Bis mindestens Ende Juni 2015 wird es kein Abschlussabkommen zum iranischen Atomprogramm geben. Dennoch hat die in der vergangenen Woche beschlossene Rahmenvereinbarung von Lausanne weltweit Hoffnungen geweckt. Benjamin Netanjahu warnt zwar, dass der gefundene Kompromiss „das Überleben Israels“ gefährde, doch der erfolgreiche Abschluss des Verhandlungsmarathons sorgt andernorts für Erleichterung. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Rahmenvereinbarung bezeichnete US-Präsident Barack Obama den Deal als eine „historische Übereinkunft“ mit der iranischen Führung, während Frank-Walter Steinmeier von einem „wichtigen Erfolg“ sprach und der iranische Präsident Hassan Rouhani verkündete, dass der Verhandlungserfolg sich in das „historische Gedächtnis der iranischen Nation“ einprägen werde. Auf den Straßen Teherans feierten Hunderte die Rahmenvereinbarung mit Hupkonzerten, geschwenkten Nationalflaggen und Sprechchören für das iranische Verhandlungsteam.
Verhandlungen klammern brisante Streitpunkte aus
Gewiss, das Lausanner Ergebnis ist ein diplomatischer Achtungserfolg. Es bietet erstmals eine realistische Perspektive, den seit 2002 schwelenden Konflikt um das iranische Atomprogramm friedlich und dauerhaft beizulegen. Doch selbst wenn in einigen Monaten ein Abschlussabkommen diese wichtige Perspektive untermauern sollte, gibt es keinen Automatismus zwischen der Lösung des Atomkonflikts und einer generellen Verbesserung der jahrzehntelang von Missgunst und Misstrauen geprägten Beziehungen zwischen Iran und dem Westen.
Obwohl schon jetzt punktuelle gemeinsame Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und Iran bestehen, scheuen sich beide Seiten vor einer offenen Zusammenarbeit.
So beachtlich die diplomatischen Fortschritte in den Verhandlungen auch sind, sie beschränken sich ausschließlich auf das iranische Atomprogramm. Andere Themen wie etwa die iranische Menschenrechtslage oder die aufstrebende Rolle des islamischen Regimes im Nahen Osten, die ihren Ausdruck besonders in tatkräftiger iranischer Unterstützung für den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und die jemenitischen Huthi-Rebellen findet, waren in Lausanne sowie in vorherigen Gesprächsrunden zu keinem Zeitpunkt ernsthafter Gegenstand der mühsamen und intensiven Gespräche. Dies wurde sowohl von US-amerikanischer als auch von iranischer Seite wiederholt bekräftigt. So versicherte US-Außenminister John Kerry am 5. März bei einem Auslandsbesuch in Saudi-Arabien, dem vermeintlich größten regionalen Konkurrenten des iranischen Regimes, dass die Vereinigten Staaten keinen „grand bargain“ mit Iran anstreben würden und dass sich nach dem Abschluss der Verhandlungen „nichts ändern wird hinsichtlich all der anderen Herausforderungen in der Region“. Auch Ali Khamenei, Irans Revolutionsführer, bestätigte in einer Rede am 21. März, dass der Iran „mit den Vereinigten Staaten über keine regionalen Probleme verhandelt“, sondern nur über das Atomprogramm. Tatsächlich hat der Fokus auf diesen einen Streitpunkt den positiven Ausgang der Lausanner Gespräche begünstigt. Anders hätten sowohl die beachtliche Einigkeit der P5+1-Gruppe als auch die Verhandlungen selbst wohl kaum die Ukraine-Krise und die mit den saudi-arabischen Luftangriffen im Jemen immer chaotischer werdende Situation in der unmittelbaren Nachbarschaft Irans Bestand haben können.
Atom-Deal ohne Signalwirkung, Vertrauen fehlt
Während Benjamin Netanjahu, das saudi-arabische Königshaus und die republikanische Opposition in den USA schon seit geraumer Zeit warnen, der Atom-Deal würde das dortige Regime rehabilitieren und eine Vormachtstellung des Iran im Nahen Osten legitimieren, könnte man die mögliche Beilegung des Atomstreits auch als Startschuss für eine Reintegration Irans in die internationale Wertegemeinschaft interpretieren, die erhebliche friedenssichernde Effekte hätte. Plausibel. Doch beide Sichtweisen sind unbegründet.
Auch wenn es tatsächlich zu einem Abschlussabkommen zwischen der P5+1-Gruppe und Iran kommen sollte, ist nicht davon auszugehen, dass sich die Beziehungen zwischen dem iranischen Regime und dem Westen wesentlich verbessern werden. Vieles spricht dafür, dass sich trotz der historischen Dimension der Lausanner Vereinbarung wenig am politischen und ideologischen Einfluss Irans in seiner Nachbarschaft ändern wird, von einer Neuordnung amerikanischer Bündnisse auf Kosten Israels und Saudi-Arabiens ganz zu schweigen.
Der Atomkonflikt selbst ist Folge, nicht Ursache, des fehlenden Vertrauens zwischen Iran und den USA.
Obwohl schon jetzt punktuelle gemeinsame Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und Iran bestehen, scheuen sich beide Seiten vor einer offenen Zusammenarbeit. Das wird nicht zuletzt durch den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) auf irakischem Boden verdeutlicht. Die US-amerikanische Luftwaffe und die von Iran unterstützten schiitischen Milizen führen diesen bekanntlich simultan aber nicht gemeinsam. Zudem werden beide Parteien nicht müde zu betonen, dass die Atomgespräche nicht auf gegenseitigem Vertrauen basieren, sondern dass gerade der Mangel an Vertrauen die strengen Kontroll- und Verifizierungsmechanismen der Rahmenvereinbarung bedingt. Dass selbst die erfolgreiche Umsetzung eines möglichen Abschlussabkommens nur unwesentlich zu einer generellen Verbesserung der Beziehungen führen kann, ist daran abzulesen, dass US-Sanktionen, die sich nicht auf das iranische Atomprogramm beziehen, sondern laut Obama auf „Irans Verhalten hinsichtlich Terrorismus und Menschenrechtsverletzungen“, unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen auch weiterhin bestehen bleiben.
Jahrzehntelanger Antagonismus
Die Beziehungen zwischen Iran und dem Westen sind nicht erst seit Beginn des Atomstreits vor 13 Jahren angespannt, sondern seit der iranischen Revolution von 1979, also schon seit über 35 Jahren. Der Atomkonflikt selbst ist Folge, nicht Ursache, des fehlenden Vertrauens zwischen Iran und den USA. Der Antagonismus zwischen beiden Staaten beruht auf fundamental unterschiedlichen Visionen für die Ordnung im Nahen Osten und die Rolle Irans im komplizierten regionalen Machtgefüge. Er ist zu tief verwurzelt, als dass eine Lösung des Konfliktes um das iranische Atomprogramm für eine generelle Verbesserung der Beziehungen sorgen könnte. Dies richtig einzuschätzen ist die Grundvoraussetzung für das Bewältigen weiterer Stolpersteine, die den Weg zu einer Wiederherstellung freundlicher Beziehungen säumen.