Lesen Sie dieses Interview auch auf Russisch.

Die Fragen stellte Markus Ziener.

Sie haben vor Jahren den Begriff Soft Power geprägt, der im Gegensatz zu Hard Power Macht daran misst, wie attraktiv ein Land für andere ist. Wie ist es um die Soft Power Amerikas nach der Präsidentschaft von Donald Trump bestellt?  

Seine Politik hat die Soft Power der USA ganz erheblich beschädigt. Dies hat vor allem mit seinem Politikstil zu tun. Trump hatte keinen wirklichen Sinn für Strategie, für die Bedeutung des Multilateralismus oder für Institutionen. Seine Außenpolitik war, vorsichtig gesagt, eigenwillig. Im Vergleich mit den meisten anderen amerikanischen Präsidenten der letzten 75 Jahre schneidet Trump daher ausgesprochen schlecht ab. 

Die Erosion des Vertrauens unter den amerikanischen Verbündeten reicht tief. Wie groß ist der Schaden?  

Das wird sich daran messen lassen, wie lange es dauert, sich davon wieder zu erholen. In den 1960er Jahren waren die Amerikaner schon einmal sehr unbeliebt, damals wegen des Vietnamkrieges. In der ganzen Welt gingen die Menschen auf die Straßen und protestierten. Aber innerhalb eines Jahrzehnts hatten die USA ihre Soft Power weitgehend wieder zurückgewonnen. Das lag auch daran, dass die Präsidenten Gerald Ford und Jimmy Carter mit Ehrlichkeit und Redlichkeit überzeugten und Ronald Reagan später mit Optimismus. Die öffentliche Meinung dürfte sich also relativ schnell ändern, wenn die neue Regierung im Amt ist. Aber die Frage bleibt: Wie lange brauchen wir, um das Misstrauen, das sich unter Trump festgesetzt hat, wieder abzubauen? Das werden mehr als ein paar Jahre sein. 

Die ersten Personalentscheidungen, die jetzt bekannt wurden, hören die Europäer gern. Der designierte Außenminister Antony Blinken ist ein Multilateralist, der französische Schulen besucht hat, der Sonderbeauftragte für Klima John Kerry ist ein ehemaliger Außenminister, der die Welt kennt, und der Präsident selbst ist ein langjähriger Freund Europas: Eine solche Mannschaft wäre das genaue Gegenteil von dem, was wir unter Trump gesehen haben. Aber wird ein solches Kabinett nicht auch genau das bestätigen, was das Trump-Lager stets behauptet: Dass Washington wieder von elitären Liberalen regiert wird, die keinen Bezug zum normalen Volk haben?

Diesen Vorwurf können Sie jetzt schon hören. Marco Rubio, republikanischer Senator aus Florida, sagte bereits, dass die von Biden vorgeschlagenen Kabinettsmitglieder Amerika ruinieren würden. Gleichzeitig: Das Team um Biden ist ein Team der Mitte, es ist nicht radikal und es verfolgt eine Politik der Vernunft. Ich glaube, dass dies viele gemäßigte Republikaner ansprechen wird – und dass sie zur Zusammenarbeit bereit sind. 

Unter Präsident Barack Obama gab es außenpolitisch eine Hinwendung nach Asien, unter Donald Trump erlebten die Beziehungen vor allem zu China einen Tiefpunkt. Wie wird die amerikanische Politik gegenüber Asien unter einem Präsidenten Joe Biden aussehen?

Die Amerikaner werden sich auch weiterhin auf Asien und China konzentrieren, schon alleine, weil dort ökonomisch die Musik spielt. Gleichzeitig ist die Region eine Quelle vieler Probleme. Das heißt aber nicht, dass eine Orientierung nach Asien auf Kosten Europas gehen muss. Wenn es um gemeinsame Werte geht, dann gibt es nirgendwo größere Überschneidungen als zwischen Europa und den USA. Wenn beide an einem Strang ziehen, dann sind sie wirtschaftlich und weltanschaulich wesentlich beeindruckender als China – trotz Chinas Wachstum. 

Das Team um Biden ist ein Team der Mitte, es ist nicht radikal und es verfolgt eine Politik der Vernunft.

Was ist nötig, um der Herausforderung China zu begegnen?

Die USA und Europa müssen mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Gemeinsam mit dem technologischen Fortschritt ist das der Motor, um konkurrenzfähig zu bleiben. Hinzu kommt die Bedeutung von Kooperationen. Allein die USA sind international in rund 60 Allianzen und enge Freundschaften eingebunden. China hat davon nur sehr wenige – und bei Partnerländern wie Nordkorea ist dabei nicht mal ganz klar, ob dies ein Vorteil oder eher eine Belastung ist. 

Angesichts des dominanten und autoritären Verhaltens Chinas wird zunehmend von einer notwendigen Abkoppelung von China gesprochen. Ist ein solches „Decoupling“ eine ernsthafte Option? 

Wenn man einfach nur von Entkoppelung spricht, ist das zu pauschal. Ja, es gibt einige Bereiche, in denen wir uns entkoppeln werden und auch sollten. Wenn wir etwa Huawei erlauben würden, bei uns eine Telekommunikationstechnologie der fünften Generation aufzubauen, dann würde das eine enorme Sicherheitsbedrohung für die USA und Europa darstellen. Es wäre deshalb töricht von uns, dies zuzulassen.

Umgekehrt verhängt China ja auch Blockaden.

