Donald Trump wird oft Sprunghaftigkeit vorgeworfen. Doch in einigen Punkten hat er sich als sehr konsequent erwiesen. Die Rüstungskontrolle ist ein gutes Beispiel. Im Jahr 2017 machte Trump sein Wahlversprechen wahr, sich aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zurückzuziehen, dem gemeinsamen Aktionsplan für das iranische Atomprogramm, auf den sich sechs Staaten und der Iran geeinigt hatten. Im Jahr 2019 kündigte er den INF-Vertrag mit Russland bezüglich nuklearer Mittelstreckensysteme. Sein Plan, nun auch den Open-Skies-Vertrag aufzukündigen, der seit 1992 Luftaufklärungsflüge über den Territorien von 35 Ländern Europas und Nordamerikas ermöglicht, folgt der Logik, alle internationalen Sicherheitszusagen der USA zurückzuziehen. Als Nächstes wird es wohl den New-START-Vertrag treffen, den die Regierung Trump im nächsten Februar offenbar nicht verlängern will.
Vorwürfe an Russland, dass es Verträge und Abkommen nicht einhalte, und an den Iran, dass er gegen das Atomabkommen verstoße, dienen Präsident Trump nur als nützliche Vorwände für die Zerstörung etablierter Systeme. Bessere Vereinbarungen, wie er und seine Berater sie in Aussicht stellen, sind nicht ernsthaft zu erwarten. Seine Regierung ist nicht an der Fortsetzung der Rüstungskontrolle interessiert, denn sie strebt eine Vormachtstellung an. Nach Trumps Vorstellung ist Dominanz in einer von Hyperwettbewerb geprägten Welt die einzige akzeptable Position für die USA. Wenn das Land militärisch keinen Beschränkungen mehr unterliegt, hat es deutlich mehr Einfluss, so zumindest die Erwartung.
Daraus sollten andere Länder, allen voran Russland, mehrere Schlüsse ziehen. Einer lautet, dass die 50 Jahre alte Rüstungskontrolle, die dazu beitrug, dass der Kalte Krieg kalt blieb, mittlerweile irreparabel zerstört ist und schon bald Geschichte sein wird. Versuche, sie wiederzubeleben, sind gut gemeint, werden aber keinen Erfolg haben. Selbst wenn ein Wunder geschieht und das New-START-Abkommen verlängert wird, ist es das letzte Abkommen zwischen den USA und Russland, das ihre mächtigsten Waffen reguliert. Die strategische Weltordnung wird somit für lange Zeit im Wesentlichen unreguliert sein. Man könnte sagen, es herrscht absolute Freiheit. Die nukleare Abschreckung, die darauf beruht, dass beide Seiten die völlige Zerstörung des jeweils anderen betreiben können, wird nicht wie bisher der wichtigste Bestandteil strategischer Stabilität in der Welt sein, sondern der einzige.
Selbst wenn ein Wunder geschieht und das New-START-Abkommen verlängert wird, ist es das letzte Abkommen zwischen den USA und Russland, das ihre mächtigsten Waffen reguliert.
Wenn es eine verlässliche und dauerhafte Kommunikation zwischen Militär und Sicherheitsdiensten der Weltmächte und eine Hotline zwischen ihren Staatschefs gäbe, ließen sich Zwischenfälle besser lösen: In Syrien hat die amerikanisch-russische Konfliktentschärfung bewiesen, wie wichtig es ist, den Kontakt zu halten. Doch einer Konfliktentschärfung steht das gegenseitige Misstrauen der politischen und militärischen Führung beider Großmächte entgegen. Je weniger Türen offen stehen – und hier kommt Open Skies ins Spiel, ebenso wie das bald auslaufende Inspektionssystem des New START –, desto größer ist das Risiko, dass Worst-Case-Szenarien zur Normalität werden. Unter solchen Umständen gilt es, unbedingt Ruhe zu bewahren.
Ein zweiter Schluss lautet, dass Trump außer dem eigenen nur ein anderes Land im Auge hat, nämlich China: Die USA und China, die derzeit den Weg von einer Rivalität hin zu Konfrontation und Konflikt beschreiten, könnten in der Coronavirus-Pandemie einen Punkt erreicht haben, an dem es kein Zurück mehr gibt, sodass der bisherige wirtschaftliche und technologische Wettstreit eine militärische Dimension annimmt. Wenn Washington und Peking die Gefahren einer militärischen Machtprobe erkannt haben, können sie Sicherheitsmechanismen oder Schutzmaßnahmen etablieren, doch das geschieht womöglich erst nach dem Kräftemessen, wie 1962 nach der Kubakrise zwischen Moskau und Washington. Dies setzt natürlich voraus, dass die Machtprobe nicht zu einem echten Konflikt eskaliert. Daher ist es empfehlenswert, Ostasien genau im Blick zu behalten.
Drittens geht es im strategischen Bereich nicht mehr nur um Atomwaffen, auf die Rüstungskontrolle früher in erster Linie abzielte. Mittlerweile gibt es modernste nicht-nukleare Systeme wie Hyperschallwaffen, Cyberwaffen, KI-Waffen und bald auch die Erweiterung ins All, wo eine neue Klasse von Waffensystemen stationiert werden könnte. Es geht nicht mehr um Zahlen, sondern um militärisches Leistungsvermögen, das viel schwieriger zu kontrollieren ist. Es ist an der Zeit, all diese Faktoren in neue strategische Überlegungen einzubinden.
Es geht nicht mehr um Zahlen, sondern um militärisches Leistungsvermögen, das viel schwieriger zu kontrollieren ist.
All diejenigen, denen im mittlerweile in Vergessenheit geratenen militärischen Sinne weiter an globaler Stabilität und Sicherheit gelegen ist, müssen die Köpfe zusammenstecken und eine Diskussion darüber beginnen, wie eine neue strategische Weltordnung aussehen sollte. Diese Ordnung müsste umfassend alle größeren militärischen Akteure und relevanten Technologien berücksichtigen. Sie müsste sich auf nukleare Abschreckung stützen, die durch ein System aus Kommunikationswegen und -netzen und Transparenzmechanismen angemessen abgesichert wird. Und ihr müsste, zum Wohl und zur Sicherheit jedes beteiligten Landes, eine strategische Kultur der Zurückhaltung zugrunde liegen. Es wird unglaublich schwierig sein, dies zu erreichen, doch viel schlimmer ist die Vorstellung, dass es nicht gelingen könnte.
Open Skies wird vermutlich nicht vollständig verschwinden. Mehr als 30 Länder sind mittlerweile dem Vertrag beigetreten, unter ihnen Russland, die NATO-Verbündeten der USA und einige osteuropäische Staaten. Anders als INF oder START war Open Skies nie eine wichtige Säule der Rüstungskontrolle, bringt aber ein gewisses Maß an Transparenz und Berechenbarkeit in eine Region, die wieder eine Phase der Spaltungen und der Entfremdung durchläuft. Den Himmel über Europa offen zu halten, ist hilfreich, doch die wichtigste Aufgabe liegt jetzt darin, sich auf eine neue strategische Weltordnung vorzubereiten.
Der Artikel wurde zuerst vom Carnegie Moscow Center veröffentlicht und ist Teil des von der Europäischen Union in Russland unterstützten Projekts „Russia-EU: Promoting Informed Dialogue“.
Aus dem Englischen von Anne Emmert