Führer der Taliban besuchen regelmäßig Russland, obwohl ihre Organisation in Moskau immer noch auf der Liste der verbotenen Terrororganisationen steht. Intensiviert hat sich der Kontakt zwischen Moskau und dem „Islamischen Emirat Afghanistan“ vor allem nach Beginn der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022. Eine starke antiamerikanische Stimmung in Kabul und Moskau schafft Gemeinsamkeiten. Doch Russlands wirtschaftlicher Einfluss vor Ort ist begrenzt und mit dem der in der Region wirklich großen Akteure wie Pakistan oder China nicht zu vergleichen.

Während der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 standen Russlands Offizielle den radikalen Islamisten sehr kritisch gegenüber. Besonders empört war der Kreml, als die Taliban die Unabhängigkeit Tschetscheniens anerkannten, als zu dieser Zeit im Süden der Russischen Föderation ein blutiger Krieg tobte. Nicht zuletzt deswegen unterstützte 2001 der damals noch junge Präsident Wladimir Putin anfangs die Militäroperation der USA und ihrer Verbündeten gegen die Taliban.

Doch seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen. Als die Taliban am 15. August 2021, ohne auf Widerstand zu treffen, in Kabul einmarschierten, war die Welt eine andere. Die Botschaften westlicher Länder evakuierten ihre Mitarbeiter und verbrannten eilig geheime Dokumente. Die russische diplomatische Vertretung vor Ort blieb davon jedoch unberührt. Niemand wurde außer Landes gebracht.

Schon zwei Tage nach dem Fall Kabuls traf sich der russische Botschafter Dmitri Schirnow als erster ausländischer Diplomat öffentlich mit den Taliban. Die russische Botschaft verbreitete zeitgleich, als wollte sie mit den Taliban spielen, die Botschaft, der gestürzte afghanische Präsident Aschraf Ghani sei mit Autos voller Geld „auf die schändlichste Weise“ geflohen. Beim triumphierenden Einmarsch der Taliban in Kabul hatte Moskau bereits enge Kontakte zu den Radikalen geknüpft. Schon zuvor hatte es in der russischen Hauptstadt Gespräche im „Moskauer Format“ gegeben zwischen Behörden der bisherigen Republik und dem neuen Emirat. Dieses wird noch heute – jedoch ohne die früheren Behörden – fortgesetzt.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist Russlands Präsenz vor Ort begrenzt.

Mit dem Abzug der westlichen Truppen verkündeten die Taliban das Narrativ, Afghanistan habe nun eine 20-jährigeUS-Besatzungszeit hinter sich gebracht. Genau diese Sichtweise war zu dieser Zeit, als Moskaus Beziehungen zu Washington bereits immer schlechter wurden, hilfreich für die eigene Argumentation. Dabei warf man die Erinnerungen daran über Bord, dass die Sowjetunion als Vorgängerstaat der Russischen Föderation von 1979 bis 1989 ebenfalls mit eigenen Soldaten in Afghanistan gestanden hatte.

Die Sowjets waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der wichtigste ausländische Akteur in Afghanistan gewesen. Zwischen den 1950er und 1980er Jahren wurden im Land unter Beteiligung der UdSSR 130 Industrie- und Infrastrukturanlagen gebaut, von Flughäfen bis zu Bewässerungssystemen. Noch heute sind auf den Straßen Kabuls häufig verrostete Ausrüstung oder Autos zu finden, die an die traditionelle Ostblockzeit erinnern. Russisch ist unter der älteren Generation der Afghanen bis heute eine viel beherrschte Sprache.

Doch diese großen Zeiten Moskaus sind lange vorbei. Diejenigen jungen Afghanen, die angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit und darniederliegenden Wirtschaft von Auswanderung träumen, denken dabei eher an die USA als an Russland, welches eher die Rolle einer Ausweichoption eingenommen hat. Auch gibt es nach Russland für die afghanische Jugend keinen leichten Weg: Bildungsvisa sind nur mit großem bürokratischem Aufwand zu bekommen und Nachrichten von Drohnenangriffen auf die russische Hauptstadt schmälern zusätzlich die Attraktivität Russlands für kriegsgeplagte afghanische Emigranten. Auch im Bereich der Soft Power ist Russland kaum vor Ort tätig. Es gibt keine Bildungsprogramme oder humanitäre Hilfe, während etwa die Türkei ein Netzwerk aus Lyzeen und anderen Schulen in Afghanistan fördert.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist Russlands Präsenz vor Ort ebenfalls begrenzt, laut den Daten der Statistikbehörde NSIA belegt Russland im aktuellen Jahr nur den achten Rang mit 289 MillionenUS-Dollar Handelsvolumen mit weitem Abstand etwa zum Iran (1,4 Milliarden), China (1,2 Milliarden) oder Pakistan (1,2 Milliarden). Die afghanische Wirtschaft wurde zudem laut der Weltbank in den letzten zwei Jahren von einem Wirtschaftseinbruch von 35 Prozent und einer großen Hungersnot erschüttert. Zwei Drittel der Afghanen leben laut UNO unter der Armutsgrenze.

Die Taliban setzen große Hoffnungen auf eine Rohstoffversorgung aus Russland.

Die Taliban setzen in dieser Lage große Hoffnungen auf eine Rohstoffversorgung aus Russland. Im September 2022 trafen Moskau und Kabul eine große Wirtschaftsvereinbarung. Russland wird Afghanistan jährlich mit etwa einer Million Tonnen Benzin, derselben Menge an Diesel und einer halben Million Tonnen Flüssigerdgas beliefern. Daneben sollen jährlich zwei Millionen Tonnen russischer Weizen nach Afghanistan exportiert werden. All diese Waren werden voraussichtlich per Schiene und Straße nach Afghanistan kommen, nach Auskunft der Taliban mit einem Rabatt auf die Weltpreise. Moskau bestätigte den Deal – schweigt jedoch zu den Details.

Der russische Botschafter verkündete im Februar 2023 eine Vereinbarung zwischen Russland und den Taliban zum Bau eines Wärmekraftwerks im Norden des Landes. Russische Rohrhersteller beteiligen sich nach seiner Auskunft am Bau des afghanischen Abschnitts der Gaspipeline von Turkmenistan nach Pakistan und Indien – doch all diese Pläne existieren bisher nur auf dem Papier, zur Umsetzung gibt es keinerlei Nachricht.

Für den Kreml hat der Ausbau solcher Beziehungen zu den Taliban offenbar Priorität. Es ist kein Zufall, dass Russland als eines von nur wenigen Ländern einen Taliban als Geschäftsträger der afghanischen Botschaft in Moskau akkreditiert hat. Dennoch weht über dem Moskauer Botschaftsgebäude noch immer die Flagge der nicht mehr existenten Islamischen Republik. Der Wunsch der Moskauer Regierung ist groß, mit jedem zu kooperieren, der ganz offen eine antiwestliche Politik betreibt, sei es der Iran, Nordkorea oder eben die Taliban. Dadurch beweist Moskau, dass es mit seinem eigenen antiwestlichen Narrativ nicht alleine ist, unabhängig davon, wie umfassend sich tatsächlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickelt.

Der nächste Besuch der Taliban in Russland ist bereits terminiert – auf den 29. September dieses Jahres. Dort wird in Kasan unter ihrer Beteiligung eine Afghanistankonferenz mehrerer Länder stattfinden. Moskau demonstriert damit gegen den Eindruck einer eigenen Isolation und zeigt die Fähigkeit, ausländische Partner anzuziehen. Am ernsthaften Wunsch des Kremls nach einer Lösung der schweren gesellschaftlichen Probleme in Afghanistan darf jedoch gezweifelt werden.