Die Fragen stellten Claudia Detsch und Franziska Korn.

Nach monatelangem Ringen mit der Union ist der Durchbruch gelungen – das Lieferkettengesetz kommt. Warum ist dieses Gesetz so wichtig?

Viele der Produkte, die uns im Alltag begleiten, werden außerhalb Deutschlands oder Europas produziert. Kakao, Kaffee oder Mangos wachsen schlicht nicht in unseren Breitengraden. Unsere Kleidung stammt oft aus Textilfabriken in Äthiopien oder Bangladesch. Unsere Laptops und Handys enthalten seltene Erden, die in Afrika gefördert werden. Unser Leben ist globalisiert, und deutsche Unternehmen produzieren und verdienen überall auf dem Globus. Mit dieser Globalisierung von Wirtschaft geht eine globale Verantwortung einher. Es reicht nicht, wenn Unternehmen Arbeitnehmerrechte in Dresden oder Darmstadt achten. Sie haben auch Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette in Dhaka oder Duala.

Mit dem Lieferkettengesetz regeln wir genau das jetzt erstmals verbindlich. Wir definieren eindeutig und unmissverständlich, dass deutsche Unternehmen Verantwortung für menschenwürdige Arbeit entlang ihrer Lieferketten haben und wie weit diese Verantwortung reicht. Wir stärken damit erstens die grundlegendsten Rechte von Menschen, nämlich das Recht auf Würde bei der Arbeit. Wir verbessern zweitens die Möglichkeiten der Opfer, ihre Rechte vor deutschen Gerichten durchzusetzen. Und wir sorgen drittens für eine Kontrollinstanz, die dem Gesetz zu echter Wirkung verhelfen wird. Das Gesetz schafft also mehr Gerechtigkeit für die Arbeitskräfte weltweit und mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen in Deutschland – und sorgt damit auch für einen faireren Wettbewerb.

Die deutsche Wirtschaft kämpft mit den Folgen der Corona-Pandemie. Warum ist der Zeitpunkt für das Gesetz dennoch passend?

Weil immer der richtige Zeitpunkt für Menschenrechte ist. Sie sind universell und gelten immer. Wenn wir die Tür für diese Diskussion öffnen, stellen wir unser moralisches Fundament zur Disposition. Es geht um 150 Millionen Kinder, die unter widrigsten, manchmal tödlichen Bedingungen arbeiten. Es geht um 25 Millionen Menschen, die Zwangsarbeit leisten. Wir können nicht warten, bis es keine anderen Probleme mehr in der Welt gibt – zumal dieser Zeitpunkt wahrscheinlich nie kommen wird.

Außerdem verlangen wir von den Unternehmen nichts Unmögliches. Es geht um etwas mehr Sorgfalt und Aufwand, den etliche Unternehmen längst freiwillig praktizieren. Tchibo oder auch Ritter Sport zeigen: Es geht, wenn man nur will. Das Gesetz gilt zu Beginn für Großunternehmen mit 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ab dem Jahr 2024 dann ab 1 000 Mitarbeitern. Es gibt somit auch etwas Zeit, um bis zum Inkrafttreten des Gesetzes die nötigen Kontrollstrukturen zu schaffen.

Übrigens haben ja längst nicht nur Menschenrechtsaktivisten, sondern gerade auch Unternehmen von der Politik ein verbindliches Lieferkettengesetz gefordert. Denn damit werden zuvorderst Menschenrechte gestärkt – und zugleich auch der faire Wettbewerb. Anstand darf kein Wettbewerbsnachteil sein, da stimme ich aus ganzem Herzen zu.

Sie sagten es bereits – unsere Güter werden häufig in fernen Ländern hergestellt, diverse Zulieferer sind an der Produktion beteiligt. Eine Kontrolle der Arbeitsbedingungen ist also schwierig, wie auch die Unternehmensverbände nicht müde werden zu betonen. Welche konkreten Schritte sind vorgesehen, um dennoch Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit zu schützen?

Wie gesagt: So schwierig, wie die Wirtschaftsverbände behaupten, ist das nicht. Viele Unternehmen machen das längst freiwillig – und erfolgreich. Sie arbeiten mit Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort zusammen, um die Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten zu überblicken.

Nach dem neuen Gesetz müssen große Unternehmen künftig untersuchen, ob es bei ihrer Produktion zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Es reicht nicht, nur bis zu den eigenen Werkstoren zu schauen. Sie müssen auch ihre unmittelbaren Zulieferer in den Blick nehmen. Und wenn ein Unternehmen informiert wird, dass es bei einem Zulieferer seines Zulieferers zu Rechtsbruch kommt, muss es dem nachgehen – und kann das nicht einfach ignorieren.

Für die Kontrolle wird eine robuste Behörde sorgen: das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Diese soll unterstützen mit konkreten Informationen und Hilfen. Sie wird den Unternehmen aber auch auf die Finger schauen und kann Vor-Ort-Kontrollen vornehmen. Und sie kann bei Verstößen Buß- und Zwangsgelder verhängen, bis zu einer Höhe von zehn Prozent des Gesamtumsatzes. Zudem können Unternehmen, gegen die solch ein Bußgeld verhängt wurde, bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Beides – Bußgeld und Vergabebann – ist auch für große Unternehmen schmerzhaft. Die Unternehmen werden also verpflichtet sein, sich an die Regeln zu halten – und sorgfältig auf Menschenrechte in ihren Produktionsstätten und bei ihren Zulieferern achten.

