Die Republik Moldau hat gewählt. Am Sonntag waren rund 3,2 Millionen Wahlberechtige aufgerufen, über ein neues Parlament abzustimmen. Das Ereignis war zuvor zur „Schicksalswahl“ erklärt worden: Wird die Republik mehrheitlich für pro-europäischen Parteien und damit für eine Fortsetzung der EU-Integration stimmen? Oder kommt es zu einer Wiederannäherung an die Russische Föderation und zu einer Mitgliedschaft in der Eurasischen Zollunion? Bislang galt die Moldau als Vorreiter der EU-Annäherung. Erst im Juni hatte die Regierung ein EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnet.
Knappe Mehrheit für pro-europäische Parteien
Nach den vorläufigen Ergebnissen haben die pro-europäischen Parteien zusammen eine knappe Mehrheit im Parlament und damit die Möglichkeit, eine neue Koalition zu bilden. Die Liberal-Demokratische Partei (PLDM) von Premierminister Iurie Leanca musste Verluste hinnehmen und kam auf ca. 19 Prozent der Stimmen, zehn Prozent weniger als vor vier Jahren. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die Demokratische Partei (PDM) holte knapp 16 Prozent. Der dritte Koalitionär, die Liberale Reformpartei (PLR) scheiterte an der 6-Prozent-Hürde. Die ebenfalls als pro-europäisch geltende Liberale Partei (PL), die selbst zwischen 2009 und 2013 der Regierung angehörte, liegt ähnlich wie 2010 bei rund 9 Prozent. Zusammengenommen würde das für eine einfache Parlamentsmehrheit von PLDM, PDM und PL reichen.
Klarer Wahlsieger ist jedoch ein anderer: Die pro-russische Sozialistische Partei (PSRM) von Igor Dodon. Die PSRM warb für die Hinwendung zu Russland und gegen die Fortsetzung der EU-Integration. Mit dieser Botschaft erhielt sie rund 21 Prozent der Stimmen. Alle Wahlumfragen hatten sie zuvor bei unter 10 Prozent gesehen. Ihren Wahlsieg dürfte sie auch der Tatsache verdanken, dass die zweite pro-russische Kraft, die Partei „Heimat“ des Oligarchen Renato Usatii nur drei Tage vor der Wahl ausgeschlossen wurde. Sie soll illegale Finanzhilfen aus Russland erhalten haben. Renato Usatii floh daraufhin nach Moskau. Umfragen hatten ihm und seiner Partei zuvor ein zweistelliges Ergebnis vorausgesagt. Viele Wählerinnen und Wähler werden nun für die PSRM gestimmt haben.
In Umfragen spricht sich regelmäßig je die Hälfte der Befragten für eine Orientierung an der EU, die andere Hälfte für Russland aus.
Ebenfalls Stimmen an die Sozialisten verloren hat die Kommunistische Partei (PCRM). Sie stellte bislang die größte Fraktion im Parlament und erreichten nun knapp 18 Prozent. Das ist ihr schlechtestes Ergebnis seit der Unabhängigkeit. 2010 bekam sie noch fast 40 Prozent. Von 2001 bis 2009 konnten sie mit absoluter Mehrheit alleine regieren. Viele dürften die PCRM für ihre unklare Haltung zur EU-Integration abgestraft habe. Lange kritisierte die PCRM das Assoziierungsabkommen mit der EU scharf. Doch je näher der Wahltermin rückte, desto gemäßigter trat sie auf. Im Frühjahr hatte Parteivorsitzender Voronin die Wortführer des anti-europäischen Flügels in der Partei entmachtet. Das EU-Assoziierungsabkommen lehnen die Kommunisten nicht mehr grundsätzlich ab; sie verlangen aber Veränderungen. Zum pro-russischen Flügel kann die Partei jedenfalls nicht gerechnet werden. Vielen ihrer traditionellen Wähler sind allerdings nach Russland orientiert und werden sich bei der Sozialistischen Partei mit ihrer klaren Ablehnung der EU-Integration besser aufgehoben gefühlt haben. Denkbar, aber nicht wahrscheinlich ist, dass Liberaldemokraten und Demokraten nicht die Liberale Partei, sondern die Kommunisten zu Koalitionsgesprächen einladen werden. Der Vorteil dieser Option wäre eine qualifizierte Mehrheit im Parlament, die spätestens 2016 bei der Wahl eines neuen Präsidenten benötigt wird.
Das Wahlergebnis spiegelt so die Spaltungen in der moldauischen Bevölkerung. In Umfragen spricht sich regelmäßig je die Hälfte der Befragten für eine Orientierung an der EU, die andere Hälfte für Russland aus. An dieser Stimmung hat auch die pro-europäische Regierung in den vergangenen Jahren nichts verändern können. Der Ausschluss des von Moskau unterstützten Kandidaten Renato Usatii und die Tatsache, dass für die zahlreichen in Russland lebenden Moldauer zu wenige Wahllokale zur Verfügung standen, wird im pro-russischen Lager und in Moskau zu Vorwürfen führen.
Politik in Moldau: Korruption, Oligarchie und Instabilität
Selbst wenn es gelingt, in den kommenden Wochen eine stabile Regierungsmehrheit zu bilden, bleibt das politische System anfällig. Korruption, separatistische Bewegungen in Gagausien und anderen Landesteilen und natürlich der Einfluss Russlands machen eine Destabilisierung jederzeit denkbar. Russland sieht die Moldau als Teil seines Machtbereichs und setzt derzeit einige Hebel in Bewegung, damit sich das Land nicht weiter Richtung EU bewegt. Hinzu kommen der Konflikt um Transnistrien und ein verwundbarer Finanz- und Bankensektor.