Ja, da brauchen wir uns nur den Umgang mit Google oder Facebook in China anzuschauen. Diese sperrt man, weil man in Offenheit und freier Rede eine Bedrohung sieht. China hat mit solchen Maßnahmen im Übrigen schon vor rund einem Jahrzehnt begonnen, das reicht also viel weiter zurück als die gegenwärtige Debatte. Solche Beispiele bedeuten aber nicht, dass man eine Entkoppelung der Volkswirtschaften insgesamt anstreben sollte. Das wäre nicht nur enorm teuer. Vor allem aber lassen sich bestimmte Bereiche überhaupt nicht voneinander trennen, etwa ökologische Interdependenzen, wie Klimawandel oder Pandemien. 

Verfügt China über Soft Power?

Für die Felder der Kultur und der Wirtschaft trifft dies in jedem Fall zu. Hier zeigt China große Kompetenzen. Allerdings gibt es in China auch zwei limitierende Faktoren. Zum einen befindet sich das Land in mehreren territorialen Streitigkeiten mit seinen Nachbarn, wie z.B. Japan, Indien oder Vietnam. Es ist natürlich sehr schwer, zum Beispiel in Neu Delhi attraktiv zu sein, wenn an der Grenze im Himalaya gerade 20 indische Soldaten von chinesischen Soldaten getötet werden. Die andere Einschränkung hat mit dem innenpolitischen System zu tun. In China übt die Partei eine immer strengere Kontrolle über die Zivilgesellschaft aus. Dadurch beraubt sich China einer wesentlichen Komponente von Soft Power, nämlich einer lebendigen Zivilgesellschaft. 

Angesichts sinkender Wachstumszahlen muss die kommunistische Partei ihren Machtanspruch mit anderen Mitteln legitimieren.

Ist sich die chinesische Führung dieser Probleme bewusst?

Ich wurde vor einiger Zeit von hohen chinesischen Beamten eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen, wie sie ihre Soft Power verbessern können. Sie konnten meine Analyse durchaus nachvollziehen. Nur: China erlebt gerade einen Wandel des politischen Narrativs. Angesichts sinkender Wachstumszahlen muss die kommunistische Partei ihren Machtanspruch mit anderen Mitteln legitimieren. Also setzt Peking verstärkt auf Nationalismus. Vor diesem Hintergrund fällt es ihnen schwer, auf Grenzstreitigkeiten wie etwa mit Indien zu verzichten. 

Was ist mit der massiven sozialen Kontrolle, die tief in die Privatsphäre eingreift?

Von der können sie ebenfalls nicht lassen, weil es ihnen schlichtweg schwerfällt, zum Beispiel einen Künstler wie Ai Weiwei als Kulturgut zu behandeln, als Pfund, mit dem sich wuchern ließe. Was passiert stattdessen? Die Restriktionen werden noch verschärft. Also: Ja, die chinesische Führung versteht die Probleme, aber sie kann aufgrund ihres politischen Systems nicht viel dagegen tun. China heute funktioniert als System, das auf Markt und Lenin aufbaut, nicht auf Marxismus-Leninismus. Und der leninistische Teil davon, die absolute Kontrolle durch die Partei, ist ihr Herzstück.

Blicken wir auf das transatlantische Verhältnis. Ein Dauerstreitpunkt ist der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Die Trump-Administration hat hier eine zunehmend schärfere Gangart an den Tag gelegt und belegt Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen, mit Sanktionen. Das hat am Ende aber zum Gegenteil dessen geführt, was die US-Regierung beabsichtigt hatte: Die Unterstützung des Projekts wuchs unter den Deutschen. Auch, weil man sich von einem Verbündeten wie den USA nicht derart feindselig behandeln lassen will. 

Ja, das ist in der Tat so. Trumps Ansatz, Freunde wie Feinde zu behandeln, hat beträchtlichen Schaden angerichtet und ist kontraproduktiv. Auch wenn ich persönlich glaube, dass das Projekt von Anfang an nicht gut durchdacht war: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu weit fortgeschritten, um es noch zu stoppen. Wir sollten Nord Stream 2 auch nicht zu einem riesigen Konflikt zwischen den USA und Deutschland werden lassen. Auf anderen Feldern werden sich Deutschland und die USA dafür näherkommen, etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels oder dem Umgang mit dem Iran – nicht aber bei Huawei. Ich sage es nochmal: Ich persönlich würde nicht zulassen, dass Huawei meine Infrastruktur aufbaut, weder in den USA noch in Deutschland. Mit einer Entscheidung für Huawei lassen sich vielleicht ein paar Euro sparen, aber dafür zahlt man einen hohen Preis bei der Sicherheit. 

Deutsche und Amerikaner streiten auch um das von der Nato gesetzte Ziel, dass die Mitglieder der Allianz mindestens zwei Prozent ihres BIP in die Verteidigung investieren sollen. Deutschland liegt weit unter dieser Vorgabe. Lässt sich dieser Konflikt befrieden?

Ich glaube, es gibt bei vielen Amerikanern ein Grundgefühl und das lautet: Jedes Mitglied muss seinen gerechten und angemessenen Teil der Lasten tragen. Wenn es keine Probleme mit Russland gäbe, dann lägen die Dinge vielleicht etwas anders. Aber genau das ist ja eben nicht der Fall, siehe Ukraine. Also werden die Europäer auch weiterhin amerikanische Sicherheitsgarantien brauchen. Ist es dann nicht nur fair, wenn wir sagen: Ihr könntet für die Verteidigung ruhig etwas mehr tun?