Das israelische Kabinett hat einen Gesetzesentwurf erstellt, in dem Israel als „jüdischer Staat“ definiert wird. Es hagelt Kritik. Wird das Gesetz kommen?
Die für diese Woche geplante Abstimmung in der Knesset wurde zunächst bis auf weiteres verschoben. Die Abstimmung drohte die Regierungskoalition zu zerreißen. Der im Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf stieß sowohl bei Teilen der Koalition als auch bei der Opposition auf heftigen Widerstand. Er wird von den Kritikern als undemokratisch bezeichnet, weil er die arabische Bevölkerung und andere nicht-jüdische Minderheiten zu Bürgern zweiter Klasse mache. Es wird auch befürchtet, dass damit die rechtliche Grundlage für einen binationalen Staat gelegt werden solle. Der aber würde eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern. Der Charakter Israels als jüdischer Staat mit Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz sei bereits in der Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben und brauche keine weitere Ergänzung. Kritik an dem Gesetzesvorhaben kam unter anderem von Präsident Rivlin, verschiedenen religiösen jüdischen Gruppen, aus Sicherheitskreisen und aus der Justiz. Vor dem Haus von Premierminister Netanyahu gab es Demonstrationen. Der Vorstoß von Netanyahu zu diesem Zeitpunkt wird als Versuch interpretiert, von anderen Herausforderungen abzulenken und seine eigene politische Basis für mögliche Neuwahlen zu mobiliseren.
Was für Auswirkungen hätte denn eine Verabschiedung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land?
Vertreter der Minderheiten sehen in diesem Gesetzesentwurf den Versuch, sie als Bürger zweiter Klasse abzustempeln. Das gilt insbesondere für die arabische Minderheit. Dieses Vorhaben könnte auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts gehen und die Spannungen zwischen der jüdischen Mehrheit und der arabischen Minderheit weiter verschärfen. Allein schon durch die Diskussion um den Entwurf ist eine Dimension des Misstrauens zwischen den Bevölkerungsgruppen erreicht, die erhebliche Auswirkungen auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung Israels haben wird. In den letzten 10-15 Jahren hat es Fortschritte in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration gegeben. Die haben dazu geführt, dass in Umfragen fast 80 Prozent der arabischen Bevölkerung sagen, sie wollten israelische Staatsbürger bleiben. Diese positive Einstellung zum Staat Israel sollte Anlass für die Politik sein, den Weg der Integration weiter zu beschreiten.
Benyamin Neuberger von der Open University spricht von einer „supernationalen Stimmung“ im Land. Wie ist der israelische Rechtsruck zu erklären?
Neuberger drückt mit diesem Begriff aus, was auch in Umfragen immer wieder bestätigt wird: Jüdischer Nationalismus trifft inzwischen auf eine breite Unterstützung im Land und erfährt mehr Unterstützung als Demokratie und Rechtsstaat. Vor diesem Hintergrund sind zunehmende rassistische Äußerungen in Schule und Gesellschaft zu sehen, die zur Radikalisierung auf allen Seiten führen, bis hin zu gewalttätigen Anschlägen auf Synagogen, Moscheen und jüdisch-arabische Gemeinschaftsschulen.
Jüdischer Nationalismus trifft inzwischen auf eine breite Unterstützung im Land und erfährt mehr Unterstützung als Demokratie und Rechtsstaat.
Dafür ist nicht allein die zunehmende „Verreligiösierung“ des politischen und gesellschaftlichen Diskurses verantwortlich. Dahinter stehen auch tiefergehende soziale Prozesse einer Gesellschaft im Wandel. Die nationale und religiöse Identität des einzelnen und der Gemeinschaft, der Widerspruch zwischen Modernität und Bewahrung, die Fragen des Geschlechterverhältnisses, unterschiedliche Lebensstile und Teilhabe an oder Ausschluß von wirtschaftlichem Aufstieg sind Ausdruck dieser sozialen Herausforderungen Israels. Es erfordert große politische Anstrengungen, mit dieser Komplexität der Gesellschaft konstruktiv umzugehen.
In den vergangenen Wahlen spiegelte sich die Transformation nach rechts auch im Parteiensystem. Was, wenn nächste Woche Wahlen wären?
Die nächsten regulären Wahlen würden am 7. November 2017 stattfinden. Aber bekanntlich hat in der Geschichte Israels eine Regierungskoalition nur selten über eine ganze Legislaturperiode hinweg gehalten. Auch im Augenblick wird intensiv über vorgezogene Neuwahlen spekuliert. Die gegenwärtige Koalition setzt sich aus fünf Parteien zusammen: Netanyahus Likud, Yisrael Beiteinu von Lieberman, Yesh Atid von Lapid, Jewish Home von Bennett und Hatnuah von Livni. Aus den Wahlen im Januar 2013 war die Parteienallianz Likud-Yisrael Beiteinu als Sieger hervorgegangen. Inwischen hat Lieberman die Allianz mit dem Likud aufgekündigt. Durch die Aufkündigung der Allianz und den Rücktritt von Ministern ist Yesh Atid mit 19 Sitzen stärkste Partei geworden, gefolgt von Likud mit 18, Yisrael Beitenu mit 13, Jewish Home mit 12 und Hatnuah mit 6 Sitzen. Insgesamt verfügt die Regierungskoalition damit über eine Mehrheit von 68 von 120 Sitzen.
