Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
In New York hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen den UN-Zukunftspakt verabschiedet. Ist der Multilateralismus jetzt gerettet?
Zumindest gibt es ein Lebenszeichen. Es wäre wirklich ein dramatisches Signal gewesen, wenn die Verhandlungen zum Zukunftspakt nach Jahren der Vorbereitung einfach gescheitert wären. Aber natürlich ist das Resultat ein Dokument der Ambivalenz. Immerhin erleben wir eine Zeit, in der sich Mitglieder des Sicherheitsrats offen feindselig gegenüberstehen. Und nun verabschieden eben diese Staaten ein Dokument, das ein Loblied auf die Zusammenarbeit und die Charta der Vereinten Nationen anstimmt. Da darf natürlich mit Recht gefragt werden, was diese Sprache in der Realität bedeutet.
Klar ist: Auch dieses Dokument reflektiert die geopolitischen Spannungen und die anhaltenden Dysfunktionalitäten der Vereinten Nationen in Zeiten der Konfrontation. Selbst ein Zukunftspakt ist eben in der Gegenwart verortet. In der aber stehen die Zeichen nach wie vor auf Konflikt. Und zur ungeschminkten Wahrheit gehört auch: In den Kriegen in der Ukraine und in Gaza konnten die Vereinten Nationen bislang nicht als Gamechanger in Erscheinung treten. Dies aber bleibt natürlich nicht unbemerkt – ebenso wenig wie westliche Doppelstandards in der Auseinandersetzung mit diesen Konflikten. Dennoch zeigt die breite Zustimmung über Kontinente hinweg eben auch: Es gibt eine kritische Masse für den Multilateralismus, für Zusammenarbeit, und auch das ist nicht geringzuschätzen.
Was sind die wichtigsten Punkte, die der Pakt beinhaltet?
Der Pakt besteht eigentlich aus drei Pakten: dem Hauptdokument mit 56 Aktionen, zu denen sich die Weltgemeinschaft verpflichtet – allerdings natürlich völkerrechtlich nicht verbindlich –, sowie einem Digitalpakt, der vor allem die technischen Herausforderungen der digitalen Entwicklungen zum Beispiel in Sachen Künstliche Intelligenz behandelt, und einem Jugendpakt, der sich insbesondere auf die Interessen der jungen und kommenden Generationen bezieht. Wie bei einem so umfassenden Forderungskatalog nicht anders zu erwarten, ist das Spektrum breit. Es geht um alles: von Frieden und Sicherheit, über UN-Reformen, nachhaltige Entwicklung, Armutsbeseitigung, Diskriminierung und Verschuldung bis hin zum Klimawandel. Es ist wie ein großes Buffet: Für fast jeden ist etwas dabei, aber für fast jeden findet sich eben auch schwer Verdauliches. So erklären sich eben nun auch die unterschiedlichen Bewertungen. Das Glas ist eben immer halb voll oder halb leer.
Oftmals sind Nichtregierungsorganisationen die Einzigen, die Tacheles reden.
Gerade im Bereich Frieden und Sicherheit sowie der Reform des UN-Sicherheitsrats sind die Ergebnisse dabei erwartbar schwach geblieben. Die Sprache ist vage und unkonkret. Etwa das Kapitel zur Reform des Sicherheitsrats war zunächst über Monate aus den Entwürfen ausgespart worden. Am Ende wurde nun ohne Diskussion ein Formelkompromiss eingefügt. Die Ansichten nicht zuletzt zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats liefen so weit auseinander, dass sich offenbar nicht einmal ernsthafte Auseinandersetzungen lohnten. Auf ein paar salbungsvolle, unverbindliche Worte aber konnte man sich dann verständigen.
Deutschland hat mit Namibia bei der Verhandlung des Pakts eine tragende Rolle gespielt. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach auch unmittelbar nach der Verabschiedung vor der Generalversammlung.
Das ist richtig. Nicht zuletzt das Engagement der deutschen ständigen Vertretung hier war enorm. In einem aufwändigen Prozess wurden über Jahre nicht nur diplomatische Gespräche geführt, sondern eben auch zivilgesellschaftliche Stimmen in die Beratungen geholt. Natürlich ist das immer auch eine etwas heikle Angelegenheit. Gerade autoritäre Staaten sehen jedes zivilgesellschaftliche Engagement mit Argusaugen. Denn oftmals sind Nichtregierungsorganisationen die Einzigen, die Tacheles reden. Zugleich ist die UN eben eine zwischenstaatliche Organisation. Manchmal hat es den Anschein, das Vorzeigen von zivilgesellschaftlichen Stimmen soll darüber hinwegtrösten, dass die Unterstützung manch einer Regierung am Ende dann doch eher halbherzig ausfällt – zumal wenn es um die Umsetzung geht.
Im Vorfeld existierten große Unsicherheiten, ob es zu einer Einigung kommen würde. Wo gab es die größten Widerstände?
Die Nervosität in den vergangenen Tagen hier in New York war greifbar. Selbst alte UN-Hasen meinten, es gebe eine nicht triviale Chance, dass der Pakt auf den letzten Metern noch vor die Wand fährt. Bis zuletzt gab es dann auch massive Widerstände, angeführt und orchestriert von Russland, unterstützt von einigen der üblichen Verdächtigen, von Syrien bis Venezuela. Man ist hier in New York einiges gewohnt, was Störtaktiken angeht. Und im diplomatischen Umfeld ist das Augenrollen fast schon chronisch, wenn es um Last-Minute-Kommentare russischer Vertreter in komplizierten Verhandlungen geht. Aber das hier hatte in den vergangenen Tagen dann doch eine neue Qualität. Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, das sich weigert, nukleare Erpressung zu verurteilen? Darauf muss man auch erst mal kommen. Dennoch zeigt die Klarheit des Ergebnisses dann auch, dass die Widerstände eben nur eine Minderheit der Minderheit repräsentieren. Der Störversuch Russlands im Vorfeld der Verabschiedung wurde jedenfalls von einer klaren Mehrheit der vertretenen Staaten zurückgewiesen.
Was bedeuten die Ergebnisse für die Zukunft der UN?
Die Vereinten Nationen haben ein Lebenszeichen ausgesandt. Nicht mehr und nicht weniger. Auch ein solcher Reformgipfel kann die strukturellen Blockaden der Gegenwart eben nicht im Hauruck-Verfahren beseitigen. In vielerlei Hinsicht war das Timing natürlich alles, aber nicht optimal. In der herrschenden Großwetterlage konnte schon der Eindruck entstehen, hier passen einige Dinge nicht zusammen: War es der falsche Prozess zur richtigen Zeit? Oder doch eher der richtige Prozess zur falschen Zeit? Doch wie dem auch sei: Jetzt haben wir ein Ergebnis. Und es ist zu erwarten, dass auch konkrete Reformschritte etwa in den internationalen Finanzinstitutionen folgen. Im kommenden Juni etwa wird es in Sevilla auf einer internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung unter anderem um solche Fragen gehen. Auch in Hamburg geht es weiter mit einem Gipfel in Sachen Nachhaltigkeit. Der Summit of the Future – in New York natürlich gerne als SOTF abgekürzt, wie alle UN-Prozesse – ist jetzt schon wieder Vergangenheit. Aber es geht weiter. Und manchmal ist das schon ein Erfolg.