Einen Monat nach dem gescheiterten Putschversuch türkischer Offiziere verstärkt sich der Eindruck, dass die Gülen-Bewegung eine wichtige Rolle darin spielte. Doch wie groß war diese Rolle? Hat der Gründer und Namensvater der Bewegung, Fethullah Gülen, tatsächlich, wie von Ankara behauptet, den Putsch organisiert und aus der Ferne in den USA geleitet? Oder war es ein armseliger Versuch von Offizieren, die der Bewegung angehören, eine bevorstehende Verhaftung abzuwenden? Es gibt Indizien, welche die zweite These unterstützen.
Es ist noch wenig bekannt über die Motive und Organisation der Putschisten. Die bekannten Fakten, vor allem im Zusammenhang mit Gülens Rolle, sind widersprüchlich – wie alles andere, was den muslimischen Prediger in den USA und seine inzwischen weltweite Bewegung angeht.
Wie passt es zusammen, dass Mitglieder dieser Bewegung einerseits seit Jahrzehnten den türkischen Staat wie eine Krake umzingeln und aussaugen, in unrühmlichen Aktionen linke und kurdische Politiker, kritische Journalisten oder andersdenkende Beamte vefolgen, aber andererseits in ihren Schulen Toleranz predigen und konstruktiv an interreligiösen Dialogen teilnehmen?
Wie ist es zu erklären, dass Millionen von Menschen sich einem bei jeder Gelegenheit heulenden Prediger scheinbar bedingungslos ergeben?
Wie ist es zu erklären, dass Millionen von Menschen sich einem bei jeder Gelegenheit heulenden Prediger scheinbar bedingungslos ergeben?
Die Gülen-Bewegung ist eine islamistische Bewegung. Sie möchte, dass die Gesellschaft im Einklang mit den Regeln des Islams lebt. Fethullah Gülen formte sie Anfang 1970er Jahre in der Türkei. Er war stark beeinflusst von einem anderen muslimischen Gelehrten: Said-i Nursî – dem Gründer der Nur-Gemeinde. „Nur“ bedeutet Licht. Die Nur-Gemeinde entstand, als das Osmanische Reich dem Untergang geweiht war. Nach der Gründung der neuen Republik sahen die neuen Herrscher in Anatolien in Said-i Nursî einen gefährlichen Reaktionär. Er und seine Gemeinde wurden in der Türkei bis in die 1990er Jahre verfolgt. Dennoch versuchte die Nur-Gemeinde – teilweise sehr erfolgreich –, durch Verbreitung islamischer Literatur und gemeinsame Gebetsstunden die türkische Gesellschaft wieder stärker an die Religion zu binden. Sie beschäftigte sich nicht aktiv mit Politik, aber unterstützte politische Parteien, die der Verbreitung des Islams den Weg ebneten, also stets die konservativen Parteien.
Nach dem Tod von Said-i Nursî entstanden mehrere Zweige der Gemeinde. Einer davon war die Gülen-Bewegung, die sich in den folgenden Jahren weiterentwickelte und von anderen Nuristen entfernte. Ähnlich wie der Rest der Nuristen war auch die Gülen-Bewegung eine konsequent anti-kommunistische, anti-sozialistische und im Allgemeinen eine anti-linke Bewegung. Fethullah Gülen hat den Militärputsch 1980 offen gelobt und unterstützt, weil dieser sich hauptsächlich gegen die damals starken sozialistischen Strömungen im Land richtete.
Mit Duldung der Putschisten und des späteren neo-liberalen Ministerpräsidenten Turgut Özal nistete sich die Gülen-Bewegung in den Folgejahren im Staatsapparat ein. Gülen setzte immer neue Akzente in seiner Bewegung. Sie wurde politischer, sie fing an, Geld zu verdienen – im Gegensatz zu allen anderen Nuristen. Und sie passte sich allmählich der modernen Welt an, indem sie sich mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und anderen Religionen auseinandersetzte. Sie versöhnte sich mit dem Westen und teilweise auch mit westlichen Werten und ging damit einen Sonderweg im Vergleich zu radikal-islamischen Politikern.
Es ist wichtig festzuhalten, dass weder die Nuristen noch die Gülen-Bewegung jemals Sekten waren.
