß so: Zunächst behauptet Moskau, ein Hund habe sechs Beine. Im weiteren Verlauf der Gespräche könne man sich dann bereit zeigen, fünf Beine gelten zu lassen.
Die amerikanische Seite betont, dass sie auf alle Eventualitäten vorbereitet sei. Zum einen, so Kellogg, sei Trump ein Friedensmacher; zum anderen verfolge man mit dem nun eingeschlagenen transaktionalen Diplomatieansatz – ebenfalls Kelloggs Worte – einen neuen, unkonventionellen Weg. Gleichzeitig verweist Washington darauf, dass dieser Prozess erst am Anfang stehe und Zeit brauche, um Wirkung zu entfalten. Und doch birgt dieser personell geprägte Ansatz des politischen Geschäftemachens eine große Schwäche – dass er eben von einer Person geprägt ist.
Die amerikanische Seite betont, dass sie auf alle Eventualitäten vorbereitet sei.
Zwar ist es richtig, dass sich die verschiedenen außenpolitischen Fraktionen im Weißen Haus – Isolationisten, „China-Priorisierer“ und klassische Weltmächte-Denker – darin einig sind, Gespräche mit Moskau zu führen, da der bisherige Ansatz den Krieg nicht beendet hat. Die Republikaner wissen dabei die Mehrheit ihrer Wähler hinter sich, während bei den demokratischen Wählern weniger Zustimmung besteht.
Doch die von Trump angestrebte Abkehr von traditionellen Allianzen zugunsten bilateraler Kooperationen mit strategischen Mächten wie China und Russland oder kurzfristiger Ad-hoc-Allianzen zur Durchsetzung eigener Ziele ist weder institutionell abgesichert noch mehrheitsfähig. Daher taugt sie kaum als stabiles geopolitisches Organisationsprinzip.
Für die Staaten der EU und die EU selbst bedeutet diese amerikanische kopernikanische Wende, dass Washington vermutlich seine Unterstützung für die Ukraine nicht nur kurzfristig, sondern ganz einstellen wird. Dies hat weniger mit einem Friedensdeal mit Russland zu tun als mit der tiefen Überzeugung im Weißen Haus, dass die EU nun endlich für ihre eigene Sicherheit aufkommen solle. Das Verständnis, die Europäer hätten die Amerikaner ausgenutzt, ist in Washington tief verwurzelt – nicht erst seit den Trump-Präsidentschaften. Dieser Ärger ist auch der Grund für die Ankündigungen Washingtons, in naher Zukunft Zölle auf europäische Exporte in die USA zu erheben.
Das Verständnis, die Europäer hätten die Amerikaner ausgenutzt, ist in Washington tief verwurzelt.
Brüssel und allen voran Deutschland werden sich deshalb dringend um mehrere Dinge gleichzeitig kümmern müssen.
Erstens, in der Wirtschaftspolitik gilt es, die Balance zwischen militärischer Aufrüstung auf der einen Seite und sozialem sowie demokratischem Zusammenhalt auf der anderen Seite zu wahren – insbesondere angesichts der zu erwartenden hohen Kosten.
Zweitens, in der Sicherheitspolitik muss die EU die Ukraine wirtschaftlich und militärisch so unterstützen, dass sie nach einem möglichen Abkommen weiterhin souverän bleibt und langfristig Sicherheit, Stabilität und Wohlstand aufbauen kann.
Drittens, in der Außenpolitik sollte Europa in den Gesprächen über ein zukünftiges europäisches Sicherheitsarrangement eine gestaltende Rolle einnehmen. Nach der aktuellen Sachlage bedeutet das, mit allen relevanten Akteuren zu verhandeln – einschließlich Russland.
Das generöse Amerika, das sich seit 1945 in nicht geringem Maße an Normen und Gesetze gehalten hat, ist dabei, diesen Kurs aufzugeben und sich erneut grundlegend neu zu definieren. Es sieht sich nun als eine ungebundene Großmacht, die traditionelle Allianzen wie die NATO für zu kostspielig, internationale Organisationen wie die WHO für überflüssig und Soft Power-Instrumente wie USAID für irrelevant hält – und stattdessen einzig sich selbst als Maßstab aller Dinge betrachtet.
Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sich mit den kommenden Präsidentschaftswahlen – unabhängig vom Ausgang – all diese Grundsätze unmittelbar ändern werden. Doch diese Hoffnung darf keinesfalls die Grundlage europäischer Politik sein.
Zumal Demokraten und Republikaner einig darin sind, dass sich die USA nicht mehr gleichzeitig intensiv mit mehreren Problemregionen befassen können. Dies liegt jedoch nicht primär an einer eigenen Schwäche – wirtschaftlich und militärisch sind die USA nach wie vor eine dominierende Macht. Vielmehr resultiert es daraus, dass einige der stärkeren Verbündeten, insbesondere Deutschland und Japan, wirtschaftlich und militärisch schwächeln und daher nicht die erwartete Unterstützung leisten. Diese Einsicht scheint in Europa inzwischen angekommen zu sein. Daraus sollte jedoch keine Abkehr von den USA folgen, wohl aber ein veränderter Umgang mit der transatlantischen Partnerschaft.