Das Interview führte Alexander Isele.

Mit Präsident Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. und seiner Vizepräsidentin Sara Duterte-Carpio ist nicht nur die Familie des alten Diktators auf den Philippinen wieder an der Macht, sondern auch eine neue Familiendynastie etabliert. Wird das Team in die Fußstapfen ihrer Väter treten?

Im Grunde genommen, ja. Der gewählte Präsident Marcos hat erst kürzlich bekannt gegeben, dass er seinem Vorgänger im Amt Rodrigo Duterte das Angebot gemacht hat, sein Anti-Drogen-Zar zu werden. Marcos hat auch angekündigt, dass er bereit ist, die sehr umstrittene Strategie der außergerichtlichen Tötungen von Duterte fortzusetzen, die nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen die Zahl von 30 000 Toten überschritten hat. Das ist ein klares Indiz dafür, dass es zwischen der Vorgängerregierung von Duterte und der Marcos-Regierung keine großen Unterschiede geben wird, vor allem was die Rechtsstaatlichkeit betrifft. Sara Duterte-Carpio hat einen umstrittenen Vorschlag gemacht, den verpflichtenden zweijährigen Militärdienst ab 18 Jahren wieder einzuführen, der mit dem Sturz der Diktatur abgeschafft worden war. Die militaristische Tendenz zeichnet nicht nur die Vizepräsidentin, sondern wahrscheinlich auch die neue Regierung aus. Ich denke, dass die ersten 100 Tage oder das erste Jahr ihrer Amtszeit wichtig sein werden, weil ich befürchte, dass ihr nächster Schritt darin besteht, die Verfassung zu ändern.

Von Rodrigo Duterte wurde immer wieder vermutet, er wolle die Verfassung ändern, die keine zweite Amtszeit zulässt.

Ich denke, das wird einer der Gründe für die Verfassungsänderung sein. Die heutige Verfassung von 1987 wurde in erster Linie geschaffen, um eine weitere Diktatur zu verhindern. Niemand wollte das Risiko eingehen, dass ein autoritärer Präsident sich zum neuen Diktator aufschwingt. Marcos Jr. und Sara Duterte-Carpio haben auch andere Gründe, die Verfassung zu ändern, etwa eine mögliche Liberalisierung der Wirtschaft für ausländische Investitionen. Doch die meisten Gründe sind reaktionär: Einige Bestimmungen der Verfassung wurden in erster Linie geschaffen, um Menschenrechte zu schützen. Nach dem Sturz der Diktatur im Jahr 1986 wurde die Menschenrechtskommission eingerichtet, um die Menschenrechtsverletzungen der Marcos-Diktatur zu untersuchen und zu verhindern, dass sie sich wiederholen. Die Präsidialkommission für gute Regierungsführung wurde eingesetzt, um Marcos’ Plünderungen zu finden und zu beschlagnahmen. Es gelang ihr, fast 4 Milliarden US-Dollar an Marcos’ Beute zurückzuholen, und sie ist immer noch auf der Suche nach weiteren 10 bis 20 Milliarden Dollar – je nach den Zinssätzen der letzten 36 Jahre –, die in Schweizer und in nordamerikanischen Banken lagern.

Im Wahlkampf war die Diktatur kein großes Thema. Wie kam Marcos Jr. um das Thema herum?

Marcos Jr. hat während des gesamten Wahlkampfs an keiner einzigen Debatte teilgenommen. Er wurde nicht unter Druck gesetzt, all diese Fragen zu beantworten, weil er einfach nicht teilnahm. Natürlich hat sein Team Presseerklärungen veröffentlicht, in denen alle Ausbeutungen seiner Familie abgestritten wurden. In gewisser Weise handelt es sich nicht nur um eine Wiederherstellung der Macht, sondern um die Vollendung einer langwierigen Rückkehr zur Macht – die Familie Marcos war nie wirklich weg. Im Jahr 1989 hätte ein von Marcos-Anhängern angeführter Militärputsch beinahe die demokratisch gewählte Regierung Aquino zu Fall gebracht. Im Jahr 1991 kehrte die Familie Marcos auf die Philippinen zurück. Im Jahr darauf kandidierte Imelda Marcos für das Präsidentenamt, und hätte sie sich mit einem anderen Marcos-Kumpanen, Danding Cojuangco, zusammengetan, hätte sie die Präsidentschaft gewonnen. 1998 gewann Erap Estrada, ein Marcos-Anhänger, das Präsidentenamt mit einem Erdrutschsieg. Im Interregnum gewannen Mitglieder der Familie Marcos lokale Sitze in ihren Heimatbezirken im Norden und im Süden. Imelda Marcos wurde Kongressabgeordnete, während Bongbong Marcos und Imee Marcos schließlich Sitze im Senat gewannen. Und bereits 2016 verlor Bongbong Marcos die Vizepräsidentschaft nur knapp. Unter der Präsidentschaft Dutertes hat Marcos Jr. es geschafft, landesweit Einfluss zu gewinnen.

