An der Spitze der slowenischen Regierung steht derzeit ein skurriler rechter Politiker. Er heißt Janez Janša, wird aber scherzhaft „Marschall Tweeto“ genannt, weil er in seinem Social-Media-Verhalten dem amerikanischen Ex-Präsidenten nacheifert und Journalisten und kritische Intellektuelle im Stile Donald Trumps beschimpft. Die zersplitterte Opposition, der er sich im slowenischen Parlament gegenübersieht, sucht er dadurch in Schach zu halten, dass er die Medien und das Justizwesen immer stärker unter seine Kontrolle bringt – auch dies ein Déjà-vu.
Die Personalie Janša sollte nicht davon ablenken, dass Sloweniens Regierung dieser Tage zum zweiten Mal die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, woran übrigens deutlich wird, dass die Einstufung der 2004 und 2007 in die EU aufgenommenen Länder als „neue Mitgliedstaaten“ zunehmend obsolet wird. Dennoch hält sich diese Einstufung hartnäckig und zeugt davon, dass die Länder an der Ostflanke der EU nach wie vor als unterentwickelt und unreif wahrgenommen werden.
Vor zehn Jahren wurde das Reifedefizit im Osten klassischerweise an der Korruption in Rumänien und Bulgarien festgemacht. Heute wird es eher mit der Beseitigung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen assoziiert. Und in den vergangenen zwei Jahren ist das kleine und hübsche – weil mit außergewöhnlichen Naturschönheiten gesegnete – Slowenien zum armseligen Nachahmer des ungarischen Autokraten Viktor Orbán herabgesunken.
Diese Entwicklung war keineswegs zwangsläufig. Nachdem Slowenien vor exakt dreißig Jahren aus Jugoslawien herauskatapultiert wurde, schaffte das Land einen problemlosen und koordinierten Übergang zur Marktwirtschaft, bewahrte sich substanzielle Strukturen des sozialen Dialogs, legte Grenzstreitigkeiten mit Kroatien durch eine kontraintuitive Kompromisslösung bei, führte als erstes osteuropäisches Land den Euro ein und wurde zum geachteten Vorbild in der Region. Dieses Image ist inzwischen Geschichte. Gegenwärtig ringt das Land um den Start in ein konstruktives EU-Ratspräsidentschaftshalbjahr.
In den vergangenen zwei Jahren ist Slowenien zum armseligen Nachahmer des ungarischen Autokraten Viktor Orbán herabgesunken.
Als Inhaber des Ratsvorsitzes soll Slowenien mithelfen, die EU nach der Corona-Pandemie auf ihrem Kurs in Richtung Erholung, Resilienz und strategische Autonomie wieder auf Betriebsgeschwindigkeit zu bringen. Außenminister Anže Logar betonte, sein Land wolle der Union helfen, aktiv auf den während der Pandemie gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen aufzubauen. Während des Vorsitzhalbjahres komme dem Aufbaupaket Next Generation EU und seiner Hauptkomponente, der Aufbau- und Resilienzfazilität, besondere Aufmerksamkeit zu.
Wenn nötig, müsse mit unterstützenden Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass die Mittel aus dem Paket rechtzeitig ausgezahlt werden. Über den Sechs-Monats-Zyklus hinaus geht es auch darum, die Voraussetzungen für die Gesundheitsunion und somit für ein neues Feld der europäischen Integration zu schaffen und darauf hinzuwirken, dass die EU nach der Pandemie nicht versucht, zu ihrem fehlkonstruierten fiskalischen Regelwerk zurückzukehren.
Im vergangenen Jahr drehten sich die Diskussionen in Sachen Next Generation EU weniger darum, wie das Aufbaupaket den ökologischen und digitalen Wandel unterstützt, sondern vor allem um die Frage, ob und wie die Auszahlung der Gelder von der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig gemacht werden soll. Nun stehen die Rechtsstaatlichkeit und ihre Stärkung auf der Agenda der slowenischen Präsidentschaft – verbunden mit dem Bemühen um „ein besseres Verständnis der verschiedenen Systeme in den Mitgliedstaaten“. In den Worten der slowenischen Regierung stellt das Thema sich so dar, dass „ein gutes Verständnis der verfassungsmäßigen, sozioökonomischen, politischen, historischen und sonstigen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten dazu beitragen kann, die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu stärken“.
