Im Juli überstieg die Zahl der Migranten, die an den Grenzen der Europäischen Union ankamen, die 100 000 – es war der dritte Monat in Folge, in dem ein neuer Höchststand erreicht wurde. In einer einzigen Augustwoche trafen in Griechenland 21 000 Migranten ein. Touristen auf griechischen Inseln beschwerten sich, dass ihr Sommerurlaub nun mitten in einem Flüchtlingslager stattfinde.
Die Auswirkungen der Flüchtlingskrise sind aber natürlich viel dramatischer. Letzte Woche wurden in Österreich in einem ungarischen Lastwagen, der in der Nähe von Wien abgestellt worden war, die verwesenden Leichen von 71 Migranten gefunden. Und mehr als 3500 Menschen sind allein in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken, die meisten bei dem Versuch, von Nordafrika nach Italien überzusetzen.
Migranten, die es bis nach Frankreich geschafft haben, leben nun bei Calais in Zelten und warten auf die Chance, an Bord eines Güterzuges durch den Kanaltunnel nach England zu gelangen. Auch dort kommen immer wieder Menschen zu Tode, wenn sie vom Zug fallen oder überfahren werden.
Dabei ist die Zahl der Flüchtlinge in Europa verglichen mit anderen Ländern klein. In Deutschland wurden mehr Asylanträge gestellt als in jedem anderen europäischen Land, doch mit 6 Flüchtlingen auf 1000 Einwohner beträgt die Quote ein Drittel derer in der Türkei mit 21 Flüchtlingen auf 1000 Einwohner, und diese wiederum ist winzig im Vergleich zu den 232 Flüchtlingen, die im Libanon auf 1000 Einwohner kommen.
Ende 2014 gab es Schätzungen der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR zufolge weltweit 59,5 Millionen Flüchtlinge. Das ist der höchste Stand, der je verzeichnet wurde. 1,8 Millionen von ihnen warten auf die Bewilligung ihres Asylantrags, 19,5 Millionen sind aus ihrem Land geflohen, die übrigen im eigenen Land auf der Flucht.
Aus Syrien, Afghanistan und Somalia kommen die meisten Flüchtlinge, doch viele fliehen auch aus Libyen, Eritrea, der Zentralafrikanischen Republik, dem Südsudan, Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo. In Asien ließ in letzter Zeit die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar die Flüchtlingszahlen steigen.
Wir können es den Menschen natürlich nicht vorwerfen, dass sie ein von Krieg und Armut geplagtes Land verlassen, um anderswo ein besseres Leben zu finden. Wir würden in ihrer Situation dasselbe tun. Doch es muss Wege geben, wie man besser auf ihre Bedürfnisse reagieren kann.
Einige kühne Vordenker raten zu einer Welt mit offenen Grenzen, weil sich auf diese Art das globale Bruttoinlandsprodukt wie auch das globale Glück ungemein steigern lasse. Eine solche Argumentation übersieht jedoch die beklagenswerten fremdenfeindlichen Tendenzen unserer Spezies, die sich allzu deutlich in der steigenden Popularität rechtsextremer Parteien in Europa ausdrücken.
In absehbarer Zukunft wird keine Regierung für alle, die kommen wollen, ihre Grenzen öffnen. Die Entwicklung geht vielmehr in die entgegengesetzte Richtung: Serbien und Ungarn bauen Zäune, um die Flüchtlinge fernzuhalten, und es wird bereits darüber diskutiert, im Schengen-Raum, in dem derzeit zwischen 26 europäischen Ländern Reisefreiheit garantiert ist, wieder Grenzkontrollen einzuführen.
Statt sich aber einfach nur abzuschotten, sollten wohlhabende Länder die weniger wohlhabenden, die viele Flüchtlinge beherbergen, unterstützen: Nahe liegende Beispiele sind der Libanon, Jordanien, Äthiopien und Pakistan. Wenn Flüchtlinge in einem Nachbarland in Sicherheit leben, begeben sie sich nicht so leicht auf die gefährliche Reise in ferne Regionen und kehren auch eher wieder nach Hause zurück, wenn der Konflikt beigelegt ist. Eine internationale Unterstützung der Länder, die die größte Last tragen, ist auch wirtschaftlich sinnvoll: In Jordanien entstehen für einen Flüchtling Kosten von etwa 3000 Euro im Jahr, in Deutschland liegen diese Kosten bei über 12 000 Euro.
