China

Chinas Klima- und Umweltpolitik liefert widersprüchlichste Schlagzeilen: China ist weltweit der größte CO2-Emittent, baut rasant neue Kohlekraftwerke im eigenen Land, auch entlang der „Neuen Seidenstraße“, und wird erst um 2030 sein Maximum beim Ausstoß von Treibhausgasen erreichen. Andererseits ist China der größte Erzeuger von Solar- und Windanlagen, erfreut sich schnell wachsender Elektromobilität, betreibt Pilotprojekte zu Wasserstoffnutzung und Brennstoffzellentechnik und hat innovative Technik für Stromtransporte bereits installiert.

Diese Superlative erklären sich zunächst aus der schieren Größe des Landes. Und zu den Fairness-Kriterien von Einsparzielen: International vergleichbar ist allein die Emission umweltschädlicher Gase pro Kopf der Bevölkerung. Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen konsumieren mehr Energie als ärmere Länder oder Länder der mittleren Pro-Kopf-Einkommensklasse wie China, sie sollten daher stärker einsparen. Ein weiterer Aspekt: Länder mit einem hohen Anteil industrieller Fertigung – wie China – erzeugen eine Einheit Sozialprodukt energieintensiver als gleichreiche Länder mit hohem Dienstleistungsanteil.

In den jahrelangen Verhandlungsprozessen auf dem Weg zum Pariser Klimaschutzabkommen sind alle diese Aspekte international debattiert worden. Der jahrelange Abwägungsprozess konnte schließlich in ein Verhandlungsergebnis gegossen werden, das damals als beispielhaft galt. Chinas Rolle in Paris wurde als besonders konstruktiver Beitrag zur Lösungsfindung gewürdigt. Inzwischen hat es seine Paris-Verpflichtungen für 2020 bereits vorzeitig erfüllt. Angesichts der zunehmenden Einschätzung, dass viele andere Vertragsstaaten ihre Zusagen nicht erfüllen werden, und dass die CO2–Messwerte weltweit steiler ansteigen als prognostiziert, wächst nun der Anspruch an China, ehrgeizigere Ziele zu formulieren und insbesondere den Einsatz von Kohle zur Strom- und Wärmeerzeugung schneller herunterzufahren, als in Paris zugesagt.

Ein Konflikt zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Zielen wird auch in China mit großer Klarheit konstatiert.

Bis etwa 2006 war die Bedeutung von Klima- und Umweltpolitik in China gering. Erst im Zuge der Vorbereitungen auf die Olympiade 2008 in Peking wurde ein Umdenken erkennbar, und das vor allem wegen der Luftverschmutzung in den großen Städten. Misst man Chinas Ambitionen an den Investitionen in erneuerbare Energieerzeugung, bemerkt man einen kontinuierlichen Anstieg der Anstrengungen, der im Jahr 2017 bislang sein Maximum erreicht hat. Als Instrumente wurden massive Subventionen in die Solarindustrie eingesetzt, während die deutsche Produktion derweil steil bergab ging, aber auch in die Windenergie und die E-Mobilität wurde massiv investiert. China galt als Motor des Wandels für nachhaltige Entwicklung.

Danach knickt die Kurve deutlich ab. Die amerikanischen Wahlen 2016 haben eine Wende in Chinas internationalem Referenzrahmen erzeugt. Es beginnt sich ein wirtschaftlicher Außendruck aufzubauen, der Chinas wirtschaftlichen Fortschritt bremsen soll. Wirtschaftliche Ungleichgewichte im Inneren kommen hinzu: Die hohe Verschuldung einiger Provinzen und Staatsunternehmen, die Größe von Schattenbanken und das Finanzierungsgebaren einiger schnell wachsender Unternehmen erscheinen bedrohlich. Diese Gefahren abzuwehren rückt jetzt auf der politischen Agenda ganz nach oben. Zugleich darf das wirtschaftliche Wachstum nicht zu sehr absinken. In dieser veränderten Lagebeurteilung treten umwelt- und klimapolitische Belange hinter das wirtschaftliche Stabilisierungsziel zurück. Die Kohleförderung und -verstromung wurde weniger radikal gedrosselt als noch 2015 geplant, Subventionen für nachhaltige Konzepte wurden gekappt. 

