Über kaum ein internationales Abkommen wird seit Monaten so heftig diskutiert wie über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der EU. Die Befürworter heben die zu erwartenden positiven Effekte auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung hervor. Die Gegner sehen überwiegend Gefahren: die Absenkung von Gesundheitsstandards, Einschränkungen der Demokratie durch das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren und vor allem eine Schwächung der Arbeitsnehmerrechte. Gewerkschaften sowie globalisierungskritische Nichtregierungsorganisationen und Parteien befürchten, dass Freihandelsabkommen generell zu einer Abwärtsspirale, einem „race to the bottom“, bei den Arbeitsstandards führen. Insbesondere ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, die als Vertreter des angelsächsischen Kapitalismus – von Kritikern auch gerne als Raubtierkapitalismus bezeichnet – gelten, befördere diesen Trend und führe zu einer Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte in der EU.

Ein gänzlich anderes Bild zeigt jedoch ein Blick auf die amerikanische Handelspolitik der letzten Dekaden. Seit Gründung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) im Jahr 1994 haben sich die USA im Rahmen ihrer Freihandelsabkommen immer stärker für die Förderung und Einhaltung der nationalen Arbeitnehmerrechte und der internationalen Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingesetzt. Setzt sich dieser Trend fort, dann wird TTIP nicht, wie befürchtet, zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung von Arbeitnehmerrechten und deren Durchsetzung beitragen.

Erst George W. Bush gelang es, den Streit über Arbeitsstandards in der US-Handelspolitik beizulegen.

Bereits im Omnibus Trade and Competitiveness Act von 1988, der eine Fast-track-Befugnis für den Präsidenten beinhaltete, setzte der Kongress als Zielvorgabe für Handelsabkommen fest, dass Arbeitnehmerrechte zu fördern seien. Das Fast-track-Verfahren vereinfacht und beschleunigt die Verabschiedung von Handelsabkommen, indem klare zeitliche Begrenzungen gesetzt werden und der Kongress keine verpflichtenden Gesetzesergänzungen an den Handelsabkommen vornehmen kann. Der Präsident wird allerdings im Gegenzug angehalten, die vom Kongress vorgegebenen Verhandlungsziele und Konsultationspflichten zu beachten. Kurz vor Ende seiner Amtszeit unterzeichnete Präsident George W. Bush NAFTA, in dem der Schutz und die Durchsetzung von Arbeitsstandards unverbindlich in der Präambel standen. Sein Nachfolger Bill Clinton bestand jedoch darauf, verbindliche Bestimmungen zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten (und Umweltstandards) aufzunehmen, bevor er dem Kongress das Abkommen zur Verabschiedung vorlegen wollte. Während die Demokraten im Kongress und die Gewerkschaften dieses Vorgehen begrüßten, lehnten die Republikaner, die mexikanische Regierung und der Großteil der Unternehmensverbände eine Aufnahme von Arbeitnehmerrechten ab, da sie darin eine Gefahr für einen neuen Protektionismus sahen. Doch die Clinton-Regierung konnte sich mit ihrer Position durchsetzen. In Ergänzung zum NAFTA vereinbarten die USA und Mexiko das North American Agreement on Labor Cooperation (NAALC). Die Republikaner lehnten dieses Ergänzungsabkommen zwar ab, stimmten ihm am Ende jedoch zu, damit NAFTA zügig in Kraft treten konnte.

Die Kontroverse zwischen Republikanern und Demokraten über die Aufnahme von Arbeitsstandards in Handelsabkommen führte jedoch im weiteren Verlauf der Präsidentschaft Clintons zu einer Blockade in der Handelspolitik. So scheiterten mehrere Versuche, ein neues Fast-track-Gesetz zu verabschieden. Erst George W. Bush gelang es, eine überparteiliche Einigung zu erzielen. So verabschiedete der Kongress mit knapper Mehrheit die sogenannte Trade Promotion Authority, im Trade Act von 2002. Als Verhandlungsziele für Handelsabkommen sah das Gesetz unter anderem vor, dass die Achtung von Arbeitnehmerrechten gefördert und deren Aufweichung, um einen Handelsvorteil zu erlangen, verhindert werden sollen. Aufbauend auf den Bestimmungen des NAALC integrierten die USA im Rahmen der Trade Promotion Authority verbindliche Bestimmungen zu Arbeitsstandards in den bilateralen Freihandelsabkommen mit Australien, Bahrain, Chile, Marokko, Oman und Singapur sowie dem regionalen Freihandelsabkommen mit den zentralamerikanischen Ländern Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und der Dominikanischen Republik.

Seit 2002 enthalten alle US-Freihandelsabkommen verbindliche Bestimmungen zu Arbeitnehmerrechten.

Als die Demokraten während der zweiten Amtszeit von Präsident George W. Bush bei den Wahlen 2006 die Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat übernahmen, stellten sie Forderungen nach einer Stärkung von Arbeitsstandards in Handelsabkommen, wozu sich die Bush-Regierung aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse im Kongress zügig im Frühjahr 2007 bereit zeigte. Regierung, Republikaner und Demokraten im Kongress einigten sich nach monatelangen Verhandlungen auf das sogenannte May 10th Agreement. Diese Einigung sah eine Stärkung der ILO-Kernarbeitsnormen vor und fand schließlich Berücksichtigung in den Freihandelsabkommen mit Kolumbien, Panama, Peru und Südkorea.

