Eine umfassende Überprüfung der Arbeit der Europäischen Zentralbank, nicht weniger kündigte die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihrer ersten Pressekonferenz im Dezember an. Die EZB „muss sich mit jedem Thema befassen, wird jeden Stein umdrehen und ihre Zeit brauchen, aber nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen", sagte sie.

Eine solche Analyse ist längst überfällig. Die letzte dieser Art fand im Jahr 2003 statt. Sie ist auch dringend notwendig. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger des Euro-Währungsgebiets in die EZB schwindet. Laut Eurobarometer ist das Vertrauen während der Krise der Eurozone 2010 gesunken und hat sich seitdem nur unwesentlich erholt. Zwar hat die Bank ihren Auftrag erfüllt und es ist ihr erfolgreich gelungen, die Wirtschaft der Eurozone anzukurbeln. Die Kommunikation der bestehenden Strategie ist jedoch völlig gescheitert.

Eine Strategie der Zentralbank hat zwei zentrale Funktionen: die Interpretation ihres Auftrags und die Ausarbeitung eines entsprechenden Analyserahmens. Im Falle der EZB wird das Mandat durch Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erteilt:

„Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden "ESZB") ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen.“

Eine Strategie der EZB muss also eine konkrete Definition von „Preisstabilität" enthalten und sich damit befassen, wie die EZB die in Artikel 3 festgelegten Ziele verwirklichen kann. Als Heuristik sollte hierbei ein Rahmen entworfen werden, der beschreibt, wie die EZB versucht, ihren Auftrag im Tagesgeschäft zu erfüllen. Dies kann die Komplexität der Entscheidungsfindung einer Zentralbank so reduzieren, dass sie zumindest für die informierte Öffentlichkeit verständlich ist.

Es bleibt die Frage, ob die EZB der Praxis einiger Zentralbanken folgen und einen konkreten Korridor für ihr Inflationsziel ankündigen sollte.

Im engeren Sinne könnte „Preisstabilität" als eine Inflationsrate von null Prozent verstanden werden. Aber wenn eine Zentralbank versucht, in normalen Zeiten eine Nullinflation zu erreichen, wird jeder negative Nachfrage- oder Angebotsschock die Wirtschaft in eine Deflation treiben. Bekanntlich macht es die untere Grenze für Zinssätze bei null Prozent sehr schwierig, die Deflation zu bekämpfen, die sich dann zu einer chronischen Krankheit entwickeln kann. Darüber hinaus würde in einer Währungsunion eine durchschnittliche Inflationsrate von null Prozent auch in normalen Zeiten eine Deflation in mehreren Mitgliedsstaaten erfordern.

Die Gefahr einer Deflation spricht auch gegen ein Inflationsziel von einem Prozent. Daher haben sich die meisten Zentralbanken in den entwickelten Ländern für ein Inflationsziel von zwei Prozent als Mittelwert entschieden. In ihrer strategischen Überprüfung von 2003 entschied sich die EZB für ein Ziel von „unter, aber nahe zwei Prozent auf mittlere Sicht". Es ist nicht ersichtlich, dass eine Revision erforderlich ist: Auch wenn ein klares Ziel von zwei Prozent vielleicht vorzuziehen wäre, würde dies keine grundlegende Änderung der Politik bedeuten.

Im Jahr 2003 hat die EZB nicht explizit angegeben, ob das Inflationsziel asymmetrisch oder symmetrisch ist. Aber schon der Fokus auf die „mittlere Frist" verdeutlicht, dass die Bank nicht versucht, an der Inflation zu feilen. Und in der jüngeren Vergangenheit zeichnete sich die Symmetrie des Ziels ab. So bemerkte beispielsweise der damalige EZB-Präsident Mario Draghi auf einer Pressekonferenz im März 2016:

„Unser Auftrag ist definiert als das Erreichen einer Inflationsrate, die nahe zwei Prozent liegt, aber mittelfristig unter zwei Prozent. Wenn die Inflationsrate also lange Zeit unter zwei Prozent lag, wird sie eine Zeit lang über zwei Prozent liegen müssen. Der entscheidende Punkt ist, dass der EZB-Rat das Ziel der Preisstabilität auf mittlere Sicht symmetrisch definiert.“ Die Symmetrie des Ziels könnte jedoch noch expliziter gemacht werden.

