Wahlsiege von Rechtspopulisten ziehen unweigerlich eine Welle verzweifelter Selbstreflexion und aufgeregter Kommentare nach sich. Der hauchdünne Sieg des Nationalisten Karol Nawrocki über Rafał Trzaskowski bei den Präsidentschaftswahlen in Polen bildet da keine Ausnahme. Auf die Frage, was genau passiert ist, könnte man jedoch die Erklärung des Politikwissenschaftlers Larry Bartels für Donald Trumps Wahlsiege heranziehen: nicht viel.

Geringfügige politische Verschiebungen können Wahlergebnisse beeinflussen. In diesem Fall ließe sich auf die wachsende Unbeliebtheit der Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk, des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates, verweisen – einer großen Koalition, die sich um die Mitte-rechts-Partei Bürgerplattform formiert, die wiederum Trzaskowski nominiert hatte. Im Allgemeinen sind Wahlen jedoch Ausdruck tief verwurzelter kultureller Trennlinien.

Polen hat einen konservativen Präsidenten gewählt, weil es ein zutiefst konservatives Land ist. Dies entspricht möglicherweise nicht dem Eindruck, den ausländische Medien vermitteln, die sich oft auf die kosmopolitische Blase der städtischen Eliten des Landes konzentrieren. Der durchschnittliche polnische Wähler ist jedoch nach wie vor stark an traditionelle Werte gebunden und steht den mit der Integration in die Europäische Union verbundenen sozialen Veränderungen zunehmend skeptisch gegenüber.

Dies zeigte sich bei einer Reihe von Präsidentschaftswahlen, die nur mit einer absoluten Stimmenmehrheit gewonnen werden können: Bei vier der letzten fünf Wahlen setzten sich Kandidaten durch, die von der rechtsgerichteten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wurden. Die einzige Ausnahme – Bronisław Komorowski, der 2010 gewann – ist praktizierender Katholik, Vater von fünf Kindern und begeisterter Jäger. Das ist für die Verhältnisse der Bürgerplattform ein außergewöhnlich konservatives Profil – insbesondere im Vergleich zu Trzaskowski.

Polen hat einen konservativen Präsidenten gewählt, weil es ein zutiefst konservatives Land ist.

Als Sohn eines Jazzmusikers, der im Warschauer Kunstmilieu aufwuchs, und als polyglotter Absolvent eines Studiums der internationalen Beziehungen verkörpert Trzaskowski das liberale Polen. Seine Amtszeit als Bürgermeister von Warschau hat dieses Image nur noch verstärkt – und damit zu seiner Niederlage gegen Andrzej Duda bei den Präsidentschaftswahlen 2020 beigetragen. Obwohl Duda nur knapp gewann, hätte dies der Bürgerplattform zeigen müssen, dass Trzaskowski möglicherweise nicht der beste Kandidat für die diesjährigen Wahlen ist. Dennoch wurde er erneut nominiert, worin sich die Entfremdung der liberalen Eliten Polens von der breiteren politischen Kultur des Landes widerspiegelt.

Nirgendwo wurde dies deutlicher als bei Trzaskowskis Versuch, Anhänger der rechtsextremen Konfederacja unter der Führung von Sławomir Mentzen für sich zu gewinnen. Mit fast 15 Prozent der Stimmen in der ersten Runde und einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trzaskowski und Nawrocki wurde Mentzen zum potenziellen Königsmacher.

Mentzen ist, gelinde gesagt, kein Gemäßigter. Im Jahr 2019 wurde er durch seine „fünf Forderungen“ bekannt: ein Polen ohne Juden, Homosexuelle, Abtreibung, Steuern und die EU. Der erfolgreiche Unternehmer schockierte erneut, als er nach den Protesten gegen die Ermordung von George Floyd durch die Polizei in Minnesota im Jahr 2020 ein Bier mit dem Namen „White IPA Matters“ auf den Markt brachte. In einem Fernsehwerbespot verkündet ein dunkelhäutiger Barkeeper ironisch: „Genau was ich brauche.“

Vor der Stichwahl nutzte Mentzen die Gunst der Stunde und veröffentlichte acht neue Forderungen, die von einem Veto gegen jegliche Steuererhöhungen und den Beitritt zur Eurozone über die Ablehnung von Strafen für Anti-LGBT-Hassreden bis hin zur Ablehnung einer weiteren EU-Integration und der Unterstützung des Waffenrechts reichten. Anschließend lud er beide Kandidaten der zweiten Runde zu einer Debatte ein und forderte sie auf, alle Forderungen zu unterzeichnen, denen sie zustimmen konnten.

