Erneut sind die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Hamas ergebnislos zu Ende gegangen. Während die israelische Armee ihre Reservisten mobilisiert, spitzt sich die Eskalation aus israelischen Luftangriffen und palästinensischem Raketenbeschuss wieder zu. Ursache dafür, dass die Parteien bisher nicht zu einer Einigung gekommen sind, sind innenpolitische Erwägungen und die daraus hervorgehende unrealistische Maximalforderung nach der Demilitarisierung Gazas.
Die israelische Seite hatte die Forderung nach einer vollständigen Demilitarisierung des Gazastreifens schon ins Spiel gebracht, als die israelische Bodenoffensive in Gaza noch in vollem Gange war. Von Außenminister Lieberman über Justizministerin Livni bis zu Finanzminister Lapid haben sich mehrere führende Politiker für eine ähnliche Vorgehensweise stark gemacht. Im Gegenzug soll die internationale Gemeinschaft in den raschen Wideraufbau und die wirtschaftliche Entwicklung Gazas investieren. Je nach Position ist dabei auch eine Wideröffnung der Grenzübergänge unter internationaler Aufsicht vorgesehen. Politiker wie Lieberman haben zudem vorgeschlagen, den Gazastreifen unter UN-Kontrolle zu stellen.
Unklar: Was bedeutet "Entwaffnung" der Hamas?
Die USA und die EU haben sich Teile dieser Forderungen schon früh zu Eigen gemacht. Die EU-Außenminister sprachen sich in ihren Ratsschlussfolgerungen Ende Juli für eine Entwaffnung aller terroristischen Gruppen in Gaza aus. Ein von Frankreich, Großbritannien und Deutschland – den sogenannten E3 – vorgelegtes Strategiepapier von Mitte August greift diese Vorschläge auf.
Auffällig ist allerdings, dass der Begriff Demilitarisierung, wie von Außenminister Kerry und auch Premierminister Netanjahu benutzt, nicht zur Anwendung kommt. Schaut man sich die Details an, fällt auf, dass lediglich die Wiederbewaffnung militanter Gruppen verhindert werden soll. Als Mittel zur Umsetzung sieht das Papier die altbekannten EU-Instrumente wie die im Dornröschenschlaf befindlichen Grenzschützer der EUBAM und die in der West Bank aktive Polizeimission EUPOL COPPS vor. Neu ist lediglich der Vorschlag, die in der Region aktive UN Truce Supervision Organization (UNTSO) mit der Errichtung eines Monitoringmechanismus für den Waffenstillstand zu beauftragen, der Verstöße gegen die Vereinbarung unabhängig prüfen kann. Auf der gleichen Grundlage beruht offensichtlich auch die Resolution des Sicherheitsrates, die die E3 zur Zeit in New York anstreben.
Es besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen einer Demilitarisierung, wie sie der israelischen Führung vorschwebt und einem Mechanismus, der lediglich die Wiederbewaffnung unterbindet. Im ersten Fall müsste die Hamas wie auch andere bewaffnete Gruppen ihre Waffen abgeben, Waffenwerkstätten schließen und Tunnel zuschütten. Im zweiten Fall würden lediglich die Tunnel nach Israel zerstört und ägyptische Sicherheitskräfte würden zusammen mit der UNTSO Waffenlieferungen über die ägyptische Grenze nach Gaza verhindern.
Es besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen einer Demilitarisierung, wie sie der israelischen Führung vorschwebt und einem Mechanismus, der lediglich die Wiederbewaffnung unterbindet.
Der israelischen Führung scheint Letzteres aber nicht genug zu sein. Premierminister Netanjahu, getrieben von der radikalen Opposition in seiner Koalition, muss Erfolge präsentieren. Und das heißt ein Mehr an Sicherheit, dass die schweren Verluste der israelischen Armee im jüngsten Krieg rechtfertigt. Eine Vereinbarung, die die von der internationalen Gemeinschaft und der Hamas geforderte völlige Aufhebung der Gaza-Blockade vorsieht sowie ein Verzicht auf eine Demilitarisierung, würden Netanyahu zu Hause schwach erscheinen lassen. Einen entsprechenden Vorschlag der Verhandlungsteams aus Kairo versuchte er daher letzte Woche auch wohlweislich vor seinem Kabinett geheim zu halten. Als Außenminister Lieberman dennoch an das Papier gelangte und den Premier mit den aus seiner Sicht unhaltbaren Forderungen konfrontierte, konnte sich Netanyahu nur beeilen zu versichern, dass er so einem Vorschlag nie zustimmen werde.
