Das Motto des 3. Weltkongresses des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) in Berlin war gut gewählt: „Building Workers‘ Power“. Denn die Vorzeichen sind günstig, dass die Gewerkschaften künftig wieder eine stärkere globale Rolle spielen. Nach Jahren der Niedergangs-Prophezeiungen erleben sie eine Renaissance. Und auch auf der internationalen Bühne geben die Gewerkschaften wieder ein geschlosseneres und optimistischeres Bild ab.
Sicher, lange Zeit sah es nicht danach aus. Abgesänge auf die Gewerkschaften als Dinosaurier der schönen neuen Arbeitswelt wechselten ab mit Angriffen auf die angeblich starrsinnigen „Modernisierungsblockierer“. Und auch unter den Gewerkschaften selbst griff die fatalistische Ansicht um sich, dass die neoliberale Globalisierung ihre Macht zwangläufig untergraben und zu einer „grenzenlosen Ohnmacht“ (Tudyka) führen werde. Viele waren zudem skeptisch, ob mit einer stärker internationalen Ausrichtung von Gewerkschaftsstrategien verlorenes Terrain zurückzugewinnen sei. Lange Jahre war die internationale Gewerkschaftsbewegung ideologisch tief gespalten und die wenigen Erfolge, die es gab, wie die Etablierung von Kernarbeitsnormen, wurden kaum wahrgenommen.
Lange Jahre war die internationale Gewerkschaftsbewegung ideologisch tief gespalten.
Selbst zunächst erfolgversprechende Ansätze wie der Kampf um Sozialklauseln in Handelsverträgen scheiterten in den 1990er Jahren letztlich auch an den unterschiedlichen Positionen der Gewerkschaften des Nordens und des Südens, die bei der WTO-Ministerrunde 1999 in Seattle aufeinanderprallten.
Zugleich aber gelten die Auseinandersetzungen um Seattle 1999 und die Weltsozialforen ab 2001 als Geburtsstunden der globalisierungskritischen Bewegung. Und diese wurde von Anfang an auch von Teilen der Gewerkschaftsbewegung unterstützt. Von hier gingen wichtige Impulse zur Bündnispolitik zwischen Arbeiterorganisationen, Umweltschützern, NGOs und sozialen Bewegungen aus.
Hier wurden erste Risse in das ökonomische Einheitsdenken gestemmt. Und mit geradezu enzyklopädischem Aufklärungswillen wurde über „global finance“, „global trade“ und Steueroasen, den „Rotlichtzonen des Kapitals“, Aufklärungsarbeit betrieben. In diesem Kontext schickte sich auch die Gewerkschaftsbewegung an, neue Antworten auf globale Herausforderungen zu formulieren. Trotz aller verbleibenden Herausforderungen: Eine erste Bilanz fällt positiv aus.
„Wenn wir uns organisieren…“
Der Zusammenschluss der beiden konkurrierenden globalen Gewerkschaftsbünde Internationaler Bund Freier Gewerkschaften mit dem christlichen Weltverband der Arbeitnehmer zum Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) war 2006 ein Meilenstein. Hinzu kamen die Fusionsprozesse der Global Union Federations (GUF), der Dachverbände der Branchengewerkschaften. Noch nie in ihrer langen Geschichte war die globale Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter organisatorisch so geeint wie heute. Der IGB ist mit 325 Mitgliedsorganisationen in 161 Ländern mit 176 Millionen Mitgliedern die größte demokratische Organisation der Welt.
Dabei versteht er seine Hauptaufgabe nach wie vor darin, die Rechte und Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen bei den großen globalen Institutionen zu vertreten. Mit der Decent Work Agenda für menschenwürdige Arbeit, dem Global Jobs Pact als Antwort auf die Krise und bei den Verhandlungen der G20 konnte der IGB durchaus politisch bedeutsame Akzente setzen.
Thematisches Neuland
Parallel zur Wahrnehmung seiner Hauptaufgaben hat der IGB in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auch thematisch neue Pfade eingeschlagen. Bereits kurz nach seiner Gründung diversifizierte der IGB sein Aktionsfeld. Besonders bemerkenswert ist dabei der Schwerpunkt Klimawandel und nachhaltige Entwicklung. Überzeugendes Motto: „There are no jobs on a dead planet“.
Während die Gewerkschaften der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls 1997 noch skeptisch gegenüberstanden, hat der IGB die Bedeutung der Frage erkannt, wie gerechte Übergänge in eine emissionsarme Ökonomie gestaltet werden können. Dabei ist auch zu beleuchten, wie diese Übergänge genutzt werden können, um die Prinzipien menschenwürdiger Arbeit neu und besser zu verankern. Die Überlegung, wie alternative und ökologisch nachhaltige Wirtschaftssysteme beschaffen sein müssen, damit sichere Arbeitsplätze geschaffen werden, wird auch in den kommenden vier Jahren einer der drei strategischen Schwerpunkte des IGB sein.
