Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
Wie ist die Stimmung beim Parteitag der Republikaner nur wenige Tage nach dem Attentat auf Donald Trump?
Zunächst einmal ist das Attentat natürlich das alles überschattende Ereignis. Am Flughafen, in den Restaurants, in den Kongresshallen: Alle reden über die Schüsse auf Trump bei dessen Wahlkampfauftritt in Pennsylvania. Die Sicherheitsvorkehrungen hier vor Ort sind dementsprechend groß. Der Andrang ist enorm. Überall wimmelt es von Sicherheitspersonal und Polizei. Der Parteitag wird von Zehntausenden Journalisten begleitet, ein Riesenereignis. Wer nach dem Attentat eine nüchterne Atmosphäre erwartet hat, wird sich wundern. Die Stimmung bei den Republikanern ist sehr gut, nahezu euphorisch. Man glaubt, dass Trump nach der für Biden missglückten Präsidentschaftsdebatte und dem gescheiterten Attentatsversuch nun vollends die Oberhand hat. Die Partei steht geschlossen hinter ihrem Kandidaten. Viele meinen, Trump ist der Sieg im November nun nicht mehr zu nehmen.
Trump hat angekündigt, beim Parteitag für eine Überwindung der politischen Spaltung im Land einzutreten und dass der Wahlkampf etwas gemäßigter weitergehen solle. Wie glaubwürdig ist das und wie kommt ein präsidentieller, zurückhaltender Trump bei der republikanischen Basis an?
Es ist sehr klug von Trump, dies anzukündigen. Das Land hält nach dem Attentat gerade inne und es wäre schädlich, jetzt auf Angriff zu schalten. Das gilt für beide Seiten. Für die auf dem Parteitag vertretene Basis kann es allerdings gar nicht aggressiv genug sein. Die üblichen Scharfmacher wie Tucker Carlson, die hier auf Side-Events auftreten, teilen massiv aus und werden dafür bejubelt. Ob Trump sich an seine selbst verschriebene Zurückhaltung hält, werden wir erst Donnerstag erfahren, wenn er selbst seine Nominierungsrede halten wird. Ich halte einen sich zurückhaltenden Trump für unwahrscheinlich, vielleicht sogar für unmöglich. Es entspricht schlicht nicht seiner Art, Politik zu machen. Außerdem ist es ja nicht nur er. Seine Gefolgschaft aus seiner eigenen Familie und der Partei haben seine inhaltlichen Positionen und stilistischen Mittel schließlich übernommen. Überall heißt es hier: „Biden lässt absichtlich Millionen von Migranten ins Land, um die USA zu kolonialisieren“, „Biden sexualisiert die Erziehung von Kindern in der Schule“ und „Biden hat die Inflation verursacht“. Die meisten Wortmeldungen haben überhaupt keine Zukunftsperspektive, sondern sind eine Fundamentalkritik an der derzeitigen Lage und der Politik von Joe Biden. Die gesamte Trump-Kampagne basiert auf Ablehnung. Es ist schwer vorstellbar, dass Trump nunmehr den Kurs ändert und zurückhaltender oder konstruktiver wird. Er müsste sich ganz neu erfinden. Das ist schon sehr unwahrscheinlich.
Die Attacke auf die Demokraten überlässt Trump derzeit anderen, wie zum Beispiel seinem frisch gekürten „Running Mate“ J.D. Vance. Wie ist seine Wahl als Kandidat für den Vize-Präsidentschaftsposten zu beurteilen?
J.D. Vance ist in der Tat ein sehr interessanter Kandidat. Ein ehemaliger Trump-Kritiker, der die Seele der weißen Arbeiterschicht in seinem Buch Hillbilly Elegie beschrieben hat, die sich in einer ständig ändernden Welt abgehängt fühlt. Nachdem er die Seiten gewechselt hat und Trump nunmehr verehrt, ist er vor zwei Jahren zum Senator für den Bundesstaat Ohio gewählt worden. Im Gegensatz zu Trump hält er sich seit dem Attentat keineswegs zurück und macht die Demokraten für den Mordversuch direkt verantwortlich. Auf dem Parteitag teilen auch andere Republikaner heftig gegen die Demokraten und besonders gegen Biden und Vize-Präsidentin Kamala Harris aus. J.D. Vance zum Vizepräsidentenkandidaten zu machen, könnte ein dementsprechendes Kalkül sein: Trump wird etwas moderater, dafür teilt Vance aus. Diese Überlegung könnte von zwei Entwicklungen konterkariert werden: Erstens, schafft es Trump eventuell nicht, moderater zu sein, weil das einfach nicht sein Stil ist, und zweitens, könnte die aggressive Art von Vance moderatere Wählerinnen und Wähler in der Mitte des Parteienspektrums abschrecken. Wir werden im November sehen, ob die Rechnung aufgeht.
Trump wird etwas moderater, dafür teilt Vance aus.
Für uns in Europa ist die Wahl von J.D. Vance zum Vize-Kandidaten besonders heikel. Er spricht sich grundsätzlich gegen ein globales Engagement der USA aus und damit auch gegen die Unterstützung der Ukraine. Treu dem Trump-Motto „America First“ plädiert er für eine isolationistischere Haltung.
Viele Beobachter sind sich einig, dass Trump das Attentat und dessen Symbolik für sich nutzen kann. In den für die Wahl wichtigen Swing States lag er schon zuvor vor Biden. Ist das Rennen nun endgültig entschieden?
Nein, ich halte das für verfrüht. Es sind noch knapp vier Monate bis zur Wahl. Das ist unter Kampagnengesichtspunkten eine Ewigkeit. Bis November könnte nicht nur viel passieren, es wird auch noch ganz sicher viel passieren. Was wir alleine in den letzten zweieinhalb Wochen erlebt haben: das für Joe Biden sehr schlecht gelaufene TV-Duell, das zum Glück misslungene Attentat auf Trump und jetzt der Parteitag der Republikaner mit der Ernennung von Vance zum Vize-Kandidaten. Wir wissen ja nicht einmal sicher, wer auf demokratischer Seite gegen Trump antreten wird. Noch ist also nichts entschieden.
Welche Reaktion ist in den nächsten Wochen von den Demokraten zu erwarten? Ihre Kampagne war bis dato größtenteils auf das Motto „Trump verhindern“ ausgerichtet. Werden sie diese Linie halten können?
Selbstverständlich werden die Demokraten weiterhin eine Anti-Trump-Kampagne fahren. Trump ist einfach so ein stark polarisierender Kandidat, dass die Auseinandersetzung mit ihm unverzichtbar für eine demokratische Präsidentschaftskampagne ist. Dazu könnten allerdings weitere Elemente kommen. Das hängt auch von den weiteren Entwicklungen ab. Die große Frage ist natürlich, ob die Demokraten den Kandidaten noch auswechseln werden. Trotz schwerwiegender Konsequenzen könnten sie damit wenigstens neuen Schwung in das Rennen bringen. Zweitens besteht die Möglichkeit, dass es nach dem Attentatsversuch eine vom Land getragene Sehnsucht nach Einigkeit geben könnte, die Trump wegen seines Naturells nicht erfüllen kann. Wir werden sehen. Die Demokraten müssen sich jetzt zwei grundsätzliche Fragen stellen? Haben wir den richtigen Kandidaten? Und: Reicht eine harte „Gegen-Trump-Kampagne“? Sie sollten möglichst bald die richtigen Antworten auf diese offenen Fragen finden.