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Das deutsch-britische Verhältnis ist selten ein großes Thema gewesen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wurden nicht in große Vertragswerke gegossen oder mit pompösen Zeremonien begangen. Das war stets der historischen Versöhnungsaufgabe der deutsch-französischen Zusammenarbeit vorbehalten. Trotzdem war und ist es ein zentraler Bestandteil der europäischen Friedensordnung. Und das wird es auch bleiben, auch wenn der Brexit die Beziehungen zwischen Großbritannien und seinen europäischen Nachbarn auf die Probe stellt.

Wir alle sind fasziniert davon, wie die älteste parlamentarische Demokratie der Welt mit sich kämpft. Wir verfolgen gebannt die Debatten im Unterhaus, beobachten die Positionen der unterschiedlichen Parteien und sehen besorgt, wie ein ganzes Land sich zunehmend polarisiert. Die Gräben, die das Referendum aufgerissen hat, sind seit 2016 nur tiefer geworden und ein Kompromiss scheint zunehmend unmöglich.

Mit Bedauern stellen wir fest, dass für manche in Großbritannien der Brexit eine Schlacht im Krieg mit der EU zu sein scheint. Da ist von Kapitulation die Rede, jedes Entgegenkommen wird als Einknicken und Verlust der anderen Seite interpretiert. Das sorgt auf der anderen Seite des Kanals für Ärger und Verstimmung, denn jede Herabsetzung der EU in der britischen Debatte ist eine Herabsetzung eines wichtigen Pfeilers der friedvollen Zusammenarbeit in Europa.

All diejenigen, die zutiefst davon überzeugt sind, dass ein solidarisches Miteinander zwischen Europäern den Weg in eine friedliche und prosperierende Zukunft weist, fühlen sich angegriffen von dem, was in Großbritannien gesagt oder geschrieben wird. Der Brexit hat nicht nur im Vereinigten Königreich tiefe Wunden geschlagen, sondern auch im Rest der EU. Deswegen steigt die Frustration und auch der Wunsch, das ganze Hickhack möge doch bald ein Ende haben.

Besonders in solch turbulenten Zeiten muss der Blick weiter reichen als bis zur nächsten Unterhausdebatte.

Aber besonders in solch turbulenten Zeiten muss der Blick weiter reichen als bis zur nächsten Unterhausdebatte. Die gegenseitigen Verwundungen, die Aufregung rund um die aktuellen Entwicklungen im britischen Parlament, die fieberhaften Versuche, eine funktionierende Lösung für die Grenze in Nordirland zu finden, und der anstehende sicherlich ereignisreiche EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober dürfen den Blick auf die mittel- und langfristige Zukunft nicht trüben.

Deutschland und Großbritannien, Europa und Großbritannien sollten auch nach einem wie auch immer gearteten Brexit Partner und Freunde bleiben. An dieser Maxime müssen wir unser Handeln in den kommenden Wochen und Monaten ebenso ausrichten wie in den Jahren darauf. Denn der Brexit wird uns noch lange begleiten, egal ob er am 31. Oktober nun in irgendeiner Form stattfindet oder doch noch verschoben wird.

Großbritannien wird ein gespaltenes Land bleiben und welche langfristigen Folgen dies haben wird, kann im Moment niemand absehen. Die letzten drei Jahre haben ein bislang ungeahntes Ausmaß an politischer und institutioneller Instabilität offenbart. Momentan will etwa ein Drittel der Britinnen und Briten den harten Bruch mit Europa – No Deal. Ein weiteres Drittel will aber unbedingt in der EU bleiben. Das zeigt, welche auch kurzfristigen Ausschläge aus London zu erwarten sind.

Aber auch in weniger wegweisenden Punkten wird Fingerspitzengefühl und Geduld notwendig sein. Denn auch bei ganz konkreten Fragen wird jede britische Regierung gerade hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Europa wie auf rohen Eiern agieren und ein besonderes Augenmerk auf die innenpolitische Gemengelage richten.

Wir dürfen das Ziel einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung zwischen der EU und London auch dann nicht aus den Augen verlieren, wenn es mal wieder hart hergeht.

Gleichzeitig wäre auch der Brexit kein Ende der Verhandlungen, sondern vielmehr der Anfang. Denn wenn Großbritannien austritt, muss das viel wichtigere Abkommen für die gemeinsame Zukunft ausgehandelt werden: der Vertrag darüber, wie das Vereinigte Königreich und die EU künftig miteinander umgehen. Hier wird es nicht nur darum gehen, Fragen des gemeinsamen Handels zu klären, sondern ein Abkommen zu entwickeln, das der gemeinsamen Geschichte und der immensen Bedeutung dieses Verhältnisses gerecht wird.

Gerade weil Großbritannien hinsichtlich Europas so gespalten ist, werden das keine leichten Verhandlungen. Deshalb dürfen wir das Ziel einer stabilen partnerschaftlichen Beziehung zwischen der EU und London auch dann nicht aus den Augen verlieren, wenn es mal wieder hart hergeht. Handlungsleitend muss die Erkenntnis bleiben, dass von guten europäisch-britischen Beziehungen beide Seiten profitieren können. In zentralen globalen Fragen wie Klimaschutz, faire Gestaltung der Globalisierung, Schutz vor Terrorismus oder Steuerung von Migration sitzen die EU und das Vereinigte Königreich auf der gleichen Seite des Verhandlungstisches.

Von einem konstruktiven Abkommen untereinander profitieren beide, auch wenn einige der Brexiteers es momentan so darstellen, als wäre dies ein Nullsummenspiel, in dem entweder die EU gewinnt und London verliert oder andersherum. Sie argumentieren damit ganz ähnlich wie Donald Trump, der nicht zufällig ein großer Fan des Brexit ist.

Was bedeutet das für die anstehenden Herausforderungen? Kurzfristig heißt dies, ganz im englischen Sinne, keep calm and carry on. Auch wenn in London Parlament und Regierung heftigst darum ringen, wer die Deutungshoheit über den Brexit bekommt, werden wir offen bleiben für eine weitere Verlängerung der Frist. Weder Deutschland noch ein anderes europäisches Land sollte aus formellen Gründen zum Zünglein an der Waage dafür werden, ob Großbritannien nun geht oder bleibt.

Stattdessen sollten wir deutlich machen, dass für uns der Platz des Vereinigten Königreichs stets an der Seite der EU bleibt, entweder innerhalb der Union oder außerhalb, aber dann ganz nah dran. Und um dies auch für unsere Freunde jenseits des Kanals deutlich zu machen: In der Reihe der europäischen Liegestühle haben wir einen reserviert – mit einem Handtuch in den britischen Farben.