Zudem bleibt die Frage, ob die EZB der Praxis einiger Zentralbanken folgen und einen konkreten Korridor für ihr Inflationsziel ankündigen sollte. Verglichen mit der Mehrdeutigkeit der derzeitigen Definition könnte das jedoch die Glaubwürdigkeit der EZB schmälern, wenn ein bestimmter Schock die Inflation aus dem Korridor herausführen würde.

Der Klimawandel muss zuallererst von den Regierungen und nicht von den Zentralbanken angegangen werden.

Auf der Pressekonferenz im letzten Jahr versprach Lagarde, die Strategie der EZB mit einem grünen Schwerpunkt zu versehen: „Wir werden den Klimawandel aufgreifen, wir werden den Kampf aufnehmen, der von der Europäischen Kommission und, wie ich hoffe, auch von anderen europäischen Institutionen aufgenommen wird, und sehen, wo und wie wir uns an diesem speziellen Unterfangen beteiligen können." Dagegen hatte Bundesbankpräsident Jens Weidmann einige Wochen zuvor gewarnt, dass eine Geldpolitik Gefahr läuft, überlastet zu werden, wenn sie sich explizit an Umweltzielen orientiert.

Der Klimawandel muss zuallererst von den Regierungen und nicht von den Zentralbanken angegangen werden. Die Regierungen verfügen über wirksame Instrumente zur Bekämpfung des Klimawandels, darunter Kohlenstoffsteuern und Subventionen für erneuerbare Energien, kohlenstofffreie Mobilität und energieeffizientere Wohnungen und Produktionsverfahren.

Wenn die öffentlichen Ausgaben für den Kampf gegen den Klimawandel nicht aus den laufenden Einnahmen finanziert werden können, sollten sie durch Defizite finanziert werden. Da die Vorteile der Klimapolitik den jüngeren Generationen zugutekommen, gibt es keinen Grund, eine Defizitfinanzierung auszuschließen. In der Eurozone wird dies eine flexiblere Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfordern, aber dies ist kein unüberwindbares Hindernis.

Für die Finanzierung öffentlicher und privater grüner Projekte gibt es bereits mächtige öffentliche Banken, wie zum Beispiel die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland.

Für die Finanzierung öffentlicher und privater grüner Projekte gibt es bereits mächtige öffentliche Banken, wie zum Beispiel die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland. Auf europäischer Ebene ist die Europäische Investitionsbank (EIB) eine starke Institution, die ein breites Spektrum an grünen Investitionen finanziert.

Am 14. November hat der Verwaltungsrat der EIB eine neue Strategie für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit verabschiedet: Die EIB-Gruppe wird in dem kritischen Jahrzehnt bis 2030 Investitionen in Höhe von einer Billion Euro mobilisieren. Sie versucht, den Anteil ihrer Finanzierungen, die dem Klimaschutz und der ökologischen Nachhaltigkeit dienen, bis 2025 auf 50 Prozent zu erhöhen.

Im Vergleich dazu ist der Beitrag der Zentralbanken nicht so offensichtlich. Die Verantwortung der EZB für die Klimapolitik lässt sich aus Artikel 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ableiten. Dort wird „ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität“ als Kernziel der Union genannt. Dies wirft jedoch die Frage auf, welche konkreten Instrumente die EZB zur Unterstützung des Kampfes gegen den Klimawandel einsetzen könnte. Es gibt im Kern zwei Möglichkeiten: ihr Handlungsrahmen für Sicherheiten bei der Refinanzierung von Geschäftsbanken und ihre Anleihekäufe im Bereich der Vermögenswerte.

