Am 27. Mai brachen in der abchasischen Hauptstadt Suchumi Unruhen aus, die sich gegen die Politik des 2011 gewählten Präsidenten Ankvab und dessen zunehmend als autokratisch empfundenen Regierungsstil richteten. Sie kamen am 2. Juni mit dem Rücktritt Ankvabs und der Verkündung von Neuwahlen im kommenden August zu einem vorläufigen Ende.

Im Schatten der Ukrainekrise hatte Russland intensive diplomatische Anstrengungen unternommen, um eine Eskalation zu verhindern. So entsandte Russland zwei hochrangige Schlichter, Putins Kaukasus-Berater Surkov und den stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrats, Nurgaliev, in die abchasische Hauptstadt. Beide spielten eine entscheidende Rolle bei der Beruhigung der Krise.

Der Kaukasus kommt nicht zur Ruhe und die Stabilität dort ist trügerisch.

Das übrige Europa, dessen Aufmerksamkeit durch die Ereignisse in der Ukraine absorbiert war, nahm die Vorgänge in Abchasien kaum zur Kenntnis. Doch die Entwicklung zeigt: Der Kaukasus kommt nicht zur Ruhe und die Stabilität dort ist trügerisch. Zudem verfliegen die Erinnerungen an den russisch-georgischen Konflikt des Jahres 2008 angesichts der starken Einflussnahme Russlands nur schwer.

 

Konfliktherd Kaukasus

Hauptursache für die wiederkehrenden Turbulenzen im Kaukasus sind die nach wie vor ungelösten Konflikte um die georgischen Sezessionsgebiete Abchasien und Süd-Ossetien, sowie um das zwischen Aserbaidschan und Armenien umstrittene Bergkarabach-Gebiet. Seit seiner Abspaltung von Georgien nach einem blutigen Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1993 führt Abchasien ein Eigenleben als von Russland alimentierter Separatstaat. Von der Außenwelt ist es weitgehend isoliert. Der Zugang ist praktisch nur über die Grenze im Norden zu Russland möglich, während die Grenze zu Georgien im Süden durch russische Truppen strikt kontrolliert und abgeschottet wird.

Die Ende Mai ausgebrochene Krise in Abchasien hat vielfältige Ursachen.  Warum aber ist sie zu diesem Zeitpunkt virulent geworden?

Was die innenpolitische Lage in Abchasien betrifft, so hat die einseitig ausgerufene, bisher nur von Russland und drei weiteren Staaten anerkannte Unabhängigkeit eine bis heute andauernde politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stagnation zur Folge. Grundübel ist das ungeregelte Verhältnis zu Georgien, das immer wieder zu Spannungen führt. Russland, das in Abchasien ein Truppenkontingent von annähernd 4 000 Mann unterhält, bleibt einziger Garant der Sicherheit des Separatstaates. Das wirtschaftliche Überleben sichert ein jährlicher Zuschuss in Höhe von ca. 65 Prozent zum Staatshaushalt, für den ebenfalls Russland aufkommt.

 

Das ukrainische Streichholz an der Lunte

Die Ende Mai ausgebrochene Krise in Abchasien hat vielfältige Ursachen.  Warum aber ist sie zu diesem Zeitpunkt virulent geworden? Vieles deutet darauf hin, dass Entwicklungen im Verhältnis zu Russland, indirekt auch Rückwirkungen der Ereignisse in der Ukraine, eine bestimmende Rolle gespielt haben. Denn die Annexion der Krim durch Russland war in Abchasien als Menetekel empfunden worden. Einerseits wurde dem russischen Bündnispartner von offizieller Seite „bedingungslose Unterstützung“ zugesagt. Im gleichen Atemzug wurden jedoch die Unterschiede zum Fall Abchasien betont. Dies geschah ohne nähere Ausführung; jede Spekulation, Russland könnte einmal mit Abchasien analog der Krim verfahren, verbot sich schon aus Rücksicht auf den großen Bündnispartner. Als die Opposition am 27.Mai gegen Ankvab auf die Straße ging, tat sie dies auch mit der Forderung, die Beziehungen zu Russland müssten neu und noch enger gestaltet werden. Ankvab wurde vorgeworfen, die Beziehungen in eine formale Erstarrung geführt zu haben. Einer der Oppositionsführer, Raoul Khazhimba, ging sogar so weit, eine Teilnahme Abchasiens an Putins kürzlich offiziell gegründeter „Eurasischer Wirtschaftsunion“ und der vorgeschalteten Zollunion zu befürworten.