Diese Darstellung ist doppelt problematisch. Erstens suggeriert sie, es gehe um die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit „in der EU“ und nicht in bestimmten Mitgliedstaaten. Zweitens sucht sie Abweichung durch Vielfalt zu ersetzen und schafft – mit historischer, sozioökonomischer oder sonstiger Begründung – unter Umständen eine gewisse Toleranz gegenüber jenen, die die Werte, denen die EU-Länder sich gemeinschaftlich verpflichtet fühlen, in eklatanter Weise verletzen und untergraben. Wenn wir zulassen, dass Orbáns Kumpan den Rahmen für die Diskussion über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie absteckt, haben wir ein Problem.
Das wichtigste dieser Anliegen ist die Vollendung der EU-Erweiterung durch Einbeziehung der Staaten zwischen Kroatien und Griechenland.
Machen wir uns nichts vor: Schwere politische Anomalien gibt es auch im Westen. Die Stärke der Rechtsextremen von Frankreich bis Flandern, die spanischen Verfassungsprobleme in der Katalonienfrage und die Verflechtung der informellen Machtstrukturen in Süditaliens Politik und Wirtschaft sollten für die gesamte EU ein Grund zur Sorge sein. Doch die politische Deformation, die Ungarn unter der Fidesz-Herrschaft erleidet, steht auf der Liste der Anomalien ganz oben. Sie geht deutlich über das Tolerierbare hinaus. Und Slowenien droht derzeit zur Ungarn-Kopie zu werden.
Diese beklagenswerte Lage der Dinge kann nebenbei Schaden bei ansonsten unterstützenswerten Anliegen anrichten, für die die slowenische Ratspräsidentschaft mit großem Einsatz wirbt. Das wichtigste dieser Anliegen ist die Vollendung der EU-Erweiterung durch Einbeziehung der Staaten zwischen Kroatien und Griechenland. Im Oktober wird Sloweniens Regierung einen Westbalkangipfel veranstalten, um dem Erweiterungsprozess neues Leben einzuhauchen. Dieser Gipfel will sorgfältig vorbereitet sein.
Hierbei ist von Belang, dass neuere Mitgliedstaaten im Schnitt erweiterungsfreundlicher sind als ältere EU-Mitglieder. Sie machen sich bei jeder Gelegenheit für den Wiederaufbau, aber auch für die Integration des Westbalkans stark. In diesem Zusammenhang ist die Kontroverse über die Rechtsstaatlichkeit leider ein Faktor: Der politische und verfassungsrechtliche Sumpf einiger osteuropäischer Mitgliedstaaten ist das denkbar schlechteste Umfeld für diejenigen, die bei der EU dafür werben wollen, die Erweiterung ernst zu nehmen und schneller voranzutreiben, bis die gesamte Westbalkanregion (mit sechs Ländern und zusammengenommen 18 Millionen Einwohnern) Teil der EU wird.
Der Erweiterungsprozess der EU hat etwas Paradoxes, denn das Verhalten mancher erweiterungsbegieriger Regierungen spricht nicht gerade dafür, dass die Erweiterung als ein erfolgreiches und erstrebenswertes Projekt betrachtet wird. Das Beste, was Slowenien unternehmen könnte, um die EU-Erweiterung voranzutreiben, wäre, aus Orbáns Schatten herauszutreten und sich wieder zu den Werten des politischen Pluralismus und des sozialen Fortschritts zu bekennen.
Dies wäre umso wichtiger, als auch die Konferenz über die Zukunft Europas während der slowenischen Ratspräsidentschaft stattfinden wird. Zusammen mit den drei wichtigsten EU-Institutionen hat Slowenien die einmalige Chance, in dieser Debatte über Europas Zukunft eine führende Rolle zu übernehmen. Wenn den Anliegen Südosteuropas mehr Beachtung geschenkt würde, wäre auf jeden Fall viel geholfen.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine leicht gekürzte Version eines Artikels der Progressive Post.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld