Kaum hatte Präsident Biden die Unterstützung von Angriffsoperationen des saudischen Militärs im Jemen für beendet erklärt, einen erfahrenen Diplomaten zum Sondergesandten für das Land ernannt und den Jemen von der amerikanischen Anti-Terror-Sanktionsliste gestrichen, da starteten auch schon die jemenitischen Huthi-Rebellen eine neue Offensive, um die Provinz Marib zu erobern. Der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Ned Price, forderte die Huthi in einer Erklärung auf, ihre Offensive einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Er schloss mit einem Satz, der unter internationalen Diplomaten und progressiven Außenpolitikern inzwischen nur allzu gängig ist: „Eine militärische Lösung gibt es nicht.“

Fakt ist: Für die Konflikte, die viele in den Vereinigten Staaten zu beenden hoffen, gibt es keine rein militärischen oder diplomatischen Lösungen. Wenn die diplomatischen Bemühungen, mit denen ein Konflikt beigelegt werden soll, nicht das militärische Kräfteverhältnis berücksichtigen, kann es sein, dass sie im besten Fall wirkungslos bleiben und im schlimmsten Fall den Konflikt verlängern.

Das soll nicht heißen, dass die Vereinigten Staaten oder irgendein anderes Land in einen bestehenden Konflikt zwangsläufig militärisch eingreifen sollten, um das Kräfteverhältnis in die eine oder andere Richtung zu verändern. Gemeint ist vielmehr, dass die Diplomatie militärische und sicherheitspolitische Aspekte ernsthaft in den Blick nehmen muss, wenn sie Wirkung zeigen oder zumindest die ungewollten Nebenwirkungen von diplomatischen Initiativen abfedern will, die diese Aspekte nicht berücksichtigen.

In der Maxime „Keine militärischen Lösungen“ steckt viel Wahres: Sogar der Zweite Weltkrieg endete schließlich damit, dass Deutschland und Japan die Bedingungen der Alliierten formell akzeptierten. Aber im Allgemeinen läuft diese Maxime auf ein Schmalspurdenken hinaus, das unser klares Denken behindert, wenn es um die komplizierten Sicherheitsfragen bei der Lösung von Konflikten und um die Frage geht, wie die Vereinigten Staaten zur Klärung dieser Fragen beitragen könnten. Ebenso wie der Slogan vom „Beenden endloser Kriege“ ist diese Maxime eine außenpolitische Floskel, von der wir uns verabschieden sollten, wenn wir uns den schwierigen politischen Fragen, um die es geht, wirklich stellen wollen.

Diplomatie kann nicht zum Erfolg führen, wenn sie das militärische Kräfteverhältnis auf den Konfliktschauplätzen ausblendet.

Beginnen wir mit der Tatsache, dass die Maxime „Keine militärische Lösung“ uns daran hindert, ernsthaft über die Sicherheitsfragen und militärischen Kräfteverhältnisse nachzudenken, von denen oft abhängt, ob ein bestehender Konflikt dauerhaft beendet werden kann oder nicht. Das Assad-Regime in Syrien zum Beispiel glaubt ganz offensichtlich, dass es sein Überleben durch das bedenkenlose Abschlachten seiner Gegner sichern kann. Auch die Taliban in Afghanistan meinen, dass sie die Macht in Kabul mit Waffengewalt an sich reißen können. Das Gleiche gilt für Wladimir Putin, der offenbar überzeugt ist, Russland könne seine geopolitischen Ziele in der Ostukraine mit Gewalt erreichen.

Doch wenn wir militärische Gewalt und Diplomatie als Fundamentalgegensatz begreifen und nicht einfach als unterschiedliche Facetten von Macht, landen wir bei falschen Konfliktanalysen und setzen auf eine unzulängliche Politik, mit der sich Konflikte nicht lösen lassen. Diplomatie kann nicht zum Erfolg führen, wenn sie das militärische Kräfteverhältnis auf den Konfliktschauplätzen ausblendet oder außer Acht lässt, wie die Wahrnehmungen, Interessen und Ziele der verschiedenen Konfliktparteien sich verändern, sobald dieses Kräfteverhältnis sich verschiebt. Wenn wir darauf beharren, dass es für einen bestimmten Konflikt keine militärische Lösung gibt, verstellt uns das nur den Blick auf diese traurige Realität und verengt die diplomatischen Handlungsspielräume der USA.

Nehmen wir zum Beispiel den jüngsten Angriff der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Marib. Das US-Außenmininsterium, der UN-Sondergesandte für den Jemen Martin Griffiths und die International Crisis Group gehen alle zu recht davon aus, dass diese Offensive die Diplomatie weiter zurückwirft. Sie lassen aber außer Acht, dass für die Huthi eine Verhandlungslösung nicht besonders attraktiv ist, wenn sie sich mit Gewalt nehmen können, was sie wollen. Schlimmer noch: Würden die Huthi-Rebellen Marib erobern, wäre Saudi-Arabien wahrscheinlich noch weniger bereit, über Verhandlungen über das Ende seiner militärischen Intervention im Jemen auch nur nachzudenken.

Angesichts dieser tragischen Dynamik forderte ein jemenitischer Beobachter „eine wohlgeplante und gut ausgeführte Militäroperation, um die Huthi so weit von Marib fernzuhalten, dass sie die Stadt in Zukunft nicht mehr bedrohen können.“ Die außerordentlich schwache Erfolgsbilanz des saudischen Militärs spricht nicht dafür, dass es eine solche Operation zustande bringen könnte – nicht einmal mit amerikanischer Unterstützung. Aber wenn nichts die Huthi davon abhalten kann, sich mit Gewalt zu nehmen, was sie wollen, ist schwer vorstellbar, dass die zahlreichen Konflikte im Jemen sich allein mit diplomatischen Mitteln zuverlässig und dauerhaft beenden lassen.

Nach dem 11. September 2001 und dem Irak-Krieg ging man dazu über, militärische Gewalt und Diplomatie als diametralen Gegensatz zu begreifen.

Ähnliches gilt für Syrien, wo das mörderische Bemühen des Assad-Regimes um eine  militärische Lösung des Bürgerkriegs durch Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung seitens der USA und der Türkei nur vorübergehend gestoppt werden konnte. Es kann sein, dass es für den syrischen Bürgerkrieg – und das mag für jeden bewaffneten Konflikt gelten – keine rein militärische Lösung gibt, aber damit Diplomatie überhaupt erfolgreich sein kann, muss den Konfliktparteien unter Umständen die Möglichkeit genommen werden, ihre eigenen militärischen Lösungen herbeizuführen.

Vor nicht allzu langer Zeit – während der Konflikte auf dem Balkan – war dieser Zusammenhang den politischen Entscheidungsträgern in den USA noch bewusst. Doch nach dem 11. September 2001 und dem Irak-Krieg ging man dazu über, militärische Gewalt und Diplomatie als diametralen Gegensatz zu begreifen – und das nicht ohne Grund. So sah sich zum Beispiel der Diplomat Richard Holbrooke, nachdem er sich Mitte der 1990er Jahre für die USA federführend um die  Beendigung des bosnischen Bürgerkriegs bemüht hatte, als Präsident Obamas Sonderbeauftragter für Afghanistan zum „Flügelmann“ von General David Petraeus degradiert. Militärische Macht galt nunmehr als „hart“ und Diplomatie als „soft“, und alles Nachdenken über „integrierte“ und „intelligente“ Macht hat diese falsche intellektuelle Dichotomie noch verstärkt, obwohl es eigentlich dazu dienen sollte, sie zu überwinden.

Anstatt jedoch genau darüber nachzudenken, wie militärische Macht und Diplomatie in Theorie und Praxis wieder zusammenfinden können, negieren wir inzwischen, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat. Wenn wir uns aber über das Wesen der zu bewältigenden Aufgabe Illusionen machen, ziehen wir der Diplomatie den Boden unter den Füßen weg, zumal wenn die unmittelbar am Konflikt Beteiligten glauben, dass sie ihre Ziele mit dauerhaftem Einsatz militärischer Gewalt durchsetzen können. Wer sich dieser Realität verweigert, behindert die Diplomatie und erschwert die Konfliktlösung.

Wenn es uns ernst ist mit dem Wunsch, Konflikte auf diplomatischem Weg zu beenden, müssen wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen, wie militärische Gewalt und Diplomatie sich gegenseitig beeinflussen. Das ist aber nicht möglich, solange wir aus den komplizierten Gleichungen der Außenpolitik eine entscheidende Variable schon ausblenden, bevor wir überhaupt anfangen, über diese Gleichungen nachzudenken.

Aus dem Englischen von Christine Hardung

Die Originalversion des Artikels erschien zuerst beim US-Analyseportal „The Liberal Patriot“.