Nicht zuletzt aber gilt es, einen, wie viele finden, sakrosankten und unveränderbaren Text neu zu überdenken: die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen. Das im Jahr 1951 getroffene Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge galt ursprünglich nur für Personen innerhalb Europas, die auf der Flucht waren vor Ereignissen, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten waren. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, Flüchtlinge aufzunehmen, die auf ihr Staatsgebiet gelangten, unter Gleichbehandlung und Straffreiheit für Verstöße gegen Einreisegesetze. Flüchtlinge waren per Definition Menschen, die aufgrund einer begründeten Angst vor Verfolgung wegen „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung“ nicht in ihr Land zurückkehren konnten oder wollten.
Die Kernfrage wurde nie gestellt: Warum sollte jemand, der in ein anderes Land reisen kann, Vorrang haben gegenüber anderen, die in Flüchtlingslagern sind und nicht reisen können?
Im Jahr 1967 wurden die zeitlichen und geografischen Einschränkungen gestrichen, sodass die Flüchtlingskonvention universell Geltung hatte. Das war großzügig, doch die Kernfrage wurde nie gestellt: Warum sollte jemand, der in ein anderes Land reisen kann, Vorrang haben gegenüber anderen, die in Flüchtlingslagern sind und nicht reisen können?
Reiche Länder haben die Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen, und viele von ihnen können und sollten mehr aufnehmen, als sie es derzeit tun. Doch mit der wachsenden Zahl der Menschen, die Asyl suchen, wird es für die Gerichte immer schwieriger zu entscheiden, wer nach der Genfer Konvention ein Flüchtling ist und wer ein Migrant, der in einem reicheren Land ein besseres Leben anstrebt.
Die Genfer Konvention hat auch eine neue skrupellose und oft tödliche Schlepperindustrie entstehen lassen. Wenn diejenigen, die in einem Nachbarland Asyl beantragen, in einem Flüchtlingslager unterkämen, in dem sie vor Verfolgung sicher sind, und von den wohlhabenden Länder finanziell unterstützt würden, so würde das den Schleppern das Handwerk legen – und viele Opfer auf der Reise verhindern. Darüber hinaus würde für Wirtschaftsmigranten der Anreiz, Asyl zu beantragen, sinken, und die reichen Länder könnten ihrer Verantwortung nachkommen, mehr Flüchtlinge aus den Lagern aufzunehmen, ohne die Kontrolle über ihre Grenzen einzubüßen.
Das mag nicht die beste, könnte aber die praktikabelste Lösung sein. Sicherlich ist sie um einiges besser als das Chaos und die Tragödien, die viele Flüchtlinge derzeit erleben.
Menschen wegzuschicken, die es in unser Land geschafft haben, fällt schwer, selbst wenn wir sie in ein sicheres Land abgeben. Aber wir sollten auch Mitleid mit den Millionen von Menschen haben, die in Flüchtlingslagern warten. Auch ihnen müssen wir Hoffnung geben.
© Project Syndicate
20 Leserbriefe
Es ist absehbar, dass in dem immer weiter so, Frustationen entstehen, aus denen dann Aggressionen entstehen, die eigentlich keiner bei uns so will.
Seit Bericht Club of Rom weiß man, dass immer mehr Menschen in der Zukunft ihre Länder verlassen müssen, vor allem wegen des Klimawandels, der vermehrten Hungersnöte und Wasserknappheit....
Manfred Fischer - Mannheim
Sie sind lediglich die Sachwalter ihrer Geldgeber.
Dazu braucht man die ganze Welt z.B. > UN
Am besten über ständige Hilfsfonds durch alle Staaten, die in der UN vertreten sind.
Alles andere ist nur ein Durchwurschteln.........
Manfred Fischer - Mannheim
Und die Frage "Warum sollte jemand, der in ein anderes Land reisen kann, Vorrang haben gegenüber anderen, die in Flüchtlingslagern sind und nicht reisen können?" ist keineswegs die Kernfrage, sondern falsch gestellt. Es ist nun einmal so, dass die Menschen verschieden sind und verschiedene Möglichkeiten nutzen. Die Alternative wäre ein menschenunwürdiges Zwangssystem.
Die Kernfrage ist vielmehr: Warum sollte jemand, der in Europa geboren wurde, mehr Rechte haben, als jemand, der in Asien oder Afrika geboren wurde? In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es ja nicht umsonst: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."
