Es ist wohl eines der kompliziertesten Vorhaben der Ampel-Regierung: Im Koalitionsvertrag vom Herbst 2021 haben SPD, Grüne und FDP sich darauf geeinigt, zur Umsetzung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik erstmalig ein Rüstungsexportgesetz zu verabschieden. Damit soll das historisch bedingte Wirrwarr unterschiedlicher rechtlicher und politischer Grundlagen für den Rüstungsexport beendet und die deutsche Rüstungsexportpolitik auf ein neues, stabileres Fundament gestellt werden. Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat im Frühjahr mit den Vorbereitungen für das Vorhaben begonnen. Interessenverbände, wissenschaftliche Institutionen und Nichtregierungsorganisationen konnten ihre Vorstellungen in Stellungnahmen und Anhörungen vorbringen. Es ist geplant, das Vorhaben noch in diesem Jahr abzuschließen. Außerdem hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verpflichtet, auch auf eine einheitlichere europäische Rüstungsexportpolitik hinzuwirken.

Zeitlich parallel dazu hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine Grundlagen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik erschüttert. Der Bundeskanzler hat im Frühjahr eine „Zeitenwende“ konstatiert, der Bundestag hat mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen eine massive Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen. Auch die Rahmenbedingungen der Rüstungsexportpolitik haben sich verändert. Mit dem Sondervermögen sind die materiellen Möglichkeiten für eine restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik gewachsen. Das russische Verhalten stärkt die sicherheitspolitische Logik einer selektiven Rüstungsexportpolitik, die darauf ausgerichtet ist, Verbündete in NATO und EU zu stärken und gegenüber Drittstaaten nur in Ausnahmefällen zu Lieferungen bereit zu sein. Auf diese Ziele kann die Bundesregierung nach der Zeitenwende auch in Europa stärker hinwirken.

In der breiten Öffentlichkeit werden die Folgen des Krieges in der Ukraine oft als Signal für eine weniger restriktive Rüstungsexportpolitik wahrgenommen.

In der breiten Öffentlichkeit werden die Folgen des Krieges in der Ukraine allerdings oft anders wahrgenommen – als Signal für eine weniger restriktive Rüstungsexportpolitik. In der hitzigen, von Spekulationen und Verdächtigungen geprägten Diskussion über Waffenexporte an die Ukraine entstand häufig der falsche Eindruck, dass mit der Lieferung an einen Kriegsbeteiligten ein grundsätzlicher Wandel der deutschen Rüstungsexportpolitik verbunden sei. Tatsächlich sind solche Lieferungen aber in der Vergangenheit bereits häufiger erfolgt, insbesondere an Verbündete wie die USA und Großbritannien, aber in seltenen Fällen auch an Kriegsbeteiligte in Drittstaaten – die Unterstützung der kurdischen Peshmerga im Irak ab 2014 ist der bekannteste Fall. Solche Lieferungen sind auch durch die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Rüstungsexport abgedeckt. Dort werden Rüstungsexporte an Empfänger, die unter den Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen fallen, der das Recht auf nationale Selbstverteidigung festschreibt, ausdrücklich als Ausnahme von der beabsichtigten Restriktivität gegenüber Drittstaaten festgeschrieben. Die nun getätigten Waffenlieferungen an die Ukraine sind zwar sowohl quantitativ wie qualitativ umfangreicher als frühere Rüstungsexporte an kriegsbeteiligte Drittstaaten, aber weder prinzipiell, noch was die Praxis der deutschen Rüstungsexportpolitik angeht, eine Novität. Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine zeigt die Sinnhaftigkeit der vorhandenen Regelung zur Unterstützung des Rechts auf Selbstverteidigung, die einer prinzipiell restriktiven, aber international verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik entspricht.

Ebenfalls problematisch sind manche Schlussfolgerungen aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr für die Rüstungsexportpolitik. In den Anhörungen zur Vorbereitung des Rüstungsexportgesetzes im Frühjahr plädierten einige der eingeladenen Rüstungsfirmen für eine Lockerung der Exportvorschriften, um damit die Wirkung dieses Finanzpaketes zu erhöhen. Zentrales Argument war, dass wünschenswerte Gemeinschaftsproduktionen mit anderen EU- und NATO-Mitgliedsstaaten nur dann zu realisieren seien, wenn Deutschland Exporte gemeinsam produzierter Systeme weniger restriktiv handhabe. In der Tat haben in der Vergangenheit unterschiedliche Exportvorschriften, etwa zwischen Deutschland und Frankreich, zu politischen Verstimmungen und Verzögerungen bei Gemeinschafsvorhaben geführt. Letztlich hat sich dann in der Regel der Staat durchgesetzt, dessen Verhandlungsposition stärker war, insbesondere weil sein finanzieller Beitrag größer war.

Das Argument aus der Rüstungsindustrie ist nicht nur sicherheitspolitisch kontraproduktiv, es greift auch in Bezug auf die Kooperationsmöglichkeiten in Europa zu kurz. Mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen steigt die Verhandlungsmacht Deutschlands in Verhandlungen über Gemeinschaftsvorhaben. Zudem sinkt mit den Steigerungen der Beschaffungshaushalte in praktisch allen EU- und NATO-Mitgliedsstaaten auch dort der ökonomische Druck, durch Rüstungsexporte Produktionskapazitäten auszulasten. Die wirtschaftlichen Grundlagen für die Schaffung einer europäischen Rüstungsindustrie haben sich verbessert; was weiterhin fehlt, ist das Setzen nachhaltiger politischer Rahmenbedingungen, wozu nicht zuletzt auch eine verantwortungsvolle europäische Rüstungsexportpolitik zählt.

