Der Chef des Euro-Stabilitätsfonds hat das Ende des griechischen Hilfsprogramms als "großartige Nachricht" bezeichnet. Schließen Sie sich dieser optimistischen Bilanz an?

Es ist nachvollziehbar, dass diejenigen Politiker, die neben fast 300 Milliarden Euro auch ihr eigenes politisches Kapital in das Griechenland-Programm investierten, dieses als Erfolg verkaufen - es ist dann letztlich auch ihr eigener Erfolg. Andernfalls müssten sie ihr eigenes Scheitern verkünden. Und dies gilt für Funktionsträger in Brüssel und Berlin ebenso wie für die griechische Regierung. Tsipras verkündet stolz vor historischer Kulisse das Ende der nationalen Odyssee und offenbart bereits die Logik seines Wahlkampfs: Dass er sein Land vom Joch internationaler Gläubiger befreite ist sein stärkstes Argument, um den über zehnprozentigen Vorsprung der Konservativen bis zur Wahl wettzumachen. Realistisch ist gleichwohl eine differenzierte Bilanz: Ja, ein Staatsbankrott, der Grexit und damit ein Crash des Euros konnte abgewendet werden. Dennoch ist das Land heute höher verschuldet denn je. Und auch wenn die Rückzahlung nochmals erheblich gestundet wurden, ist diese ungeheure Last eine schwere Hypothek für die Zukunft. Ob sich das Land trotzdem wirtschaftlich freischwimmen wird - wie die EU optimistisch proklamiert - oder dies mangels Wachstumsperspektiven kaum zu leisten vermag - wie der IWF prognostiziert - können wir in den kommenden Jahren beobachten.

Was ändert sich jetzt konkret für die griechischen Bürgerinnen und Bürger?

Niemand in Griechenland dachte zum Wochenbeginn an Feiern, denn niemand erwartet, dass sich mit dem Ende der Programme für die Bevölkerung etwas ändert. Vielmehr fragen sich die Griechen anlässlich des Medienechos: Wohin gingen eigentlich die immensen Milliardenbeträge, ist je etwas davon bei mir angekommen? Im Gegenteil: Es erhöhten sich Steuern und Abgaben, die Löhne sanken, die staatlichen Dienstleistungen verfielen, Arbeitsplätze wurden vernichtet. Das Vertrauen in die eigenen Politiker hat die Bevölkerung vollständig verloren. Auch wenn die griechische Politik sämtliche Verantwortung für die Belastungen in den vergangenen Jahren bequem auf die ausländischen Gläubiger schieben konnte, traut kaum jemand der politischen Führung zu, jetzt einen spürbaren Wandel einzuleiten.

Was bedeutet dieser Vertrauensverlust für die zukünftige Entwicklung Griechenlands?

Die Frage des Vertrauens ist zentral für die Entwicklung des Landes. Zukünftig werden nicht mehr Beamte in Brüssel, sondern vielmehr die Märkte über die Finanzlage des Landes bestimmen. Auf Reformkurs zu bleiben auch ohne Druck von Außen schafft Vertrauen bei Bürgern, Unternehmen und auf den Märkten. Wachstum und damit Arbeitsplätze entstehen nur, wenn zukünftig in das Land investiert wird. Die Anreize dafür zu schaffen und Risiken ­- etwa die Rechts- und Steuerunsicherheiten - zu bekämpfen, obliegt einer verantwortungsvollen Politik. Obwohl die Konditionen der Gläubiger auch zukünftig enge Grenzen vorgeben, müssen flankierende staatliche Investitionsprogramme auf die Schiene gesetzt werden. Würde Griechenland in Zukunft transparent und vertrauenswürdig regiert, sollten internationale Partner und Investoren einen neuen Blick auf das Land werfen können. Immerhin ist Griechenland auch geostrategisch ein wichtiger, stabilisierender Partner in einem brenzligen Umfeld. Der polarisierende Appell des Premiers zum Programmende legt allerdings nahe, dass auch zukünftig parteipolitische und partikulare Belange über das nationale Interesse gestellt werden und die politische Kultur des Landes dem proklamierten Neuanfang im Wege stehen dürfte.

 

Die Fragen stellte Joanna Itzek