Obwohl die Gülen-Bewegung sich von den Nuristen immer weiter entfernte, sind bis heute starke Einflüsse der Nur-Gemeinde zu beobachten. Diese sind vor allem in ihren Organisationsstrukturen zu erkennen. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass weder die Nuristen noch die Gülen-Bewegung jemals Sekten waren. Sie sind vielmehr Gemeinden. Sie haben keinen Führer, der eine strenge wegweisende Funktion hat, sondern verstehen sich als geschützte Räume für Gleichgesinnte, für Glaubensbrüder, und haben lediglich einen spirituellen Ratgeber. Wie bei allen Nuristen gibt es auch in der Gülen-Bewegung auf allen Ebenen Räte, die dem spirituellen Ratgeber nahestehen, sich aber um das Organisatorische kümmern. „Agabeyler konseyi“ („Rat der älteren Brüder“) werden diese Entscheidungsgremien genannt. Über die Strukturen und das Zusammenspiel dieser Räte ist nicht viel bekannt. Dadurch wird die ganze Bewegung intransparent.
Es ist legitim zu behaupten, Gülen hätte die nuristische Idee revolutioniert. Denn Gülen erreichte durch die Politisierung wesentlich mehr Einfluss als andere Islamisten, durch die Investitionen im Bildungsbereich breite Menschenmassen und durch die Kommerzialisierung der „Hizmet-Bewegung“ („Fürsorge-Bewegung“) eine enorme Finanzkraft.
Die Hizmet-Bewegung ist vor allem der Versuch, islamische Gedanken, islamischen Lebensstil und die türkische Sprache durch das Bildungssystem zu verbreiten. So entstanden nicht nur in der Türkei, sondern in 91 Ländern der Welt Gülen-Schulen. Wobei diese sich den Gegebenheiten und Vorgaben des jeweiligen Landes immer gut anzupassen wissen. Zu der Bewegung gehören aber auch Universitäten, Studentenwohnheime, international tätige nichtstaatliche Entwicklungsorganistionen, verschiedene Organisationen, die nur für interreligiösen und politischen Dialog zuständig sind, Medien sowie Unternehmen und Stiftungen, die letztlich die finanzielle Basis der Bewegung sind.
Diese „Revolution“ hätte allerdings ohne Recep Tayyip Erdoğan und seine Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) keinen solchen Erfolg gehabt. Es waren Erdoğan und seine Partei, die letztlich die Gülenisten im Staatsapparat gedeihen ließen. Sie waren es vor allem, die die Gülen-Schulen sowohl in der Türkei als auch in anderen Staaten grenzenlos förderten. Und Erdoğan und seine Minister waren es, die Gülen-nahe Unternehmer auf jede Auslandsreise mitnahmen und bei ausländischen Staatsmännern ein gutes Wort für sie einlegten. Diese Unternehmer sind heute die Grundlage der Finanzstärke der Bewegung.
Erdoğan und seine Truppe, die nicht unbedingt aus der Nur-Bewegung stammt, sondern ihre Wurzeln in den ursprünglich anti-imperialistischen islamistischen Bewegungen des späten 19. Jahrhunderts hat, gingen mit der Gülen-Bewegung eine Zwangsehe ein. Denn als die AKP 2002 bei der ersten Parlamentswahl nach ihrer Gründung direkt und allein an die Macht kam, wurden nicht nur ihre politischen Gegner kalt erwischt, sondern auch sie selbst. Die AKP hatte keine Kader, die erfolgreich einen Staat hätten verwalten können. Die Gülen-Bewegung dagegen hatte sich bereits im Staatsapparat breit gemacht und besaß die notwendigen Fachkräfte. Beide Gruppen haben ihre Kräfte gebündelt. Die erfolgreichen und auch im Ausland mit Bewunderung verfolgten Jahre der AKP-Regierung verdanken sich dieser Zusammenarbeit.
Diese Koalition bröckelte zum ersten Mal bei der Kurdenfrage. Während Erdoğan damals noch mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhandelte, reagierten die Gülenisten im Staatsdienst darauf aus Gewohnheit allergisch. Im Jahr 2009 kam es zum ersten Eklat. Gülenisten in Staatsanwaltschaft und Polizei umzingelten die Geheimdienstzentrale in Istanbul und versuchten, die Unterhändler der Regierung mit der PKK festzunehmen.