Liebermans fragwürdige Gaza-Pläne
Dabei sind Liebermans eigene Pläne für ein von den UN überwachtes Gaza moralisch viel fragwürdiger. Was Israel selbst in über 40 Jahren nicht gelungen ist, nämlich eine vollständige Kontrolle über eine besetzte Bevölkerung herzustellen, soll jetzt die internationale Gemeinschaft übernehmen. Der Wiederaufbau des zerstörten Gazastreifens – natürlich bezahlt von europäischen, nicht von israelischen Steuergeldern – soll dafür noch als Anreiz dienen. Unabhängig davon, dass die Zivilbevölkerung in Gaza trotz eines fehlenden Waffenstillstands und trotz der militärischen Abenteuer der Hamas ein Recht auf sauberes Wasser, Strom und ein Dach über dem Kopf hat. Sich hier auf einen Deal einzulassen, hätte Konsequenzen: Die internationale Gemeinschaft könnte sich schnell in einer Situation wiederfinden, in der sowohl das Geld, als auch die politischen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Lösung fehlen.
Auch für die Hamas steht viel auf dem Spiel. Nicht nur muss sie beweisen, dass der äußerst blutige Krieg sich für die Palästinenser doch irgendwie gelohnt hat. Auch geht die Forderung nach einer Entwaffnung an ihre Substanz. Die Hamas hatte der palästinensischen Einheitsregierung zugestimmt, um ihren während der Regierungszeit in Gaza angeschlagenen Ruf als einzig relevante Widerstandsbewegung zu festigen. Ein Abkommen, bei dem sie ihre Waffen abgibt, würde bedeuten, sich ihres eigenen Daseinszwecks zu berauben. Und wenn die Hamas nicht freiwillig ihre Waffen aushändigt, wer sollte sie dann dazu zwingen?
Ein Abkommen, bei dem die Hamas ihre Waffen abgibt, würde bedeuten, sich ihres eigenen Daseinszwecks zu berauben. Und wenn die Hamas nicht freiwillig ihre Waffen aushändigt, wer sollte sie dann dazu zwingen?
Würden UN- oder EU-Kräfte damit betraut, würden sie schnell zwischen die Fronten geraten. Die Hamas hat bereits erklärt, dass eine Abgabe der eigenen Waffen vor der Etablierung eines palästinensischen Staates außer Frage steht. Israelische und EU- Vorschläge machen sich dafür stark, dass die Palästinensische Autonomiebehörde wieder die Verantwortung in Gaza übernimmt. Ähnliches ist grundsätzlich auch im Abkommen der Übergangsregierung zwischen Fatah und Hamas vorgesehen. Das sieht eine Prüfung vor, wie die Hamas-Sicherheitskräfte in die der Autonomiebehörde integriert werden können. Für junge palästinensische Männer sind Jobs bei den Sicherheitskräften sowohl in der West Bank, als auch im Gazastreifen eine der wenigen Möglichkeiten, eine bezahlte Arbeit zu finden. Die Zahl der Angestellten ist entsprechend hoch, denn mit diesen Arbeitsmöglichkeiten erkaufen sich die Parteien Hamas und Fatah auch politische Loyalitäten. Sollte die Autonomiebehörde, deren Sicherheitskräfte immer noch weitgehend Fatah-dominiert sind, mit der Entwaffnung beauftragt werden, wäre dies das Vorspiel für eine Neuauflage des Bruderkriegs von 2006.
Die Hamas hat sich auf eine Einheitsregierung eingelassen, um der politischen Ausweglosigkeit zu entrinnen, und nicht, um danach in völlige Bedeutungslosigkeiten manövriert zu werden.
Die Hamas hat sich auf eine Einheitsregierung eingelassen, um der politischen Ausweglosigkeit zu entrinnen, in der sie sich vorher befand, und nicht, um danach in die völlige Bedeutungslosigkeiten manövriert zu werden. Sowohl für die internationale Gemeinschaft, als auch für Israel und die Fatah mag das zwar wünschenswert sein, realistisch jedoch ist es nicht. Die internationale Gemeinschaft stünde vor einer Wiederholung der in der Implementierung teilweise gescheiterten UN Sicherheitsratsresoultion 1701. Die forderte 2006 die Entwaffnung der libanesischen Hizbollah und ist bis heute nicht umgesetzt.
Gesucht: Internationaler Mechanismus zur Öffnung Gazas
Ein funktionierender internationaler Mechanismus der zur Öffnung des Gazastreifens beiträgt, könnte das Gewaltpotential erheblich reduzieren und ist mehr als wünschenswert. Allerdings wird auch hier Premierminister Netanjahu Schwierigkeiten haben, solch ein Ergebnis als Gewinn zu verbuchen. In der israelischen Bevölkerung schafft solch ein Vorschlag für Gaza nur bedingt Vertrauen. Schließlich hat sich dort seit dem überhasteten Abzug der UN-Schutztruppe für den Sinai 1967 die Überzeugung etabliert, dass eine internationale Militärpräsenz niemals Sicherheit garantieren kann. Sollte der Mechanismus aber zu einem Rückgang der Gewalt beitragen, könnte er als positives Beispiel für eine spätere internationale Militärpräsenz im Jordantal dienen.
So oder so braucht es endlich eine tragfähige Lösung für Gaza. Der noch abzuschließende Waffenstillstand ist sonst nur der Startschuss für die Wartezeit bis zum nächsten Waffengang.
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