Die Steuerpläne, auf die sich die G7-Finanzminister bei ihrem Treffen Anfang Juni geeinigt haben, werden als „historisch“ und als „Umbruch“ bejubelt. In ihrer jetzigen Form sind sie jedoch leider weder das eine noch das andere. Damit aus den Plänen eine ernstzunehmende globale Steuerreform wird, sollten grundlegende Änderungen vorgenommen werden. Die nächste Gelegenheit dazu haben die G20, die sich demnächst mit den Plänen befassen werden.

Die Pläne stützen sich auf die Erkenntnis, dass die internationale Steuerarchitektur für eine ganz andere Zeit entwickelt wurde, die längst Vergangenheit ist. In dieser Steuerarchitektur gibt es Unstimmigkeiten, die es multinationalen Unternehmen ermöglichen, sich vor den Steuersätzen zu drücken, die für einheimische Firmen gelten. Dabei helfen ihnen Buchhaltungsmethoden, die als „Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung“ bezeichnet werden: Die multinationalen Unternehmen verschieben ihre Gewinne künstlich in Niedrigsteuerländer und umgehen auf diese Weise die höhere Besteuerung in den Ländern, in denen sie tatsächlich geschäftlich tätig sind.

Es gibt eine naheliegende Möglichkeit, dieses Problem zu beheben: Die Unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) (der ich angehöre) plädiert für eine Gesamtkonzernbesteuerung, die auf dem System der „Formelaufteilung“ basiert. Dabei werden die globalen Gewinne der multinationalen Unternehmen nach einer Formel, die Konzernumsatz, Beschäftigtenzahl und Kapital berücksichtigt, so aufgeteilt, dass die Steuereinnahmen unter den Ländern verteilt werden können. Der effektive Steuersatz sollte mindestens 25 Prozent betragen. Damit würden für multinationale Unternehmen auf einen Schlag alle Anreize wegfallen, ihre Gewinne in andere Länder zu verlagern, und die Steuereinnahmen würden massiv steigen.

Seit die Biden-Regierung erkannt hat, welche Möglichkeiten sich durch signifikant höhere Steuereinnahmen auftun, erhält die Hoffnung auf eine globale Steuerreform neue Nahrung. Janet Yellens Ruf nach einer Unternehmensbesteuerung von mindestens 21 Prozent blieb zwar immer noch hinter dem zurück, was die ICRICT fordert, war aber ein sehr begrüßenswerter Schritt. Der Grundgedanke eines weltweiten Mindeststeuersatzes ist, dass jedes Land die Gewinne seiner multinationalen Unternehmen, die im Ausland niedriger besteuert werden, mit einer zusätzlichen Steuer belegen kann. Dies muss länderspezifisch geschehen, damit die Besteuerung nicht durch die Gewinnverlagerung zwischen verschiedenen Ländern umgangen werden kann.

Die Entwicklungsländer leiden unter Steuerverlusten mehr als andere.

Der Kompromiss, auf den die G7 sich (in der „zweiten Säule“ ihrer Besteuerungspläne) geeinigt haben, beinhaltet einen drastisch niedrigeren Mindeststeuersatz von „mindestens 15 Prozent“ und liegt damit nahe bei den ausgesprochen niedrigen Sätzen, die in Steueroasen wie Irland und der Schweiz bereits jetzt gelten. Dadurch würden auch die Steuereinnahmen drastisch geringer ausfallen: Nach Schätzungen der EU-Steuerbeobachtungsstelle würden die erwarteten Einnahmen für die EU bei einem Steuersatz von 15 Prozent nur 48,3 Milliarden Euro betragen; bei einem Steuersatz von 25 Prozent wären es 167,8 Milliarden Euro und bei einem Steuersatz von 21 Prozent immerhin 98 Milliarden Euro. Die USA würden bei einem Steuersatz von 15 Prozent nur 40,7 Milliarden Euro einnehmen; bei einem Steuersatz von 25 Prozent wären es 165,4 Milliarden Euro und bei einem Steuersatz von 21 Prozent immer noch 104,4 Milliarden Euro.

Dass die Regierungen der G7-Staaten sich so hohe potenzielle Steuereinnahmen entgehen lassen, die sie für wichtige Sozial- und Sachinvestitionen verwenden könnten, ist bemerkenswert und einzig und allein der Lobbymacht der Großkonzerne geschuldet. Die Öffentlichkeit in den betreffenden Ländern ist bislang offenbar entweder uninformiert oder scheut sich, ein gerechteres Ergebnis einzufordern.