Ein Versuch der Gülenisten, Erdoğan wegen Korruption vorzuführen, scheiterte, führte aber dazu, dass Erdoğan den Weg in Richtung Autoritarismus einschlug.
Darauf folgte Ernüchterung im Erdoğan-Lager. Man begann, die Finanzquellen der Gülenisten zu kappen, in dem man die Gülen-Schulen unter Kontrolle zu bringen versuchte. Schlag auf Schlag distanzierten sich die Partner voneinander. Ein Versuch der Gülenisten, Erdoğan wegen Korruption vorzuführen, scheiterte, führte aber dazu, dass Erdoğan den Weg in Richtung Autoritarismus einschlug. Der Putschversuch ist die bisher letzte Episode dieser heftigen und mittlerweile blutigen Auseinandersetzung. Er war aber womöglich nicht der letzte Akt.
Heute werfen Radikalislamisten um Erdoğan der Gülen-Bewegung vor, sie verhielte sich nicht wie eine Gemeinde, sondern wie eine Oppositionspartei, die der islamistischen Politik den Weg versperren möchte. Sie versuchen, der Gülen-Bewegung den Garaus zu machen. Ihre Erfolgschancen sind allerdings begrenzt.
Denn durch die enorme gesellschaftliche Breite, die diese Bewegung mittlerweile erreicht hat, wird sie sich zu verteidigen wissen. Diese gesellschaftliche Breite verändert aber auch die Gülen-Bewegung. Es entstehen unterschiedliche Strömungen. So kommt es, dass einerseits faschistoide Polizisten und Staatsanwälte der Gülen-Bewegung Dissidenten jagen, andererseits und zeitgleich jedoch andere Mitglieder der Bewegung den Dialog mit anderen Religionen oder auch anderen politischen Gruppen suchen.
Es ist durchaus vorstellbar, dass dieses weltweite Netzwerk, dessen Bestandteile zwar voneinander wissen, sich aber nicht wirklich kennen und durchaus unterschiedlich sind, auseinanderfällt, wenn der heute 75 Jahre alte Fethullah Gülen irgendwann stirbt – genauso wie nach dem Ableben seines Vorbildes Said-i Nursî die Nur-Bewegung.
16 Leserbriefe
http://www.spiegel.de/politik/ausland/joe-biden-in-der-tuerkei-diskussionen-ueber-guelen-auslieferung-a-1109180.html
In Frieden und aller Freundschaft aus La France!
Am besten, Sie lesen meinen aktuellen Kommentar auf www.publik-forum.de mit dem Titel"Erdogans Hassobjekt". Dr. Thomas Seiterich
Oft noch wie im Mittelalter z.B. im Umgang mit Frauen.
Sollte nicht Religion uns verdeutlichen, dass wir alle Teil des Ganzen sind. keiner über den Anderen zu stehen hat als Gebot einer umfassenden Liebe.
Abtrennung nicht weiter ist, als ein Produkt unserer subjektiven Wahrnehmung, aus der wir dann unsere Wirklichkeit ableiten.
So lange Religionen in ihrem Missionseifer herumwursteln, von ihrem absoluten Machen bestimmt sind, wird sich nicht groß was in dieser Welt für ein gemeinsames Anliegen ändern.......
Manfred Fischer
In letzter Zeit wird nur auf die türkische Regierung eingedroschen ohne sich vernünftige Informationen zu beschaffen.
Ich selbst bin betroffener der Gülen Bewegung. Ein Mitglied dieser Bewegung hat mich stark angeworben. Ein Bekannter von mir ist in dieser Bewegung schon seit über 20 Jahren. Den ersten Kontakt mit der Gülen Bewegung hatte mich ca. 13 Jahren.
Den letzten Anwerbeversuch gab es vor einiger Zeit, nach meinem studium.
Diese Organisation ist so undurchsichtig und geheimnisvoll das viele der Mitglieder sich noch nicht einmal gegenseitig kennen.
Es stimmt auch das diese Bewegung aufgespaltet ist, in einen politischen Arm und einen Religiösen Arm, der aber nicht extremistisch ist..
Kann der Autor das auch alles belegen ,,
Gülen wäre gegen Kurden und hatte den Putsch im Jahre 1980 unterstützt ,, ?
Ab nach Bagdad mit dir und weiter Märchen erzählen
Vergleichbar ist ebenfalls Ararbien, hier haben die Scheich´s die Bildungsintrumente entworfen.