Der Handlungspfad in der Umwelt- und Klimapolitik ist in China „von oben“, von der politischen Führungselite des Landes entschieden und gesteuert worden. Dafür steht die Rede Xi Jinpings beim 18. Parteitag im Jahr 2012, die den Schwenk von einem rein quantitativen zu einem qualitativen Wachstum beschreibt. Die politische Führung wirbt stetig für diese Ziele und misst die Entscheidungsträger in den Provinzen an der Einhaltung der Vorgaben. Diese Strategie folgt der Erkenntnis, dass Klima-, vor allem aber Umweltaspekte seines Wachstumsmodells stark in Chinas eigenem Interesse liegen.

Aber: Ein Konflikt zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Zielen wird auch in China mit großer Klarheit konstatiert. Quantitatives Wachstum ist weiterhin erforderlich, um einen hohen Beschäftigungsstand und gesellschaftliche Stabilität zu erreichen. Die Förderung umweltfreundlicher Technologien wird zwar langfristig auch als wirtschaftliche Chance verstanden. Kurzfristig aber verteuert die Internalisierung externer Umwelteffekte die Produktion und/oder es müssen Subventionen vergeben werden, die Ressourcen binden und an anderer Stelle fehlen.

China hat eine Neigung, eher bescheidenere Ziele zu setzen, diese aber auch zu erfüllen.

Der Ausblick: China wird vor allem bei den umweltpolitischen Maßnahmen Kurs halten. Die Luftqualität ist unter Stadtbewohnern ein Dauerthema, Boden- und Wasserqualität in ihrem gegenwärtigen Zustand sind akute Hemmnisse für den weiteren Fortschritt des Landes hin zu einer ökologischen Zivilisation – so das offiziell formulierte Politikziel. Im Umweltbereich wird die chinesische Politik also im eigenen Interesse nachhaltige Pfade beschreiten.

Die Klimapolitik wird davon insofern profitieren, als dass Energieeinsparung oder der Ausbau der Erneuerbaren unmittelbar helfen. Solange aber der wirtschaftliche Außendruck besteht, wird kein stärkeres Umschwenken auf originär klimapolitisch motivierte Instrumente erfolgen, solange diese den wirtschaftlichen Aufholprozess behindern. Für Erneuerbare gilt jetzt die Forderung nach grid-parity: Ihre Einspeisung darf nicht teurer sein als die derzeit effizientesten Quellen. Auch wenn landesweite Proteste wegen umweltpolitischer Maßnahmen (Treckerdemos in Deutschland) oder klimapolitisch motivierter Steuererhöhungen (französische Gelbwesten) nicht drohen, ist das Unmutspotential der Bevölkerung auch für Chinas politische Führung ein wichtiger Faktor.

Die internationale Gemeinschaft blickt auf China wegen seiner Größe: Eine Reduktion klimaschädlicher Emissionen um fünf Prozent hier hilft der Welt mehr als eine Einsparung in Luxemburg um 50 Prozent. Daher appellieren viele Länder an die chinesische Führung, ehrgeizigere Ziele zu formulieren. China hat eine Neigung, eher bescheidenere Ziele zu setzen, diese aber auch zu erfüllen. Das Umgekehrte würde als blamabel empfunden. Zudem: Die Tatsache, dass die US-Regierung erklärt hat, aus dem Pariser Abkommen auszusteigen, um wirtschaftliche Vorteile einzufahren, macht die Argumentation nach innen für die chinesische Führung nicht leichter. Dass wichtige europäische Partner ihre Selbstverpflichtungen für 2020 nicht erfüllen werden, kommt noch hinzu.

Gelegentlich wird argumentiert, dass China schneller voranschreiten könnte, weil sein politisches System diese Spannung leichter aushalten kann als pluralistische Demokratien, deren Vertreter sich ständig vor zornigen Wählern rechtfertigen müssen. Das ist allerdings ein Argument, das mit großer Vorsicht verwendet werden sollte. 

Aus Peking berichten Alexander Kallweit und Zhou Huijing

 

Indien

Indien steckt in einer Zwickmühle. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Industrie sind ein zentrales Element der Regierungsagenda von Premierminister Narendra Modi. Zugleich sind die ökologischen Kosten einer „auf Teufel komm raus“ betriebenen Modernisierung allgegenwärtig. Neu-Delhi erstickt im Smog, der hauptsächlich durch den rasant wachsenden Verkehr, die Baustellen und Industrien in die Luft gewirbelt wird. Die Werte sprengen alle bekannten WHO-Standards und sorgen gerade im Spätherbst für dauerhafte Ausnahmezustände. 14 der 20 Städte mit der schlechtesten Luft weltweit befinden sich in Indien. Jedes Jahr sterben etwa 1,2 Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Aktuellen Schätzungen nach ist dies die dritthäufigste Todesursache in Indien.