Noch schlimmer ist, dass der Kompromiss der G7-Staaten den meisten Entwicklungsländern wenig bringt. Sie leiden unter Steuerverlusten mehr als andere. Für die meisten Entwicklungsländer und für die Welt als Ganzes hat die Idee der Gesamtkonzernbesteuerung von multinationalen Unternehmen, bei der die Steuern nach einer einfachen und gerechten Formel aufgeteilt werden, eine weitaus größere Relevanz. Leider fand bei den Verhandlungen der Vorschlag der G-24 (dieses zwischenstaatliche Organ koordiniert die Position der Schwellenländer), die Gesamtgewinne nach einer bestimmten Formel zu zerlegen und den verschiedenen Ländern zuzuordnen, nicht die gebührende Beachtung.

Im Vergleich dazu sind die Pläne der G7 in beschämendem Maße unzulänglich und werden voraussichtlich keine echte Veränderung bewirken. Möglicherweise hat die US-Regierung diesen Vorschlag nur ins Spiel gebracht, um auf die in einigen anderen Ländern praktizierte Besteuerung US-amerikanischer Digitalkonzerne zu reagieren, um deren Aufhebung sie sich aktiv bemüht hatte. Momentan erklären diese Länder, dass sie diese Steuern erst dann aufzuheben bereit sind, wenn die USA im eigenen Land die entsprechenden Gesetze verabschieden, was keineswegs gesichert ist.

Der Begriff „Übergewinn“ ist eine Skurrilität und kommt in keinem Unternehmenssteuersystem dieser Welt vor.

In jedem Fall ist der Vorschlag meilenweit entfernt von der Gesamtkonzernbesteuerung, die von der ICRICT empfohlen wurde. Nach den Plänen der G7 sollen die Staaten nur das Recht erhalten, mindestens 20 Prozent der in ihrem Land erwirtschafteten Gewinne eines multinationalen Unternehmens zu besteuern, wenn dieses weltweit eine Gewinnmarge von mehr als zehn Prozent erreicht (was die G7 offenbar als „Übergewinne“ definieren).

Der Begriff „Übergewinn“ ist eine Skurrilität und kommt in keinem Unternehmenssteuersystem dieser Welt vor. Da Gewinne per definitionem der Überschuss sind, der nach Abzug aller Kosten (einschließlich der Kapitalkosten) verbleibt, stellen sie eindeutig Nettoeinnahmen dar, die regulär besteuert werden sollten. Zudem sollten die Steuersätze progressiv gestaltet werden, damit auch Einnahmen erfasst werden, die nicht aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit stammen. Diese Einschränkung und die Tatsache, dass die neue Regelung außerdem nur für die größten multinationalen Konzerne gelten soll, würden die Zahl der zu besteuernden Unternehmen dramatisch (auf weniger als 200) sinken lassen. Damit hätten Entwicklungsländer nur geringe oder gar keine Steuermehreinnahmen zu erwarten.

Das eine oder andere Detail muss noch ausgearbeitet werden. Strittig ist zum Beispiel noch die Frage, wie die Bemessungsgrundlage definiert werden soll. Ronen Palan weist darauf hin, dass die geplante Regelung von den Buchgewinnen ausgeht. Deshalb sei sie selbst für sehr große multinationale Konzerne auch künftig leicht zu umgehen, indem sie sich zum Beispiel in Einzelfirmen aufspalten, die als Verbund operieren, und somit unter der Zehn-Prozent-Grenze bleiben.

Es könnte sogar sein, dass zum Beispiel Amazon nicht unter die geplante Regelung fällt, weil seine weltweiten Gewinne unter der Zehn-Prozent-Grenze liegen – es sei denn, man würde in das neue System eine „Segmentierung“ einbauen, um besonders profitable Unternehmensteile (wie Amazon Web Services) separat zu besteuern. Kein Wunder, dass viele Digitalgiganten wie Apple und Facebook die G7-Pläne bereits begrüßt haben. Hinzu kommt, dass schon jetzt Rufe nach Ausnahmeregelungen für bestimmte Sektoren wie den Bergbau und die Finanzwirtschaft laut werden.

Wenn man bedenkt, dass sich durch die Steuerpläne der G7 nur sehr wenig ändern wird, ist die Tatsache, dass sie allgemein als Riesenschritt nach vorn aufgenommen wurden, ein triumphaler Marketingerfolg. Die G7 beweisen leider einmal mehr, dass sie in Wahrheit keine Weltenlenker sind, sondern Wortführer einer von Eigeninteressen geleiteten Gruppe mächtiger Länder.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Lesen Sie in dieser IPG-Debatte auch den Text „Zahltag“ von Dani Rodrik mit der gegenteiligen Position.