Die Fragen stellte Claudia Detsch.

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega hat fast die gesamte Führung der Opposition im Land verhaften lassen, dazu Vertreterinnen der Zivilgesellschaft und selbst frühere Weggefährten. Vollzieht der einstige Revolutionsführer nun endgültig die Wandlung zum autoritären Despoten?

Die jüngsten Entwicklungen in Nicaragua beunruhigen mich sehr. Das habe ich auch gegenüber der nicaraguanischen Regierung klar zum Ausdruck gebracht. In den letzten Wochen wurden zahlreiche Oppositionelle, aber auch Vertreter der Wirtschaft verhaftet: Darunter waren auch fünf Präsidentschafts-Präkandidaten, die sich vor allem in den beiden Oppositionsbündnissen der Nationalkoalition („Coalición Nacional“) und der Bürgerallianz („Alianza Ciudadana“) organisiert haben. Hätte sich die bislang in Teilen zerstrittene Opposition einigen können, hätte diese Präsident Ortega bei einer Wahl gefährlich werden können. Das gilt hauptsächlich für die Tochter der ehemaligen Staatspräsidentin Violeta Barrios de Chamorro, Cristiana Chamorro, die als Einheitskandidatin antreten wollte.

Die Regierung begründet die Festnahmen mit einem kurz vor Weihnachten letzten Jahres verabschiedeten Gesetz („Ley de Soberanía“), wonach Personen auch rückwirkend als „Vaterlandsverräter“ verfolgt werden können, wenn sie sich z.B. jemals im Ausland für Sanktionen eingesetzt haben.

Dabei hält die Regierung am Narrativ eines US-finanzierten Versuchs eines Staatsstreichs fest und wirft anerkannten Stiftungen Geldwäsche und Versuche einer destabilisierenden Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Dazu zählen die Stiftung „Violeta Barrios de Chamorro“ und FUNIDES, ein international renommierter wirtschaftsliberaler Think Tank, mit dem wir seit langem zusammenarbeiten. Im Endeffekt kann ich leider nicht widersprechen: Nicaragua bewegt sich unter dem ehemaligen Freiheitskämpfer Daniel Ortega immer weiter weg von einer Demokratie in Richtung Autokratie.

Dabei hält die Regierung am Narrativ eines US-finanzierten Versuchs eines Staatsstreichs fest.

Dabei drohen die zahlreichen Errungenschaften des Sandinismus, z.B. im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie bei der Armutsbekämpfung angesichts der jüngsten Schreckensnachrichten in Vergessenheit zu geraten.

Die Revolution unter Daniel Ortega im Jahr 1979 hatte für viele europäische Linke eine hohe symbolische Bedeutung. Sie haben selbst als junger Erwachsener einige Zeit in Nicaragua verbracht. Was bedeutet für Sie persönlich das Abgleiten des Landes in den Autoritarismus?

Ich engagiere mich seit vielen Jahren in der Außenpolitik. Die Entwicklung in Nicaragua ist für mich persönlich aber nicht einfach eine weitere Krise unter leider viel zu vielen anderen. Meine Heimatstadt Hamburg verbindet seit 1989 eine enge und aktive Partnerschaft mit Nicaraguas zweitgrößter Stadt León. Nicht zuletzt stellt die Zusammenarbeit auf Ebene der Schulen und der Jugendarbeit ein wichtiges Element unserer Städtepartnerschaft dar, beispielweise in Form von Austauschen. Im Sommer 1992 habe ich selbst an einem Jugendaustausch in León teilgenommen. Das war tatsächlich eine der prägendsten Erfahrungen für mein internationales Engagement. Damals habe ich, wie viele andere, mit Nicaragua die Hoffnung auf ein gerechteres Gesellschaftsmodell verbunden. In den vergangenen Jahren bin ich bereits mehrfach nach León zurückgekehrt und kenne einen Teil der Akteure vor Ort. Daher geht mir die aktuelle Situation persönlich wie auch politisch sehr nahe.

Lateinamerikas Linke tut sich schwer damit, den Machtmissbrauch zu verurteilen. Wie bewerten Sie das?

Vorab: Natürlich gibt es grundsätzlich mehr Zurückhaltung bei der öffentlichen Kritik gegen die eigenen politischen Freunde. Das gilt überall und auch nicht nur für Lateinamerikas Linke. Ich kann jedoch aus eigener Erfahrung berichten, dass auch innerhalb der lateinamerikanischen Linken leidenschaftlich debattiert und kritisiert wird. Eine andere Frage ist, ob die Kritik immer öffentlich oder auch polemisch vorgetragen werden muss. Auch wir führen mit uns nahestehenden Regierungsvertretern offene und kritische, aber eben vertrauliche Gespräche. Das ist mir sehr wichtig: Wo Demokratie und Menschenrechte in Gefahr sind, müssen wir sie verteidigen.

Internationaler Protest scheint Ortega nicht sonderlich zu beeindrucken. Was können Deutschland und Europa neben rhetorischen Aufrufen konkret tun, um der weiteren Aushebelung der Demokratie in Nicaragua entgegenzutreten?

Leider haben Sie recht. Bislang hat Staatspräsident Ortega nicht besonders konstruktiv auf internationalen Protest reagiert. Unsere Einflussmöglichkeiten auf andere Staaten sind allerdings begrenzt. Es gibt seit Oktober 2019 einen EU-Rechtsrahmen, auf dessen Grundlage Individualsanktionen gegen Personen möglich sind, die sich an schweren Menschenrechtsverletzungen und Repressionen beteiligt haben. Auf dieser Grundlage wurden daher im Mai 2020 mehrere nicaraguanische Regierungsvertreter gelistet. Momentan scheint die Situation vollkommen festgefahren.

Bislang hat Staatspräsident Ortega nicht besonders konstruktiv auf internationalen Protest reagiert.

Es ist wichtig, dass wir trotz allem weiter im Gespräch bleiben. Wir haben seit der Zeit der Solidaritätsbewegungen zu Nicaragua langjährige und besonders enge bilaterale Beziehungen. Es gibt noch über 20 aktive Städtepartnerschaften, darunter die zwischen Hamburg und León. Daher hoffe ich sehr, dass es perspektivisch eine politische und demokratische Lösung im Interesse aller Nicaraguaner geben wird. Dazu bin ich auch weiterhin gerne bereit, mich persönlich zu engagieren. Ernsthafte Anzeichen von Dialogbereitschaft sollten wir positiv begleiten und unterstützen.