Der Adventspunsch, den sich die Pariser Politik derzeit zusammenbraut, ist schlicht toxisch. Das Rezept dazu stammt aus dem Sommer, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Land vorgezogene Parlamentswahlen verordnete. Seitdem zählt man entspannt die Tage, bis die von Macron eingesetzte rechtskonservative Regierung den Giftbecher gereicht bekommt. Diese Woche, voilà, könnte er serviert werden.  

Frankreich ist zwar ein wohlhabendes Land, zugleich aber auch das am höchsten verschuldete in Europa. Die rechtskonservative Regierung unter Premierminister Michel Barnier, die selbst keine Parlamentsmehrheit hat, hat sich zum Ziel gesetzt, den massiven Schuldenberg abzutragen. Dafür droht sie mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen – Maßnahmen, die erwartungsgemäß höchst unpopulär sind.

Um den Sparhaushalt für 2025 verabschieden zu können, bräuchte Barnier rund 80 zusätzliche Stimmen aus den Oppositionsfraktionen. Zwar erlaubt es die Verfassung der Regierung, Beschlüsse per Dekret mit dem sogenannten Artikel „49.3“ auch ohne Abstimmung im Parlament durchzusetzen. Dennoch könnte diese Woche das politische Aus für die Regierung drohen.

Das oppositionelle Linksbündnis Le Nouveau Front Populaire (NFP) hatte bereits bei Barniers Amtsantritt im September ein Misstrauensvotum angekündigt. Dieses Linksbündnis, das de facto als Sieger aus den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli hervorging, ist voller Zorn auf Macron. Der Präsident hatte sich geweigert, die Linken mit der Regierungsbildung zu betrauen, und stattdessen den ehemaligen Brexit-Unterhändler Barnier zum Premierminister ernannt. Dessen Partei, Les Républicains (LR), war bei der Wahl jedoch lediglich fünftstärkste Kraft geworden.

Da die 183 Sitze des Linksbündnisses allein nicht ausreichen, um die Regierung zu stürzen, kommt dem von Marine Le Pen geführten rechtsradikalen Rassemblement National (RN) eine Schlüsselrolle im bevorstehenden politischen Drama zu. Das RN stellt mit seinen 143 Abgeordneten mittlerweile das drittstärkste Lager im Parlament. Fraktionschefin Le Pen fordert von Barnier die Rücknahme der geplanten Haushaltskürzungen und drohte in einem Interview mit der Tageszeitung Le Monde mit einem Ultimatum. Gleichzeitig signalisiert sie, dass ihre Fraktion bereit sein könnte, das Misstrauensvotum der Linken zu unterstützen.

Barnier, dem sowohl Frankreichs wachsender Schuldenberg als auch die zunehmend nervösen Finanzmärkte schlaflose Nächte bereiten dürften, steht unter immensem Druck. Bis zum Jahresende muss seine Regierung drei zentrale Haushaltspakete durchs Parlament bringen – mehrere Steilvorlagen, die seine Gegner für eine Abwahl nutzen könnten.

Für Marine Le Pen ist die schwelende Krise ein Geschenk des Himmels.

Den Auftakt bildet am Mittwoch, dem 4. Dezember, die Abstimmung über das Gesetz zur Finanzierung der Sozialversicherungen. Am Freitag, dem 6. Dezember, folgt die Entscheidung über ein Sonderpaket mit weiteren Sparmaßnahmen. Sollte die Regierung diese Abstimmungen wider Erwarten überstehen, könnte die hoch motivierte Opposition einen neuen Versuch am 20. oder 21. Dezember starten, wenn der Haushalt für 2025 zur Abstimmung steht.

Damit könnte das Land auf absehbare Zeit ohne Staatshaushalt dastehen. In der Eurozone halten die Währungshüter angesichts der Entwicklungen bereits den Atem an. Französische Staatsanleihen wurden letzte Woche erstmals mit höheren Renditen gehandelt als griechische – ein besorgniserregendes Signal, das zeigt, dass Anleger inzwischen Athen mehr Vertrauen entgegenbringen als Paris. Analysten warnen vor möglichen Panikreaktionen der Finanzmärkte und sehen eine neue Finanzkrise am Horizont.

Für Marine Le Pen ist die schwelende Krise ein Geschenk des Himmels. Als Strippenzieherin hält sie die Zügel fest in der Hand und dominiert die Schlagzeilen. Gleichzeitig lenkt die drohende Regierungskrise die Aufmerksamkeit der Medien von dem derzeit laufenden Strafgerichtsprozess gegen sie ab. Le Pen droht eine Verurteilung wegen der Veruntreuung von EU-Geldern im Zusammenhang mit RN-Mitarbeitenden, die ihre politische Karriere empfindlich stören könnte.

Ihr Ultimatum an Premierminister Barnier, die geplante Steuererhöhung auf Strom zurückzunehmen, nutzt Le Pen geschickt, um sich noch stärker als sonst als „Stimme der kleinen Leute“ zu inszenieren. Barnier zeigt sich zwar kompromissbereit, doch je näher die Haushaltsabstimmungen rücken, desto härter werden Le Pens Forderungen. Die Stimmung im Land scheint ihr zusätzlich Aufwind zu geben: Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen, dass Präsident Macron, dessen reguläre Amtszeit noch bis Sommer 2027 läuft, vorzeitig den Élysée-Palast verlässt.

Im linken Bündnis hadern unterdessen einige mit der Aussicht, ausgerechnet mit den Rechtsradikalen gemeinsame Sache zu machen. Besonders die Sozialisten scheinen darunter zu leiden, dass La France Insoumise (LFI) unter Frontmann Jean-Luc Mélenchon am lautesten den Sturz Macrons fordert. Obwohl die Parteispitze der Sozialisten sich klar zum Bündnis und zum Vorhaben des Misstrauensvotums bekennt, brodelt in der Partei der Unmut. Kritiker von PS-Chef  Olivier Faure sammeln sich um Ex-Präsident François Hollande, der neuerdings wieder als Abgeordneter in der Nationalversammlung sitzt. Sie fordern die Abkehr der PS von der NFP und eine Koalition der Vernunft mit dem Macron-Lager.

Frankreichs weihnachtlich geschmückte Hauptstadt beginnt sich unterdessen mit der drohenden Regierungskrise irgendwie zu arrangieren. In den Talkshows diskutieren Abgeordnete und Journalisten bereits über mögliche Szenarien für die Zeit nach einem möglichen Sturz der Regierung: Macron könnte diese auf unbestimmte Zeit geschäftsführend im Amt halten. Oder: Er könnte Barnier einfach ein zweites Mal mit der Regierungsbildung beauftragen. Alternativ könnte er auch eine Expertenregierung ernennen oder sich auf einen Stillhalte-Kompromiss bis zum Sommer einlassen, wenn wieder Parlamentswahlen abgehalten werden dürfen. Eines jedoch eint all diese Szenarien: Sie bieten keinen wirklichen Ausweg aus der institutionellen und finanziellen Dauerkrise, die Frankreich zunehmend unregierbar macht.