Diesen Sommer erreichten die Temperaturen in der Hauptstadt tagelang 47 Grad Celsius. Die anhaltende Dürre hatte katastrophale Auswirkungen auf ganze Landstriche im Süden und hat dem sowieso schon angeschlagenen Agrarsektor stark zugesetzt. Wasserknappheit und ausgetrocknete Reservoirs haben dafür gesorgt, dass viele Orte wochenlang auf mobile Wasserzisternen angewiesen waren. In ihrem Bericht Working on a Warmer Planet (2019) prognostiziert die ILO, dass allein in Indien 34 Millionen Arbeitsplätze bis 2030 aufgrund von Hitzestress verloren gehen könnten. Davon sind insbesondere Menschen betroffen, die auf den Feldern im ländlichen Indien arbeiten. Diese migrieren millionenfach in die Städte und sorgen für eine rasante Urbanisierung mit knapper werdendem Wohnraum, Ausbreitung von Slums und wachsenden sozialen Problemen. Es deutet sich an, dass insbesondere die Städte sich weiter aufheizen werden: Durch den wachsenden Verkehr, die Klimaanlagen und Kühlschränke wird viel Hitze abgesondert und im Betondschungel der Metropolen gefangen.

Bis 2030 plant Indien die Errichtung von 21 neuen Atomkraftwerken – sieben davon befinden sich derzeit im Bau.

Aktuell leben noch 67 Prozent der 1,3 Milliarden Inder im ländlichen Raum. Fast 50 Prozent der Arbeitsplätze sind nach wie vor im Agrarbereich, der allerdings verhältnismäßig wenig zum BIP beiträgt. Die Regierung weiß um die Brisanz der Situation und versucht mit zahlreichen sozialen Programmen, den Ärmsten der Armen zu helfen. Noch scheint der Gesellschaftsvertrag aufzugehen, was sich auch an den jüngsten Wahlerfolgen von Modi gezeigt hat. Doch die Zeit drängt. Und das Klima, im doppelten Sinne, wird rauer. Der Strukturwandel in der indischen Wirtschaft kommt nur schleppend voran, derzeit stehen die Zeichen sogar auf Rezession. Ökologische Ziele werden dem Ziel einer vollständigen Elektrifizierung des Landes untergeordnet. Noch immer werden 75 Prozent des elektrischen Stroms in Kohlekraftwerken produziert. Dieser Anteil sinkt zwar, aber nicht schnell genug, um die Emissionen nachhaltig zu reduzieren.

Etwas Hoffnung macht, dass die erneuerbaren Energien in Indien stark wachsen und auch Arbeitsplätze in diesem Industriezweig geschaffen werden. Derzeit sind 720 000 Menschen in diesem Sektor beschäftigt. Das ist zwar noch immer ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ein guter Anfang ist damit durchaus gemacht. Atomkraft ist, aus indischer Sicht, eine weitere Möglichkeit, um dem Energiehunger zu begegnen und gleichzeitig die Emissionen zu reduzieren. Diese genießt bei der indischen Regierung einen guten Ruf und wird als saubere Energie betrachtet. Bis 2030 plant Indien die Errichtung von 21 neuen Atomkraftwerken – sieben davon befinden sich derzeit im Bau.

Indien hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, hunderte Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien. Dies wird auch weiterhin nur gelingen, wenn eine günstige und stabile Energieversorgung die wirtschaftliche Modernisierung des Landes vorantreiben kann. Zwar ist das Umweltbewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung noch nicht so stark verankert, die noch immer den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg als oberste Priorität betrachten. Aber insbesondere die urbanen Eliten und Mittelschichten sind zunehmend besorgt wegen der Umweltbelastung. Das Land kann auf Dauer nicht ignorieren, dass eine Entwicklung auf Kosten der Umwelt zu ganz neuen Problemkomplexen führen kann und die gesamte Entwicklungsagenda konterkarieren könnte.

Aus Neu Delhi berichtet Johann Ivanov