Zu glauben, man könnte sich die Probleme vom Hals schaffen, indem man einige Ärzte und etwas Geld in Flüchtlingslager schickt, zeugt von kolonialistischer Arroganz.
Diese UN Organisationen und Unterorganisationen und Entwicklungshilfe gibt es und hat es seit über 40 Jahren gegeben. Es sind über die UN, die EU, die einzelnen reichen Länder bereits Milliarden und Abermilliarden in die armen Länder geflossen. Was hat es gebracht? Offensichtlich nichts! Und man kann nur geben, solange man reich ist. Wenn der Topf leer ist, dann sind die alle schnell weg und wir stehen da wie die Deppen!
Wenn ein Land wie Deutschland einfach die Grenzen öffnet und dazu ein Willkommen ruft, während andere es nicht tun, naja dann gehen alle, die fliehen wollen, nach Deutschland, jedenfalls jene die es finanziell und physisch können. So kann es leider nicht gehen. Denn viele der 80 Mio. Deutschen haben weder die Macht, die Grenzen zu öffnen, noch die Mittel alle zu unterstützen,noch haben sie "Willkommen" gerufen. Die Macht der Medien zeigt sich auch hier. Und wer hier wen manipuliert , bleibt leider im Dunklen. sichtbar ist allerdings, das die deutsche Politikerklasse zur Zeit mit diesem Thema scheinbar unaufhörlich beschäftigt wird, statt sich zumeispiel um Südeuropa zu kümmern, um mehr Kinderbetreuung. Mehr Pflege etc. um die Ukraine zumal, oder gar die Kurden. Eine Art Destabilisierungsversuch , könnte man fast versuchen.
Wohlhabend sind viele Länder des Nahen Ostens, mit all den Ölmilliarden der Vergangenheit liesse sich da doch etwas auf die Beine stellen.
Hilfe für Syrien, mit dem Hintergedanken, nachher am Aufbau wieder zu profitieren ? Hier hör ich lieber auf, alles sehr komplex
schlepper wird es auch geben, wenn die grenzen geoeffnet werden, um ohne gefahr fuer leib und leben zu uns zu gelangen, um bei uns asyl zu beantragen.
die schlepper werden dann fuer diejenigen die letzte hoffnung sein, deren asylantraege abgelehnt wurden, die aber unbedingt zu uns wollen.
die schlepper wird es dann nicht mehr geben, wenn die grenzen fuer alle geoeffnet werden, damit sie bleiben koennen. das aber wird dann richtig ungemuetlich. denn die zahl der menschen, die voller hoffnungen und leider oftmals auch unfassbaren illusionen auf dem weg zu uns sind, ist um ein vielfaches hoeher als derjenigen, die sich bereits zu uns durchgeschlagen haben.
zuwanderungsstroeme dieser dimensionen sind nur verkraftbar, wenn die einheimische bevoelkerung nicht den eindruck hat, sie muesse in erheblichem umfang verzichten.
doch genau das geschieht bereits.
denn die mehrzahl der fluechtlinge konkurriert eben nicht mit den jobs und den wohnungen unserer eliten, die die grosse klappe haben mit "wir schaffen das!"
denn mit wir sind nie die reichen und superreichen familien dieses landes gemeint, die so merkwuerdig still geworden sind.
mit wir sind immer die normal- und kleinverdiener gemeint. die sollen solidaritaet zeigen, zusammenruecken, abgeben.
so aber funktioniert das auf dauer nicht.
Darin liegt das eigentliche Problem.
Die EU scheint bis heute hierbei nur wenig verstanden zu haben.
Was vor allem getan werden muss, die Entwicklungshilfe und die Hilfsfonds für die Flüchtlingslager im Nahen Osten nach oben aufzustocken.
Hierbei hat die ganze Welt ihren Beitrag zu leisten.....
Manfred Fischer Mannheim
Die Kernfrage wurde nie gestellt: Warum sollte jemand, der in ein anderes Land reisen kann, Vorrang haben gegenüber anderen, die in Flüchtlingslagern sind und nicht reisen können?
Die Kernfrage ist doch warum helfen wir diesen Menschen und bevorzugen Sie!? Zumal sie oft Migranten (Menschen die ein "besseres leben" suchen) und eben keine "VERFOLGTEN" Flüchtlinge (Menschen, die aufgrund einer begründeten Angst vor Verfolgung wegen „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung flüchten) sind!