Das Gesetz setzt vor allem auf Vorbeugung. Wie können Geschädigte gegenüber deutschen Unternehmen zu ihrem Recht kommen, sollte es dennoch zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen kommen?

Mit dem Katalog der Sorgfaltspflichten wollen wir Menschenrechtsverletzungen verhindern, bevor sie überhaupt entstehen. Das ist mehr als nur Vorbeugung, das ist ein sehr strenges Gebot. Genauso wichtig war mir aber, auch denen zu helfen, die dennoch zum Opfer von Sorgfaltspflichtverletzungen deutscher Unternehmen werden. Der Zugang zu Wiedergutmachung und zu einem effektiven Rechtsschutz ist entscheidend beim Kampf für die Achtung der Menschenrechte in der globalen Wirtschaft. Darauf hat auch die Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, stets hingewiesen. Und das ist auch meine feste Überzeugung.

Schon heute können diese Menschen deutsche Zivilgerichte anrufen. In der Praxis spielte das aber bisher keine Rolle, weil ein 12-jähriges Kind aus dem Kongo diese Chance schlicht nicht nutzen kann. Es hat weder die Kenntnisse noch die Mittel, in Deutschland einen Prozess zu führen. Die bisherige Regelung war also der berühmte zahnlose Tiger.

Diesem Tiger geben wir jetzt Zähne – und lösen das Problem durch die Einführung der sogenannten Prozessstandsschaft. Künftig kann das kongolesische Kind Gewerkschaften und Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt, Misereor, Germanwatch oder Oxfam bevollmächtigen, vor deutschen Gerichten für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu kämpfen. Das ist ein echter Fortschritt.

Weltweit werden Gewerkschaften in ihrer Arbeit behindert und angefeindet. Wie kann ein Gesetz in Deutschland dazu beitragen, anderswo die Versammlungsfreiheit zu schützen und Hungerlöhne zu bekämpfen?

Natürlich werden wir mit dem Lieferkettengesetz nicht alle Probleme auf einmal lösen. Kein Gesetz kann das. Einen Beitrag leisten kann es aber. So sollen zum Beispiel alle Bußgelder, die bei Sorgfaltspflichtverstößen verhängt werden, direkt wieder in die Menschenrechtsarbeit fließen – und können damit Gewerkschaften oder Aktivisten vor Ort stärken. Außerdem wollen wir mit dem Gesetz die Arbeits- und Sozialstandards entlang der gesamten Lieferkette stärken. Das fördert stabile und langfristige Arbeitsverhältnisse und kommt so der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder zugute. Und im Lieferkettengesetz ist ausdrücklich der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“ verankert. Unternehmen werden ermutigt, sich nicht aus Regionen mit schwachen Standards zurückzuziehen, sondern sich vor Ort gemeinsam mit ihren Zulieferern um eine Risikominimierung zu bemühen.

Im Übrigen können wir seit vielen Jahren beobachten, wie die Nachfrage nach fair produzierten und gehandelten Waren steigt. Neben guten Gesetzen kommt es immer auch auf verständige Verbraucherinnen und Verbraucher an. Wenn wir darauf achten, wo etwas herkommt und unter welchen Bedingungen es produziert wurde, wenn wir manches einfach nicht kaufen, weil wir es unethisch finden, dann ist das mittelbar auch ein Beitrag gegen Hungerlöhne und Unterdrückung. Denn Produkte, die nicht gekauft werden, werden irgendwann auch nicht mehr hergestellt.

Die SPD hat sich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr auch für eine europäische Regelung starkgemacht. Bringt der Durchbruch in Deutschland jetzt neuen Schwung für dieses Vorhaben?

Die Europäische Union trägt als Friedensprojekt und als weltweit größter Binnenmarkt eine besondere Verantwortung für gute Arbeit weltweit. Mir war daher von Beginn an wichtig, dass wir auch auf europäischer Ebene vorankommen. Das ist während der deutschen Ratspräsidentschaft gelungen. Unter unserem Vorsitz hat der Rat der Europäischen Kommission einen Beschluss zu „Menschenrechten und menschenwürdiger Arbeit in globalen Lieferketten“ gefasst, hinter dem alle 27 Mitgliedsstaaten stehen. Für mich ist das einer der großen Erfolge der deutschen Ratspräsidentschaft.

Umso mehr begrüße ich, dass der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments kürzlich einen Vorschlag für ein solches europäisches Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht hat. Auch EU-Justizkommissar Didier Reynders hat angekündigt, bald einen Vorschlag für ein Lieferkettengesetz zu machen.

Mit unserem nationalen Gesetz stärken wir diesen europäischen Initiativen den Rücken. Wir zeigen: Deutschland als wichtiger EU-Mitgliedsstaat geht voran. Unser nationales Gesetz ist kein Alleingang, sondern es leistet Pionierarbeit.