Leitlinie für die europäische Rüstungsexportpolitik sollte sein, dass ökonomische Gründe keinen Rüstungsexport in Drittländer rechtfertigen.

Der zu erwartende Boom für die Rüstungsindustrie eröffnet die Möglichkeit, mit dem Trend zu brechen, dass ein immer größerer Teil der deutschen – in den letzten Jahren etwa die Hälfte – und europäischen Rüstungsgüter (hier liegt der Anteil noch höher) in Drittländer geht. Stattdessen werden die Bedingungen für eine europäische Rüstungspolitik verbessert, die eine starke europäische Rüstungsindustrie, die unabhängiger von den USA und vorrangig auf den heimischen Markt ausgerichtet ist, mit einer restriktiven europäischen Rüstungsexportpolitik verbindet. Die Bundesregierung sollte das wirtschaftliche Potenzial des Sondervermögens nutzen, um gegenüber Partnerstaaten wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien ihre Vorstellungen einer restriktiven Rüstungsexportpolitik zumindest in Gemeinschaftsvorhaben durchzusetzen. Der in den politischen Grundsätzen der Bundesregierung formulierte Grundsatz, dass ökonomische Gründe keinen Rüstungsexport in Drittländer rechtfertigen, sollte Leitlinie für die europäische Rüstungsexportpolitik insgesamt sein, mindestens jedoch für die Gemeinschaftsvorhaben mit deutscher Beteiligung.

Interessanterweise besteht schon seit mehr als zwei Jahrzehnten eine vertragliche Grundlage für diesen Ansatz. Der im Jahre 2000 geschlossene Vertrag zwischen den sechs Staaten mit den wichtigsten europäischen Rüstungsindustrien, das „Farnborough-Abkommen“, regelt, dass Rüstungsexporte an Drittstaaten aus Gemeinschaftsvorhaben nur im Konsens der am Vorhaben beteiligten Staaten erfolgen. Das Abkommen ist allerdings bisher in keinem konkreten Einzelfall angewendet worden. Die Bundesregierung hat regelmäßig den Drohungen, insbesondere aus Frankreich, nachgegeben, bei einem Gemeinschaftsvorhaben nur mitzumachen, wenn man eigenständig über Exporte entscheiden könne. Das Sondervermögen stärkt die wirtschaftliche Verhandlungsmacht Deutschlands zur Umsetzung des Farnborough-Abkommens. Die Bundesregierung sollte diese in der Zukunft nutzen und zur Verdeutlichung dieser Position die Export-Regelungen des Farnborough-Abkommens im vorgesehenen Rüstungsexportgesetz verankern.

Nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine restriktive deutsche und europäische Rüstungsexportpolitik, sondern auch deren sicherheitspolitische Logik hat sich mit der Zeitenwende geändert. Bisher waren deutsche und europäische Rüstungsexporte in Drittstaaten – soweit sie überhaupt von sicherheitspolitischen Überlegungen und nicht nur von ökonomischen Zielen geprägt waren – auf gute Beziehungen mit den Regierungen ausgerichtet (egal welcher Art des politischen Regimes), solange diese nicht in massiver Weise Menschenrechte verletzten. So konnten Saudi Arabien, Algerien oder die Vereinigten Arabischen Emirate mit zu den wichtigsten Abnehmern von deutschen und europäischen Rüstungsgütern werden.

Autoritäre Regime mit Waffen zu versorgen, ist ein Spiel mit dem Feuer.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die vorrangige Bedeutung des politischen Regimes eines potenziellen Empfängerstaats von Rüstungsexporten deutlich gemacht. Autoritäre Regime, insbesondere wenn sich die Macht der Herrschenden vorrangig auf den Sicherheitsapparat stützt, neigen zu Aggressivität auch nach außen. Solche Regime mit Waffen zu versorgen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Zudem sind Rüstungsimporte in solchen Staaten häufig mit Korruption verbunden, deren Früchte wiederum zur Stärkung der Herrschaft eingesetzt werden können.

Bisher spielt weder in den relevanten deutschen Gesetzen noch in den politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport die Frage der Art des politischen Regimes eine Rolle. Dasselbe gilt auch für den Gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union zum Rüstungsexport. Zwar finden einige der Aspekte des Unterschieds zwischen demokratischen und nicht-demokratischen Staaten, wie etwa die Wahrscheinlichkeit von schweren Menschenrechtsverletzungen, in diesen Regelungen zentrale Beachtung, die Art des Regimes hingegen nicht.

In einigen europäischen Staaten ist darüber diskutiert worden, den Charakter des politischen Regimes in die Liste der zu berücksichtigenden Aspekte bei der Entscheidung über Rüstungsexporte mit aufzunehmen. Am weitesten ist diese Diskussion in Schweden gediehen, wo ein solches Kriterium in die jüngsten Richtlinien zum Rüstungsexport aufgenommen wurde. Der weitergehende Vorschlag einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen in Schweden, den Rüstungsexport an autoritäre Staaten grundsätzlich auszuschließen, wurde jedoch nicht umgesetzt, aus Sorge der Regierung um die wirtschaftlichen Folgen für die schwedische Rüstungsindustrie. Hier könnte die Bundesregierung auf der wirtschaftlichen Grundlage des Sondervermögens einen Schritt weiter gehen, und im neuen Rüstungsexportgesetz Rüstungsexporte an autoritäre Staaten ausschließen – und so wahrlich Vorreiter werden.