Man kann auch nicht bei jedem Konflikt mitlitärisch eingreifen, erst via Luftschlägen und dann auf den Boden. Eine "Weltpolizei" würde scheitern und ist schon immer gescheitert.
Die Aufnahme von Flüchtlingen erfolgt auf sehr emotionalen Gründen unter Mißachtung von Verträgen und Gesetzen.
Alle Menschen aus Nordkorea und ganz China, aber insbesondere z.B. Tibet hätten allen Grund wegen Verfolgung und Menschenrechten zu flüchten.
Fast alle Menschen aus Afrika haben triftige Gründe aus wirtschaftlichen Gründen zu flüchten.
Die Vielfalt auf diesem Planeten besteht nicht nur in den Unterschieden von Hautfarben etc. sondern auch in der Kultur und der Lebensweise sowie dem Lebens- und Wirtschaftsniveau.
Das war schon immer so, fast jeder Teil der Welt war mal mit Wohlstand und Hochkultur gesegnet, fast jeder Teil mit primitiven Lebensverhältnissen.
Das gehört zur Normalität !
Der Wunsch die Welt zu beglücken und zu befrieden und einen Himmel auf Erden zu schaffen .... ist ehrenvoll... aber Bedarf einer weiteren Menschheitsentwicklung von ca. 10.000 Jahren.
Bis dahin wird der Weg der Menschheit auf allen Kontinenten mit Blut, Schmerz, Krankheit, Krieg und Ungerechtigkeit gepflastert bleiben.
Alles andere ist naive Traumtänzerei !
Bürgerkriege beenden und aktiven Wiederaufbau betreiben.
Syrien wäre jetzt die größte Wirtschaftsmacht in der Region gewesen, mit einem Präsidenten an der Spitze, der allen Religionen seine Freiheiten ließ. Die Bezeichnung Diktator muss unterlassen werden. Es gibt Länder genug, die sich Demokratie nennen und nicht daran denken, sich demokratisch zu verhalten.
Regimwechsel a la USA müssen gestoppt werden und bei Demonstrationen haben andere Länder sich zurückzuhalten. Keine Waffen und keine Unterstützung. Alle müssen lernen, politisch ihre Probleme zu lösen und nicht mit Waffengewalt.
Was bisher geschah sind ausufernde Bügerkriege, eine Goldgrube für manche Regierung (auch unsere). So etwas muss gestoppt und auch benanant werden.
Dieser ganze neue Reichtum geht auf Kosten von Menschen, die zu Flüchtlingen gemacht werden und unserer Gesellschaft, denn wir haben, egal wie freundlich oder unfreundlich wir Flüchtlingen gegenüber stehen, eine Kollektivschuld.
Darüberhinaus ist Einwanderung ein Prozess, der normalerweise langsam geschieht und die Altersklassen normal verteilt sind. Jetzt ist dies nicht der Fall.
Und wenn diese dann trotzdem zu uns einfach hereinströmen? Was dann? ...
Gibt es da in der Schublade nicht schon EU - festgeschriebene Notverordnungsgesetze, die da dann zur Anwendung gelangen?
Manfred Fischer
Der oben beschriebene Ansatz ist nachvollziehbar, aber noch lange nicht ausgereift. Ich bin auch der Meinung, dass es besser wäre, diese Menschenmassen in der Nähe ihre Heimat zu lassen.
Doch meine Kernfrage lautet: "Wenn das "reiche" Deutschland bei 6/1000 schon jammert und Libanon schon jetzt 232/1000 aufnimmt, wie sehe es aus, wenn die umliegenden Nationen noch mehr aufnehmen müssten? Deutschland ist ja schon mit 6/1000 überfordert."
Ein zur Zeit nicht realiserbares Projekt. Aber der Ansatz ist auf jeden Fall gut und zum weiter entwickeln.
Hier gibt es keinen Konsens höchstens vielleicht Toleranz...
Diese Probleme treten jetzt schon bei uns in den Flüchtlingsunterkünften auf. Siehe Beispiel Karlsruhe wo 400 Flüchtlinge Christen und Moslems, die mit dem Anderen nicht klar kommen......
Was bedeutet das aber überhaupt so für das weitere Zusammenleben aller hier in der BRD?
Manfred Fischer - Mannheim