Gravierende Herausforderungen für gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht bleiben dabei der geringe Organisationsgrad von weltweit sieben Prozent (11 Prozent in der formellen Ökonomie) und die weiterhin verbreitete Verletzung von Gewerkschaftsrechten und den Rechten von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Die „Förderung von Rechten“ und „Organisierung“ bilden deshalb zwei weitere Schwerpunkte der Arbeit des IGBs. Bis 2018 wollen die Mitgliedsorganisationen 20 Millionen Beschäftigte neu organisieren.
Neue Instrumente statt nur klassischer Lobbyarbeit
Klar ist: Nur über klassische Lobbyarbeit in internationalen Institutionen werden diese Ziele nicht zu erreichen sein. Dies auch, weil die Institutionen selbst unter der Last ihrer Aufgaben und veralteten Strukturen ächzen und an Steuerungskapazitäten eingebüßt haben. Vor diesem Hintergrund haben gezielte Kampagnen an Bedeutung gewonnen. Dazu gehören etwa die „12 to 12 Campaign“ zur Organisierung von Hausangestellten, „Play Fair“ zu den Arbeitsbedingungen bei Sportartikelherstellern und beim Stadionbau oder die „Unions4climateaction“ zur Klimagerechtigkeit.
Die Kampagnen schaffen globale Sichtbarkeit, verzahnen lokale, nationale und internationale Gewerkschaftsarbeit und sind die Voraussetzung für breite gesellschaftliche Bündnisse. Der IGB und die GUF versuchen so über ihre Mitgliedsorganisationen, soziale Bewegungen um wichtige Themen herum aufzubauen und letztlich auch zum Organizing beizutragen. So konnte im Vorfeld des Fifa World Cups in Brasilien die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Personen im Bausektor verdoppelt werden.
Gemeinsame Lernprozesse
Die internationale Gewerkschaftsbewegung ist heute geeinter denn je. Dennoch gibt es weiterhin Konflikte. Hierzu zählen die Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaften aus dem Süden und aus dem Norden. Dabei geht es nicht nur um die strategische Ausrichtung, sondern auch um die Repräsentation in der Organisation. Wie auch die klassischen Strukturen der Global Governance sind der IGB und die Branchendachverbände stark von den Industrieländern geprägt.
In Zukunft wird es darauf ankommen, die Disparität der Interessen miteinander zu versöhnen, unterschiedliche Gewerkschaftsansätze anzuerkennen und gemeinsame Lernprozesse zu organisieren, in denen auch der Norden vom Süden lernt – so z.B. bei der Organisierung von informell Beschäftigten. Dass nun zum ersten Mal ein Vertreter einer großen Gewerkschaft des Südens, der CUT Brasiliens, zum Präsidenten des IGB gewählt wurde, könnte diese Entwicklung befördern.
Nach außen bleibt dabei die größte institutionelle Herausforderung die Frage, wie die Beziehungen zum All-Chinesischen Gewerkschaftsbund stabilisiert werden können. Bekanntlich ist dieser nicht Mitglied im IGB, hat aber mehr Mitglieder als der IGB weltweit. Hier geht es um eine Balance: Dialogplattformen sollen aufrechterhalten bleiben. Zugleich aber dürfen die Verletzungen von Rechten und die zahllosen Arbeitskämpfe in China nicht aus dem Blick geraten.
Die Gewerkschaftsbewegung wird in den kommenden Jahren auch stärker Wert darauf legen müssen, die heterogenen Gesichter der Arbeit abzubilden.
Die Gewerkschaftsbewegung wird dabei in den kommenden Jahren auch stärker Wert darauf legen müssen, die heterogenen Gesichter der Arbeit abzubilden. Das heißt, es müssen auch Gruppen integriert werden, die zwar in der Entwicklung der europäischen Gewerkschaften keine Rolle gespielt haben, die jedoch im globalen Süden (aber nicht nur dort) breiten Raum einnehmen. Zumal diese wie die Landlosen und Kleinbauern, die Hausangestellten, Straßenhändler und Wanderarbeiter auch eine wichtige Rolle in aktuellen sozialen Kämpfen spielen.