Nawrocki erschien als erster und unterzeichnete wie erwartet alle acht Punkte. Trzaskowski schloss sich dann dem Gespräch an und blieb freundlich, offen und konsequent. Aufsehen erregte jedoch ein Video, in dem er anschließend mit Mentzen und Außenminister Radosław Sikorski ein Bier trank. Das Video verbreitete sich sofort viral. „Auf ein Polen, das verbindet, statt zu spalten“, twitterte Sikorski. „Prost“, fügte Tusk hinzu. Unter liberalen Kommentatoren wurde dieser Bier-Moment zu einem Symbol – einer mutigen, wenn auch unbequemen Geste der nationalen Versöhnung. Der substanzielle Inhalt ihrer Diskussion fand jedoch wenig Beachtung.

Es ist derzeit en vogue, liberale und gemäßigte Parteien dazu aufzufordern, auf konservative Wählerschichten zuzugehen.

Mentzens Forderungen waren trotz aller versteckten Botschaften an die von ihm anvisierten Zielgruppen moderater als seine frühere Rhetorik. Sie enthielten keine offen antisemitischen oder hetzerischen Äußerungen, keine Forderungen nach einem EU-Austritt und keinen Hinweis auf ein Abtreibungsverbot. Seine Ablehnung eines Nato-Beitritts der Ukraine – nicht jedoch eines EU-Beitritts – ist angesichts der Entschlossenheit Trumps, die Ukraine aus dem Verteidigungsbündnis draußen zu halten, wohl irrelevant. Zum Thema LGBT-Rechte sprach Mentzen davon, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu überdenken, erwähnte jedoch weder eingetragene Partnerschaften noch Adoption.

Mit anderen Worten: Mentzen bot Trzaskowski eine strategische Gelegenheit, sich zu diesen politischen Themen einzubringen. Das war kein Zufall: Mentzens Konfederacja hat ein klares Interesse daran, die PiS, ihre Hauptkonkurrentin auf der rechten Seite, zu schwächen. Trzaskowski versäumte es jedoch, diese Gelegenheit zu nutzen und mit seinem Gesprächspartner einen echten politischen Kompromiss anzustreben. Er befürwortete vier der acht Forderungen – mit erheblichen Einschränkungen – lehnte es jedoch ab, auch nur eine davon zu unterzeichnen.

Es ist derzeit en vogue, liberale und gemäßigte Parteien dazu aufzufordern, auf konservative Wählerschichten zuzugehen. Dieses Narrativ ist jedoch nach wie vor von elitärer Herablassung geprägt. Bei einem Großteil dieser Annäherungsversuche geht es nicht um echtes Zuhören, geschweige denn um Kompromisse, sondern um performative Gesten wie im Fall von Trzaskowski, der mit einem Extremisten anstieß. So gewinnt man offensichtlich keine Stimmen – insbesondere nicht in einer Zeit, in der digitale Medien zu einer stärker engagierten Wählerschaft geführt haben.

Mentzen hat das jedenfalls erkannt. Wenige Tage nach dem viralen Biervideo produzierte er einen vielgesehenen Livestream, in dem er Trzaskowskis Ausflüchte und Widersprüche Punkt für Punkt kritisierte. Zwar bekräftigte er seine Dialogbereitschaft und lehnte eine Unterstützung Nawrockis ab, kam aber zu dem klaren Fazit: „Ich sehe absolut keinen Grund, für Trzaskowski zu stimmen.“ Seine Basis sah das genauso. In der Stichwahl stimmten 88 Prozent der Wählerschaft der Konfederacja für Nawrocki.

Die Lehre daraus ist klar: Wenn Liberale und Demokraten sich nur auf oberflächliche Symbole verlassen, werden sie weiterhin verlieren. Nur wenn sie sich ernsthaft mit den Werten und Ängsten der Wähler auseinandersetzen, wird es ihnen gelingen, eine glaubwürdige Herausforderung für Rechtspopulisten darzustellen.

© Project Syndicate

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier