Freiheit und Demokratie haben ihren Preis. Das müssen wir durch den russischen Überfall auf die Ukraine schmerzlich wieder lernen. Deshalb wird Deutschland in den kommenden Jahren deutlich mehr Geld für seine Verteidigung ausgeben und dank des Sondervermögens für die Bundeswehr endlich das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einhalten. Dass dies Deutschland unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung erstmals gelingt, vermag einige verwundern. Tatsächlich gibt es eine lange sozialdemokratische Tradition, für die äußere, innere und soziale Sicherheit kein Nullsummenspiel sind, sondern die Grundlage für unser solidarisches und freiheitliches Zusammenleben in Deutschland und Europa.
In den Kanzlerschaften von Helmut Schmidt und Willy Brandt gab Deutschland zwischen drei und vier Prozent seines Brutto-Inlandsproduktes für Verteidigung aus. Niemand würde den beiden heutzutage absprechen, keine erfolgreiche Politik im Geiste sozialdemokratischer Werte und Prinzipien betrieben zu haben. Für die Sozialdemokratie war damals klar, dass angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion eine wehrhafte und soziale Demokratie zwei Seiten derselben Medaille sind. Diese Einsicht trifft heute mehr denn je zu. Europas Freiheit und Demokratie werden durch den russischen Imperialismus massiv bedroht. Eine gut ausgerüstete Bundeswehr und das Einhalten des Zwei-Prozent-Ziels sind daher beides zugleich: Lebensversicherung und gelebte europäische Solidarität mit unseren Verbündeten.
Mit dem Sondervermögen allein und dem Verzicht auf Kürzungen des Wehretats sind unsere verteidigungspolitischen Hausaufgaben mitnichten erledigt.
Wir dürfen uns allerdings nichts vormachen. Mit dem Sondervermögen allein und dem Verzicht auf Kürzungen des Wehretats sind unsere verteidigungspolitischen Hausaufgaben mitnichten erledigt. Wir stehen erst am Anfang eines langwierigen und kostspieligen Prozesses. Angesichts von 30 Jahren struktureller Unterfinanzierung und den gestiegenen Anforderungen durch Landes- und Bündnisverteidigung hat die Bundeswehr einen enormen Investitionsbedarf. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zeigt uns zudem in aller Grausamkeit, welche industriellen Ausmaße und technologischen Anforderungen ein Krieg im 21. Jahrhundert hat. Liberale Demokratien und offene Gesellschaften dürfen sich nicht erlauben, ihre Augen vor den Schrecken dieses Krieges zu verschließen. Sie müssen die richtigen Lehren daraus ziehen. Dazu gehören auch massive Investitionen in die Modernisierung der Bundeswehr. Wenn wir es nicht tun, werden es autoritäre Staaten und gewaltbereite Diktaturen ganz sicher tun.
Zurzeit gibt Deutschland etwas mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr für seine Verteidigung aus und somit ungefähr 1,6 Prozent seines Brutto-Inland-Produkts (BIP). Das reicht jedoch kaum aus, um die große Investitionslücke auch nur annäherungsweise zu schließen. Deswegen hat auf Initiative von Bundeskanzler Olaf Scholz eine breite Mehrheit des Deutschen Bundestages das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr beschlossen. Dadurch wird Deutschland in den kommenden Jahren im Jahresdurchschnitt endlich das Zwei-Prozent-Ziel einhalten.
Bereits ab 2026 könnte womöglich selbst das Sondervermögen nicht mehr ausreichen, um die Lücke zum Zwei-Prozent-Ziel zu schließen.