Zuviel für eine einzige Organisationsform
Klar ist dabei auch, dass diese Aufgabe nicht von einer Organisation(sform) alleine geschultert werden kann. Die strategische Antwort liegt deshalb in der Vernetzung von unterschiedlichen, traditionellen und neuen Formen. Dazu gehören die Kampagnen des internationalen Dachverbands, die Rahmenabkommen der GUFs, die Welt- und Eurobetriebsräte, die gewerkschaftlichen Netzwerke in den transnationalen Konzernen, Zusammenschlüsse aus dem Globalen Süden wie SIGTUR, Forschungs- und Bildungsinitiativen wie RedLat oder auch die Global Labour University. Hinzu kommen soziale Bewegungen und NGOs, Internetseiten wie Unionbook, Labourstart und Labournet und die zahlreichen „rooted cosmopolitans“ (Tarrow) – global denkende Aktivistinnen und Aktivisten der lokalen Arbeitskämpfe.
Gemeinsam könnten sie die Stimme der Arbeit des 21. Jahrhunderts bilden und Gegenmacht aufbauen. Voraussetzung dafür ist, dass die internationale Gewerkschaftsbewegung weiter strategische Spaltungen aufbricht und einen produktiven Umgang mit Differenzen findet. Es gilt, im vollen Bewusstsein unterschiedlicher Milieus, Organisationskulturen und ideologischer Aufstellungen nach gemeinsamen konkreten politischen Projekten und Zielen zu fahnden. Dabei geht es nicht zuletzt um einen neuen Begriff von Solidarität. Diese kann nicht mehr auf geografischer Nähe und relativ homogenen Gemeinschaften beruhen, sondern auf gemeinsamen Zielen jenseits kultureller Grenzen.
Es gilt, im vollen Bewusstsein unterschiedlicher Milieus, Organisationskulturen und ideologischer Aufstellungen nach gemeinsamen politischen Zielen zu fahnden.
Solidarität muss sich dabei an konkreten Projekten fest machen, wie sie auch der IGB-Kongress formuliert, an denen die verschiedenen Akteure arbeiten können, ohne ihre Differenzen einebnen zu müssen. Wenn es gelingt, die zahlreichen politischen Impulse und sozialen Kämpfe der vergangenen Jahre zu verknüpfen, wird eine vereinte globale Gewerkschaftsbewegung eine starke Kraft für globalen sozialen Wandel und Anlass zur Hoffnung auf Veränderung.
Dabei sei daran erinnert, dass Veränderung dringend erforderlich ist. Denn die Herausforderungen bleiben gewaltig. Im globalen Süden sind die Arbeitsmärkte durch einen großen Anteil an informeller Arbeit geprägt, während im Norden die Langzeitarbeitslosigkeit zunimmt. 400 Millionen Menschen gelten als Working Poor, drei Viertel der Menschheit sind ohne sozialen Schutz. In vielen Ländern werden Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte massiv verletzt, bis hin zu Bedrohung, Verfolgung und Ermordung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Die zunehmende soziale Spaltung bietet zahlreichen Konflikten einen Nährboden.
Dabei wird die Frage, wie weltweit der Übergang in nachhaltige Wirtschaftssysteme auch sozial gerecht gestaltet werden kann, in den kommenden Jahrzehnten darüber entscheiden, ob es Erfolge bei der Bekämpfung des Klimawandels gibt. Und schließlich: Wie sollen alternative Ansätze gegen die Macht globaler Konzerne, gegen Standortwettbewerb und staatliche Repression durchgesetzt werden? Ohne starke und freie Gewerkschaften wird das nicht gelingen. Deshalb ist es richtig und gut, dass sie künftig eine wichtigere Rolle spielen.
3 Leserbriefe
Allerdings enthält er - aus meiner Sicht bedauerlicherweise - doch nur recht eingeschränkt Informationen zum IGB-Weltkongress - und diese sind leider auch auf der entsprechenden web-Seite ( http://congress2014.ituc-csi.org/ ) bisher nur begrenzt zu finden.
Vielleicht ist es möglich, solche Informationen zeitnah nachzutragen ?
Abschließende ein kleiner Werbeblock:
Dokumentationen (PDF-Dateien) mit IGB-Dokumenten (bis einschl. 2. Weltkongress) sind über die Seite http://wiki-gute-arbeit.de/index.php/Dokus/Reader_-_IGB-Dokumente zu erreichen. Eine Ergänzung um Dokumente des 3. Weltkongresses ist geplant, sobald diese verfügbar sind.
Besten Dank und Gruß
Bernhard Pfitzner
Mit ein paar Refömchens wird es da nicht getan sein. Demokratie und Menschenrechte die dürfen nämlich nicht beim Fabrikstor aufhören!
Auch fehlt ein Hinweis auf die wachsende Zahl der Erwerbs-Arbeitslosen, die sich ja zum Teil auch selbst organisieren und durchaus auch als Teil der Gewerkschaftsbewegung gesehen werden sollten
http://www.aktive-arbeitslose.at