Seit der Trade Promotion Authority enthalten alle US-Freihandelsabkommen verbindliche Bestimmungen zur Einhaltung und Durchsetzung nationaler Arbeitnehmerrechte. Die Handelspartner verpflichten sich demnach, ihre eigenen nationalen Arbeitnehmerrechte einzuhalten und durchzusetzen. Das May 10th Agreement erweiterte diese Bestimmungen insofern, als dass die Handelspartner nun neben den nationalen Arbeitnehmerrechten auch zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, wie dem Recht auf Kollektivverhandlungen oder der Abschaffung von Kinderarbeit, verpflichtet werden. Sollte eine Vertragspartei die eigenen nationalen Arbeitnehmergesetze oder die ILO-Kernarbeitsnormen nicht einhalten und dies den Handel zwischen den Vertragsparteien beeinträchtigen, kann der Handelspartner ein Streitschlichtungsverfahren einleiten. Sollte der angeklagte Staat schuldig gesprochen werden, wird eine Geldstrafe fällig. Diese Strafe wird allerdings nicht an den klagenden Vertragspartner überwiesen, sondern in einen Fonds eingezahlt, der dazu genutzt wird, die beklagte Verletzung der Arbeitsstandards zu beheben. Falls der angeklagte Staat die Strafe nicht zahlen sollte, kann der Klägerstaat diese über Zollerhöhungen einsammeln. Zusätzlich zu diesen verbindlichen Bestimmungen enthalten die US-Freihandelsabkommen auch die sogenannte non-derogation clause. Danach soll keiner der Vertragsparteien seine eigenen nationalen Arbeitnehmerrechte absenken, um einen Handelsvorteil zu erlangen. Diese Bestimmung ist hingegen nicht über ein Streitschlichtungsverfahren einklagbar.

Neben den vertraglich verankerten Arbeitsstandards in Freihandelsabkommen erwirkten Regierung und Kongress, insbesondere auf Druck der Demokraten, bereits während der Verhandlungen, dass viele Handelspartner ihre nationalen Arbeitsgesetze und Praktiken verbesserten. So brachten die Handelspartner Bahrain, Kolumbien, Oman und mehrere zentralamerikanische Länder auf Drängen der Vereinigten Staaten ihre Arbeitnehmergesetze in Einklang mit den ILO-Kernarbeitsnormen. Die omanische Regierung stärkte zum Beispiel das Streikrecht, die Tarifautonomie, die Versammlungsfreiheit und das Verbot von Zwangsarbeit. Kolumbien verbesserte die Gesetze und die Strafverfolgung, um die Morde an Gewerkschaftern zu verringern.

Die USA haben in keinem ihrer Freihandelsabkommen Arbeitsstandards vertraglich gesenkt.

 

Auch wenn die ILO-Kernarbeitsnormen, die als Mindestmaßstab für die Freihandelsabkommen dienen, nicht den Standards in der EU entsprechen, entkräften die bisherigen Verhandlungen und Vertragsentwürfe bestehende Vorurteile gegenüber dem zu erwartenden endgültigen Vertragstext der TTIP. So haben die USA bisher in keinem ihrer Freihandelsabkommen Arbeitsstandards vertraglich gesenkt, sondern im Gegenteil sich für deren Anpassung an internationale Standards und verbesserte Durchsetzung eingesetzt. Als problematisch kann jedoch angesehen werden, dass eine Durchsetzung der Vertragsbestimmungen abhängig vom politischen Willen der Regierungen ist. So strebte die Regierung von Barack Obama gegen Guatemala bisher die erste und einzige Klage wegen der Verletzung internationaler Arbeitsstandards an. Die Einführung eines effektiven Petitionsverfahrens könnte hier mehr Transparenz und Kontinuität schaffen. Auch die Nichtverbindlichkeit der non-derogation clause kann kritisch gesehen werden. Eine verbindliche Klausel, über die gegen eine Herabsetzung nationaler Arbeitsstandards per Streitschlichtungsmechanismus oder möglicherweise anderer Verfahrensweise geklagt werden könnte, scheint an dieser Stelle jedoch kein probates Mittel, da hierdurch die gesetzgebende Kompetenz der Parlamente eingeschränkt werden würde.

Die Verhandlungen über TTIP bieten die Chance, aufbauend auf vorherigen Vertragstexten die Achtung und Durchsetzung nationaler und internationaler Arbeitsstandards zu verbessern. Da TTIP – sollte es zustande kommen – als Modell für zukünftige Freihandelsabkommen dienen wird, könnte dies auch zur Verbesserung der Arbeitsstandards außerhalb der USA und der EU beitragen. Allerdings ist hierfür ein konstruktiver und dogmenfreier Diskurs notwendig. Hier liegt es vor allem an der Europäischen Kommission, bessere Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen, um eine offenere Diskussion führen zu können, mit dem Ziel einer legitimen und nachhaltigen Handelspolitik.