Doch bereits ab 2026 könnte womöglich selbst das Sondervermögen nicht mehr ausreichen, um die Lücke zum Zwei-Prozent-Ziel zu schließen. Dann müsste der Wehretat deutlich anwachsen, um Deutschlands internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Es wäre daher vorausschauend und klug, spätestens 2025 den Wehretat aufzustocken, um die Lücke frühzeitig zu verkleinern. Eine Gegenfinanzierung durch Einsparungen im sozialen Bereich oder beim Klimaschutz ist allerdings für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht vorstellbar, noch wäre es förderlich für die gesellschaftliche Akzeptanz der Zeitenwende. Bei einer Abwägung zwischen Investitionen in die soziale oder äußere Sicherheit dürfte der Verteidigungsetat stets den Kürzeren ziehen. Verteilungskämpfe sind bereits vorprogrammiert. Auch eine Kannibalisierung innerhalb des sicherheitspolitischen Instrumentenkastens wäre nicht hinnehmbar. Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie, internationale Kulturpolitik und humanitäre Hilfe bedingen einander und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Der Schutz unserer Bevölkerung und die Verteidigung unserer liberalen und sozialen Demokratie müssen uns mehr wert sein. Die Mehrbelastungen sollten gerecht verteilt und von allen getragen werden. Steuererhöhungen oder Schuldenaufnahme für die Verteidigung unseres Landes und unserer Partner dürfen kein Tabu sein. Dafür steht einfach zu viel auf dem Spiel.
Auch in Europa müssen Kosten und Verantwortung für die Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie solidarisch geteilt werden.
Auch in Europa müssen Kosten und Verantwortung für die Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie solidarisch geteilt werden. Als größte Volkswirtschaft Europas und ehemaligem „Frontstaat“ kommt Deutschland dabei eine Schlüsselrolle zu. Im Kalten Krieg konnten wir uns stets darauf verlassen, dass unsere Sicherheit von unseren NATO-Alliierten gewährleistet wird. Diese Sicherheit war die Voraussetzung für die Entwicklung unserer freiheitlichen Demokratie, von wirtschaftlichem Erfolg und starker Sozialstaatlichkeit. Heute ist es an uns, die Sicherheit unserer mittel- und osteuropäischen Partner, allen voran der baltischen Staaten, von Polen und Rumänien zu garantieren. Deswegen ist die Entscheidung, eine Brigade der Bundeswehr dauerhaft in Litauen zu stationieren, so wichtig.
In der öffentlichen Debatte werden Sicherheits- und Verteidigungspolitik häufig nicht als sozialdemokratische Themen wahrgenommen. Das liegt auch an uns selbst, weil wir in der Vergangenheit immer wieder soziale gegen äußere Sicherheit, aber auch Verteidigung gegen Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie ausgespielt haben. Dabei sollten wir uns besser die progressiven Demokratien im Norden Europas zum Vorbild nehmen. Ihnen ist es gelungen, Wehrhaftigkeit, internationale Solidarität und soziale Gerechtigkeit zusammenzubringen. Es sind gerade liberale, offene und diverse Gesellschaften, die einen besonders starken Schutz vor äußerer Bedrohung brauchen. Wir sind viel verwundbarer als auf Abschottung setzende autoritäre Regime.
Die SPD sollte sich daher für einen Neustart der globalen Rüstungskontrolle einsetzen.
Die überfälligen Investitionen in die Verteidigung lassen die Sozialdemokratie die globale Abrüstungspolitik nicht aus den Augen verlieren. Durch den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine ist die Gefahr gewachsen, am Anfang einer neuen nuklearen Aufrüstungsspirale zu stehen. Gleichzeitig liegt die globale Rüstungskontrollarchitektur in Trümmern. Die SPD sollte sich daher für einen Neustart der globalen Rüstungskontrolle einsetzen.
In Zeiten, in denen imperialistische Diktaturen wieder zum Mittel des Kriegs greifen, ist eine der Abschreckung und Wehrhaftigkeit verpflichtete Sicherheitspolitik nicht konservativ, sondern sozialdemokratisch. Kein Diktatfrieden, nur ein gerechter Frieden vermag uns die Freiheit zu gewähren, auf die die Menschen in den liberalen und sozialen Demokratien Europas einen Anspruch haben. Enttäuschen wir sie nicht.