Bei einigen der geopolitischen Faktoren liegt der Schlüssel weniger in der Hand Chisinaus, als vielmehr in Moskau und Brüssel. Anders ist es bei den innenpolitischen Reformen, insbesondere dem Kampf gegen Korruption. Nicht-Regierungsorganisationen verweisen auf einen wachsenden Klientelismus und einen verstärkten Einfluss der Oligarchie während der Regierungszeit der pro-europäischen Koalition. Jede der beiden großen pro-europäischen Parteien, der Liberal-Demokratische Partei (PLDM) und der Demokratische Partei der Republik Moldau (PDM), hat je einen millionenschweren Unternehmer als Finanzier und Strippenzieher in ihren Reihen. Bei der PLDM ist das der ehemalige Premierminister und jetzige Parteivorsitzende Vlad Filat. Bei der PDM der stellvertretende Vorsitzende Vlad Plahotniuc. Dass die beiden Vlads sich nicht leiden können und ständig um ihre wirtschaftlichen und politischen Einflussbereiche kämpfen, macht die Sache nicht leichter. Zugleich sind sie in den Augen vieler pro-westlicher NGOs Symbole für die Unglaubwürdigkeit und Korrumpierung der pro-europäischen Parteien.
Im März 2013 verursachte ein Machtkampf zwischen den beiden Vlads gar eine Staatskrise. Damals wurde bekannt, dass die pro-europäischen Parteien bei der Regierungsübernahme nicht nur Ministerien, sondern auch Institutionen wie die Generalstaatsanwaltschaft, die Steuerbehörde, die Anti-Korruptionsbehörden u.a. untereinander aufgeteilt hatten. Ein Skandal um einen Jagdunfall im Dezember 2012 und der erzwungene Rücktritt des Generalstaatsanwalts brachte diese sorgfältig ausbalancierte Machtverteilung ins Wanken und löste einen Machtkampf aus, der im Sturz der Regierung mündete. Das Ereignis zeigte, dass in der Moldau auch eine stabile Regierungsmehrheit schnell ins Chaos abgleiten kann – ganz ohne den Einfluss Russlands.
Korruption, separatistische Bewegungen in Gagausien und anderen Landesteilen und natürlich der Einfluss Russlands machen eine Destabilisierung jederzeit denkbar
Sollte sich nun eine neue pro-europäische Koalition bilden, wird sie die Korruption bekämpfen müssen, um ihre Glaubwürdigkeit zu retten. Die Reformer in den pro-europäischen Parteien werden dafür viel Geschick und Entschlossenheit brauchen. Ebenso wichtig ist jedoch der Druck aus der Gesellschaft und von internationalen Partnern. An die Adresse von Brüssel und Berlin gerichtet hört man allerdings in der Moldau immer öfter, dass man wissen müsse, wohin die Reise gehen soll. Für ein Assoziierungsabkommen bringe man nicht die Mächtigen zu Fall – für eine EU-Mitgliedschaft aber schon. Eine EU-Mitgliedschaftsperspektive zu erreichen, ist erklärtes Ziel von Premierminister Leanca.
Spekulationen über Moskaus Reaktion
Russland will natürlich genau das verhindern. Schon nach der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens verhängte Russland Importverbote für landwirtschaftliche Produkte aus der Moldau. Und Moskau verweist regelmäßig auf weitere Instrumente, die es zur Durchsetzung seiner Interessen zur Verfügung hat: Stopp von Gaslieferungen, Aktionen gegen die moldauische Diaspora in Russland, weitere Importverbote, Unterstützung pro-russischer Organisationen, „Schutz“ von russischen Staatsbürgern in Transnistrien usw. Vermeintliche Waffenfunde bei der pro-russischen Organisation „Antifa“ kurz vor der Wahl haben in Chisinau die Furcht vor gewaltsamen Provokationen geschürt.
Moldaus Regierung tritt gegenüber Moskau bislang betont konstruktiv auf. Man möchte keine Anlässe für Provokationen schaffen. Doch angesichts des russischen Vorgehens in der Ukraine und der seit Jahren anhaltenden Versuche Moskaus, eine EU-Integration weiterer ehemaliger Sowjetrepubliken zu verhindern, gibt man sich in Chisinau keinen Illusionen hin. Einzig über die Frage, wie weit Russlands Versuche, die weitere EU-Integration der Moldau auszubremsen, gehen werden, wird in der Moldau spekuliert. Umso wichtiger wird es für eine neue pro-europäische Regierung sein, auf die verbreiteten Bedenken gegenüber der EU in der Bevölkerung einzugehen und die EU-Integration von einem Elitenprojekt zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe machen. Das Wahlergebnis jedenfalls war ein Warnschuss für die Pro-Europäer: So wie bislang, soll es nicht weitergehen.
1 Leserbriefe
wesentliches Kriterium fuer eine Zusammenarbeit mit solchen laendern aufstellen wuerde? Weil sie, die EU kommission, selbst moralisch (haufig auch monetaer oder ueber das klientele Verschieben von Posten : siehe EUNIC institute!) korrupt ist?
Ein solches "Europa" wollen wir nicht.