In ihrem neuesten Buch beschreiben Sie Austerität als „gefährliche Idee“. Ist es nicht einfach gesunder Menschenverstand, Staatsausgaben in Krisenzeiten zu reduzieren? Und ist nicht die Staatsverschuldung tatsächlich ein Problem, das ernsthaft angegangen werden muss?

Das wäre es sicher, wenn öffentliche Ausgaben das Problem gewesen wären. Aber das waren sie nicht. Auch wenn das oftmals fälschlich so berichtet wird: die durchschnittliche Verschuldung der OECD-Staaten ist vor 2007 tatsächlich zurückgegangen. Spanien und Irland, diese hoffnungslosen Fälle der Austerität, hatten ihre öffentliche Verschuldung im Jahre 2006 sogar unter 40 beziehungsweise 20 Prozent des BIPs reduziert.

Es ist Mysterium, weshalb die Antwort auf ein Problem im Privatsektor nun die Reduzierung von Ausgaben im öffentlichen Sektor sein soll.

Was tatsächlich geschah, war dies: Private Ausgaben nahmen zu, als Kapitalflüsse aus Nordeuropa auf der Suche nach Rendite in den Süden wanderten. Das hat die privaten Immobilienblasen in Spanien und Irland vergrößert. Das Problem waren private Ausgaben, die auf privaten Krediten beruhten. Und die fielen weg, als diese Blase platzte. Vor diesem Hintergrund frage ich mich, weshalb die Antwort auf ein Problem im Privatsektor nun die Reduzierung von Ausgaben im öffentlichen Sektor sein soll. Das ist ein Mysterium. Denn die Staaten, die ihre Staatsausgaben gekürzt haben, stehen heute vor größeren Schulden als am Beginn des Prozesses. Sogar vor sehr viel größeren. Und weil sie Ausgaben beschnitten als ihr BIP schrumpfte, nahm der Gesamtschuldenstand trotz der Einschnitte zu. Das ist auch der Grund dafür, dass Deutschland Griechenland auch heute noch finanziell heraushauen muss.

In den vergangenen vier bis fünf Jahren ist Austerität in Europa praktiziert worden. Jetzt scheinen auch in den USA Einschnitte in den Ausgaben auf der Agenda zu stehen. Wie würden Sie die Effekte in Europa bislang beschreiben? Welche Lehren können gezogen werden?

Für Europa ist diese Politik eine Katastrophe gewesen. Wir haben Arbeitslosenquoten, die wir seit den 1930er Jahren nicht mehr kannten und Wachstumsraten, die nach fünf Jahren Austerität nur knapp im positiven Bereich liegen. Löhne sind abgestürzt und die Ungleichheit hat zugenommen.

In der Konsequenz hat die öffentliche Verschuldung zugenommen, nicht abgenommen. Dies ist ein direktes Ergebnis dieser Politik und gerade die Staaten, die die größten Einschnitte vorgenommen haben, haben auch ihr Schuldenniveau am stärksten vergrößert als ihr BIP schrumpfte. Das ist eine Tatsache, die sogar der IWF und die Europäische Kommission in einigen technischen Papieren eingestehen.

Wenn Austerität die existierenden Probleme nur verschlimmert hat, weshalb ist das Konzept dann noch so politisch dominant? Oder vielleicht allgemeiner gefragt: wie kann es sein, dass fünf Jahre nach der globalen Finanzkrise kaum fundamentale Regelveränderungen vorgenommen worden sind?

Weil dahinter eine Logik steckt. Und diese Logik heißt: rettet die Banken und die Mächtigen. All die Kapitalflüsse aus dem Norden, die Bonds im Süden aufkauften, endeten letztlich in den Bilanzen einiger zentraler europäischer Banken. Wegen dem Euro haben diese Banken effektiv Gelder in fremden Währungen geliehen und sind nun dreimal so stark belastet wie ihre Counterparts in den USA.

Hohle Metaphern führen nie zu guter Politik!

So wie die Dinge stehen, kann sie schon eine kleine Wertveränderung von weniger als fünf Prozent ihrer Anlagen in die Insolvenz treiben. Zugleich sind sie aber auch „too big to bail“, also zu groß, um sie zu retten. Denn selbst das größte Land Deutschland ist zu klein, um das System zu retten und kontrolliert außerdem nicht seine eigene Währung. Also hat die Europäische Zentralbank unter Trichet zunächst das Problem geleugnet. In der Folge gingen die Renditen nach oben, als die Märkte Default- und Zusammenbruchrisiken einpreisten. Schließlich fielen die Renditen unter Draghi als das System mit Liquidität überflutet wurde und zugleich das Versprechen abgegeben wurde, dass das System überleben würde. Auch hier hatte dies nichts mit Regierungen zu tun, die zu viel ausgaben. Es ging um private Ausgaben und Kredite sowie um die Rolle kommerzieller Banken und der Zentralbanken. 

Was wäre denn eine Alternative zu Austerität? Und wie kann das Narrativ entkräftet werden, dass harte Zeiten eben drastische Maßnahmen erfordern? Würde die Linke nicht einfach für „unverantwortliche“ Ausgaben verantwortlich gemacht werden?

Es geht nicht um Ausgaben. Das ist eine Finte. Hohle Metaphern führen nie zu guter Politik. „Nur bittere Medizin hilft wirklich?“ Das ist in der Realität schlichtweg falsch. Die richtige Politik wäre es, einfach aufzuhören das Falsche zu tun.

„Nur bittere Medizin hilft wirklich?“ Das ist in der Realität schlichtweg falsch. Die richtige Politik wäre es, einfach aufzuhören, das Falsche zu tun.

Der Grund, weshalb die Wirtschaft in Frankreich und Portugal im letzten Vierteljahr gewachsen ist, liegt nicht an Austeritätspolitik, sondern an ihrem genauen Gegenteil: Beide verfehlten ihre Defizitziele und weil sie ihre Wirtschaften nicht schrumpfen ließen, begannen sie, sich zu erholen. Wenn mehrere Länder mit einheitlicher Währung, die gegenseitig ihre Hauptabsatzmärkte darstellen, alle zur gleichen Zeit Kürzungen durchführen, kann das Resultat nur ein Schrumpfen der Gesamtwirtschaft sein. Und genau das ist geschehen. Noch einmal: Ausgaben haben damit überhaupt nichts zu tun.

Gesetzt den Fall wir bleiben bei Austeritätspolitik: Welche Auswirkung hätte dies langfristig auf das politische System?

Wir schädigen nachhaltig das Projekt der europäischen Integration und unser demokratisches System. Wir betreiben Klassen- und Klientelpolitik, wenn wir zunehmend ungleiche Gesellschaften haben und der Staat die Anlagen und Einkommen der oberen Einkommenssegmente durch Unterstützung der Banken schützt, die diese schlechten Kredite ausgegeben haben. Wir bürden die Kosten dieser Politik dem unteren Einkommenssegment auf. Und zwar in Form von Kürzungen öffentlicher Aufgaben. Das ist Klassenpolitik in Reinform und die endet niemals gut.