Es könnte zu einem Konflikt zwischen Klimapolitik und makroökonomischer Stabilität kommen, die sogar das Hauptziel der Preisstabilität beeinträchtigen könnte.

Das Eurosystem - die Zentralbanken der Mitgliedsstaaten und die EZB - stellt Kredite nur gegen angemessene Sicherheiten zur Verfügung. Die Zulässigkeit von Sicherheiten wird von den nationalen Zentralbanken nach den im rechtlichen Rahmen des Eurosystems für geldpolitische Instrumente festgelegten Kriterien beurteilt. Eine Option zur Unterstützung „grüner Unternehmen" könnte darin bestehen, die Anforderungen an die Qualität solcher Sicherheiten zu reduzieren. Dies würde jedoch dazu führen, zwischen Finanzstabilität und Klimapolitik abzuwägen, was dringend vermieden werden sollte.

Ein anderer Weg wäre der Ausschluss von Vermögenswerten, die mit „braunen Unternehmen" verbunden sind. Banken, die nicht über eine ausreichende Menge an „grünen Sicherheiten" als Ersatz verfügen, würden damit jedoch ihre Refinanzierung bei der EZB reduzieren. Das hätte negative Folgen für ihre Kreditvergabe und die Realwirtschaft. Zudem könnte es zu einem Konflikt zwischen Klimapolitik und makroökonomischer Stabilität führen, die sogar das Hauptziel der Preisstabilität beeinträchtigen könnte. Die Diskriminierung der „braunen Unternehmen" im Umgang mit Sicherheiten sollte daher nur eine mittelfristige Option sein, um den Banken genügend Zeit zur Anpassung zu geben.

Was den Kauf von grünen Anleihen betrifft, hat der Wirtschaftswissenschaftler Paul de Grauwe vorgeschlagen, dass die EZB Anleihen der EIB aufkaufen und damit indirekt das grüne Investitionsprogramm der EIB in Höhe von einer Billion Euro finanzieren sollte. Aber angesichts des ausgezeichneten Ratings dieser Institution und einer Gesamtbilanz der EIB von mehr als 500 Milliarden Euro ist nicht klar, warum die EIB eine solche Unterstützung durch die EZB nötig haben sollte.

Die EZB könnte außerdem beschließen, nur Anleihen von Unternehmen zu kaufen, die eine andere Institution als ‚grün‘ eingeschätzt hat. Auch hier könnte die Diskriminierung von „braunen Anleihen" zumindest kurzfristig zu einem Konflikt zwischen Klimapolitik und makroökonomischer Stabilität führen, wenn es kein ausreichendes Angebot an grünen Anleihen gäbe. Und angesichts des wachsenden Interesses vieler privater Investoren an letzteren ist wiederum fraglich, ob eine solche Unterstützung durch die EZB wirklich notwendig ist.

Dies wirft das allgemeinere Problem auf, ob die EZB zu einer dauerhaften Finanzierungsinstitution für grüne Privatinvestitionen werden sollte. Dies auf eine „marktneutrale" Weise zu tun, dürfte sehr schwierig werden, so dass die EZB die Funktionen der EIB nachbilden müsste. Dies würde nicht nur die Arbeitsteilung dieser beiden europäischen Institutionen verwischen. Es würde die EZB zusätzlich zu einem Konkurrenten der Privatbanken machen, für die die Finanzierung des ökologischen Umbaus der gesamten Wirtschaft ein vielversprechendes Geschäftsmodell ist.

Mit anderen Worten: Der Platz der EZB sollte nicht an der Spitze des Kampfes gegen den Klimawandel sein. Dieser ist in erster Linie Aufgabe der Regierungen der Mitgliedsstaaten und der bestehenden Entwicklungsbanken, die über wirksame Mittel verfügen. Die EZB sollte nur dann mit Anleihekäufen aktiv werden, wenn größere Finanzierungsprobleme auftreten. Und selbst in diesem Fall sollte sie sich auf Staats- oder EIB-Anleihen konzentrieren.

Aus dem Englischen von Marius Mühlhausen.

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.