Die Meinungsumfragen seit dem Ende des Gaza-Kriegs sehen für den Fall einer Neuwahl eine Stärkung des rechten Lagers voraus. Man rechnet mit 70 bis 75 Sitzen. Likud würde bei Neuwahlen zwischen 20 und 25 Sitzen bekommen, Jewish Home 15 bis 19, Yesh Atid 10 bis 14, Yisrael Beiteinu 8 bis 10, und Hatnuah 3 bis 5. Der große Gewinner wäre damit Jewish Home unter der Führung von Bennet. Dagegen wäre Lieberman der große Verlierer. Netanyahu würde mit Likud die Führungsposition behalten und Premierminister bleiben. Das Mitte-Links-Lager würde aus Neuwahlen geschwächt hervorgehen und kommt in den Umfragen gegenwärtig auf etwa 45 bis 50 Sitze. Als Premierminister genießt Netanyahu von allen Kandidaten nach wie vor den größten Rückhalt in der Bevölkerung.
Wie können, wie wollen die traditionellen linken Parteien Avoda und Meretz darauf reagieren?
Die große Schwäche der Mitte-Links-Parteien ist, dass sie sich bisher nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, mit dem sie eine Chance hätten, eine klare politische und personelle Alternative darzustellen. Ein solcher gemeinsamer Kandidat könnte nur der erfahrene Oppositionsführer Herzog sein. Schon bei den letzten Wahlen hat es den Versuch gegeben, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen. Das scheiterte aber an politischen und persönlichen Differenzen.
Beide Parteien sind sich einig darin, dass für die Zukunft Israels als jüdischer und demokratischer Staat die Zwei-Staaten-Lösung realisiert werden muss.
Beide Parteien sind sich einig darin, dass für die Zukunft Israels als jüdischer und demokratischer Staat die Zwei-Staaten-Lösung realisiert werden muss. Alle anderen Optionen wie Annektierung großer Teile der Westbank, wie von Bennett vorgeschlagen, oder die faktische Entstehung eines einheitlichen binationalen Staats zwischen Mittelmeer und Jordan würden dem zionistischen Gedanken widersprechen und letztlich auch Israels Charakter als jüdischer Staat verändern. Beide Parteien treten deswegen für eine Anerkennung des palästinensischen Staates durch die Vereinten Nationen ein. Israel solle das erste Land sein, das einen palästinensischen Staat anerkenne. Die Anerkennung durch die Vereinten Nationen sei die Voraussetzung für die Aufnahme von ernsthaften Verhandlungen und gleichzeitig eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Palästinensern. Darüber hinaus treten sie für ein striktes Vorgehen gegen jede Art von Aufstachelung und Rassenhass durch die extreme Rechte ein. Sie verlangen von der Regierung eine offizielle Antwort auf die Arabische Friedensinitiative von 2002. Diese stellt eine Normalisierung der Beziehungen der arabischen Staaten zu Israel in Aussicht als Antwort auf einen vollständigen Rückzug aus den besetzten Gebieten. Sie halten es darüber hinaus für notwendig, eine vollständige Integration der arabischen Bevölkerung in die israelische Politik und Gesellschaft zu fördern.
Nachdem es nach der Ermordung Rabins vor 20 Jahren und der Intifada lange so schien, dass die Unterstützung in der israelischen Gesellschaft für diese Vorstellungen abnehmen würde, gibt es inzwischen wieder neue gesellschaftliche Gruppen wie Women Wage Peace oder die Anwohner des westlichen Negev, die für eine diplomatische Lösung des Konflikts eintreten. Das gibt Anlass zur Hoffnung.
4 Leserbriefe
Sind die zitierten Umfragen, denen zufolge fast 80 % der arabischen Einwohner Israels eine positive Einstellung zum Staat Israel haben sollen, wirklich seriös?
19 Prophetien deuten auf dieses Ereignis hin. Wehe den Staaten, die Israel NICHT anerkennen wollen. Denen wäre es besser, sie hätten nie existiert!!
So spricht die Bibel.
Wenn sich die 76 Prophetien über die Rückkehr vom Volk Israel, in IHR Land, bewahrheitet hat, dann werden sich ALLE anderen Prophetien, auch die Gerichtsprophetien, bewahrheiten!!
Das müssen wir klar realisieren!!
Einerseits versucht Netanyahu damit die rechte zu besänftigen. Andererseits gibt es keine Änderung der freiheitlich - liberalen Verfassung des Staates Israel. Ein jüdischer Staat heißt eben nicht wie es ein muslimischer oder christlicher bedeuten würde, Rechte von Menschen einzugrenzen. Jüdischer Staat heißt alle freiheitlichen Werte aus der Aufklärung zu verankern. Dem zur Folge auch der Laizismus, wie man es von anderen westlichen Demokratien ebenfalls kennt.
Es würde also überhaupt keine Veränderung zum aktuellen zionistischen Modell geben... kein Grund zur Aufregung. Außer vielleicht für die, die Israel aus Prinzip ohnehin ablehnen.