 

Zu viel Eigensinn unerwünscht

Schon seit einiger Zeit hatte sich abgezeichnet, dass Ankvab für Moskau zu einem eigensinnigen, oftmals unbequemen Partner geworden war. Ein Beispiel ist das 2010 auf russische Initiative im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) entwickelte Konzept zum Ausbau von Infrastrukturen im Kaukasus. Die Initiative sah unter anderem den Bau einer neuen Straße über den Hochkaukasus von abchasischem Gebiet in das russische Tscherkessien und die Anlage von Tiefwasserhäfen an der abchasischen Küste vor. Von Ankvab wurde sie jedoch aus Gründen des Umweltschutzes kategorisch zurückgewiesen. Dahinter steht offenbar die Befürchtung, dass eine zu enge infrastrukturelle Anbindung an Russland in der Perspektive auch auf politischem Gebiet Folgen haben müsste. Meinungsverschiedenheiten gab es auch zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Hier blieben abchasische Erwartungen auf einen wirtschaftlichen „Windschatten“-Profit unerfüllt, da Russland die Grenzen zu Abchasien hermetisch abriegelte.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich Russland für die Zukunft einen gefügigeren Verbündeten an der Spitze des abchasischen Separatstaates wünschte als Ankvab. Mit seinem Rücktritt und unter den Vorzeichen der nun für den 24. August angekündigten Präsidentenneuwahlen wird die innenpolitische Lage in Abchasien zunächst gespannt bleiben. Dies umso mehr, da der Rücktritt durch ein Ultimatum der Opposition bewirkt wurde, das die abchasische Verfassung nicht vorsieht. Die Anhänger Ankvabs, darunter auch zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft, haben dies deutlich kritisiert. Beim weiteren innenpolitischen Kräftemessen bleiben sie ein Faktor, mit dem zu rechnen ist. Was die bevorstehenden Wahlen anbetrifft, so wird der Verlauf in dem kompakt von Georgiern besiedelten Gali-Bezirk im Süden Abchasiens ein Lackmus-Test sein:  etwa 25 000 von ihnen haben inzwischen abchasische Pässe erhalten. Umstritten ist jedoch, ob sie an den Wahlen  teilnehmen dürfen.

Russland äußerte Erleichterung über den Ausgang des Machtkampfs in Suchumi. Offiziell wurde verlautbart, die dort getroffene friedliche Regelung unterscheide sich positiv von dem Kiewer Maidan. Aussichtsreichster Kandidat für Ankvabs Nachfolge ist nun Khadzhimba. Er ist Absolvent der KGB-Schule in Minsk und hat sich seit 2004 bereits dreimal erfolglos für das Präsidentenamt beworben. Bisher war er vergeblich darum bemüht, das Etikett des „Mannes aus Moskau“ abzustreifen. Mit ihm als Präsidenten wäre ein noch engerer politischer Schulterschluss Abchasiens mit Russland wahrscheinlich.

Einmal mehr verdüstern sich die Aussichten auf eine friedliche Regelung der ethnopolitischen Konflikte, die bereits durch das Fiasko des August-Krieges in Georgien von 2008 nachhaltig erschüttert wurden.

In der Schwarzmeer-Region hat Abchasien zwar seit der Annexion der Krim an strategischem Wert für Russland verloren, aber zur Sicherung russischer Interessen im Südkaukasus bleibt es dennoch ein unentbehrliches Faustpfand. Dabei geht es auch um die Absicherung russischer Positionen gegenüber Georgien, das einen entschlossenen Westkurs mit Kandidatur für eine NATO-Mitgliedschaft eingeschlagen hat. Damit zeichnet sich als eine Folge der Vorgänge in Abchasien ab, dass die politische Temperatur im gesamten Kaukasus erneut ansteigen wird – mit Auswirkungen auch auf die bedrohlich zugespitzte Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach. Einmal mehr verdüstern sich die Aussichten auf eine friedliche Regelung der ethnopolitischen Konflikte, die bereits durch das Fiasko des August-Krieges in Georgien von 2008 nachhaltig erschüttert wurden.

 

Die deutsche Sicherheit auf dem Kaukasus?

Dies alles  wird zweifellos auch auf das Verhältnis zur EU zurückwirken. Durch die für den 27. Juni angekündigte Unterzeichnung eines Assoziierungs-Abkommens mit Georgien rückt der Südkaukasus noch näher an die EU heran. Unter dem Prinzip einer „Zusammenarbeit außerhalb staatlicher Anerkennung“ hatte sich die EU in den letzten Jahren bemüht, die Beziehungen zu Abchasien behutsam zu entwickeln. Sie entsprach damit einem auf beiden Seiten bestehenden Interesse. Sowohl Offizielle wie auch Vertreter der Zivilgesellschaft in Abchasien hatten erkennen lassen, dass die Bemühungen der EU um eine Zusammenarbeit als ein willkommenes Gegengewicht gegen eine allzu starke Umarmung durch den „russischen Bären“ empfunden wurden. Nach dem Machtwechsel in Suchumi ist absehbar, dass die politischen Spielräume für Abchasien auch in dieser Hinsicht noch enger werden.

Trotzdem sollte die EU diese Bemühungen auch unter den neuen, veränderten Voraussetzungen fortsetzen. Wiederholt hatten ihre Vertreter in letzter Zeit ein Interesse daran betont, dass der Südkaukasus als eine der EU unmittelbar benachbarte Region zu mehr Stabilität findet. Vor wenigen Jahren sorgte ein deutscher Verteidigungsminister mit der Äußerung für Aufsehen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch auf dem Spiel stehe. Die Relevanz dieser Regel für den uns wesentlich näheren Südkaukasus ist offensichtlich.