Verblasst die Erinnerung an die Diktatur und das Kriegsrecht in der Bevölkerung?

Eine der Schwächen der liberal-demokratischen Institutionen besteht darin, dass sie nicht in der Lage waren, die Filipinos, insbesondere die jüngere Generation, die nach dem Zusammenbruch der Marcos-Diktatur geboren wurde, an den Schulen und Universitäten über die Übel und Missstände der Diktatur aufzuklären. Deshalb war das Marcos-Lager in der Lage, die Technologie der Sozialen Medien mit ihren Möglichkeiten zur Verbreitung von Fake News mit Desinformations-Troll-Farmen viel effektiver zu nutzen, um die Menschen von den Marcos- und Duterte-Narrativen zu überzeugen – und ihren Geschichtsrevisionismus voranzutreiben.

Man könnte also sagen, die Zeit war reif für die Rückkehr der Marcos-Familie an die Macht?

Der größte Wegbereiter für die Familie Marcos war die Präsidentschaft von Duterte, denn Duterte wurde während einer Welle des globalen Populismus auf der ganzen Welt, nicht nur auf den Philippinen, zum Staatsmann. Das geschah fast gleichzeitig mit Trump, Erdoğan, Bolsonaro, Orbán oder Modi. Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Duterte war, ein Heldenbegräbnis für Diktator Marcos veranstalten zu lassen und der Familie Marcos zu danken, ohne deren finanzielle Unterstützung er nicht Präsident hätte werden können, wie er sagte. Duterte hatte durch seine Anti-Drogen-Kampagne, bei der er fast 30 000 angebliche Süchtige und Dealer tötete, hohe Beliebtheitswerte – dieser außergerichtliche Populismus war sehr populär.

Das stetige Wiederaufleben der Familie Marcos machte diese Verbindung sehr überzeugend. Letztes Jahr, bevor die Tochter von Duterte seine Vizekandidatin wurde, lag Marcos bei 20 Prozent Zustimmung. Mit Sara Duterte-Carpio an seiner Seite stiegen die Werte auf 63 Prozent. In gewisser Weise hat Duterte zusammen mit der Marke Marcos also Marcos Jr. geschaffen.

Mit Senatorin Risa Hontiveros hält Ihre Partei den einzigen Oppositionssitz im Senat. Was bedeutet das für Ihre Partei Akbayan?

Risa Hontiveros wird nicht nur die einzige Oppositionsführerin im Senat sein, sondern im ganzen Land. Das Positive daran, die einzige oppositionelle Senatorin zu sein, ist, dass sie in allen Ausschüssen sitzen wird. Das gibt ihr eine Plattform, ihre Themen zu setzen und ihre Vision zu verbreiten. Da Risa wegen der Amtszeitbeschränkung nicht ein drittes Mal für den Senat kandidieren kann, muss sie sich danach entweder in den Ruhestand verabschieden – oder sie macht den nächsten Schritt und kandidiert bei der nächsten Präsidentschaftswahl. Die bisherige Vizepräsidentin Leni Robredo hat die Oppositionsführerschaft an Risa Hontiveros weitergegeben, sodass die sich nun in einer strategischen Position befindet und die Energie der rosa Welle nutzen und eine neue Opposition mit der Akbayan-Partei als führende und größte Partei schaffen kann. Im Vergleich zu dieser Wahl ist Risa in einer luxuriösen Position: Sie hat Zeit. Robredo hat sich erst in letzter Minute entschieden, gegen Marcos Jr. anzutreten. Dessen Familie und die Dutertes haben sich über Jahre darauf vorbereitet.

Die ehemalige Vizepräsidentin Leni Robredo, die nun gegen Marcos Jr. verloren hat, versucht, eine neue oppositionelle Plattform aufzubauen. Wie sehen Sie die Chancen?

Auch wenn sie die Wahl verloren hat, Robredo konnte über 15 Millionen Stimmen auf sich vereinen. Sie war in der Lage, die größten Mobilisierungen zu organisieren, die ich seit dem Ende der Diktatur gesehen habe. Am letzten Tag des Wahlkampfs waren über 1 Million Menschen auf der Straße, um sie zu unterstützen. Sie hat den Rückhalt von Studierenden, Berufstätigen und der Mittelschicht. Sie mögen zwar zahlenmäßig unterlegen sein, aber was den Einfluss in der Gesellschaft angeht, könnte dies die Grundlage für eine neue Bewegung sein. Mit Risa als einziger Oppositionsführerin kommt uns eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, die 15 bis 16 Millionen Wählerinnen und Wähler in eine echte Bewegung für den Wandel zu verwandeln. Wir haben jetzt sechs Jahre Zeit, um uns vorzubereiten und diese Bewegung zu organisieren. Wir müssen diese Energie auf die Zwischenwahlen lenken, auf die nächsten Präsidentschaftswahlen und auf das Eintreten für ein demokratisches Ethos gegenüber dem populistischen, autoritären Ethos – auf eine neue Botschaft der Hoffnung gegen einen alten, recycelten Zynismus.