Dr. Christian Krell ist Direktor des Büros der FES für die nordischen Länder mit Sitz in Stockholm. Von 2006 bis 2016 leitete er die Akademie für Soziale Demokratie der FES. Er ist Lehrbeauftragter der Universität Bonn und Mitglied der Grundwertekommission der SPD.
Die ganz große Zäsur ist bei der Parlamentswahl in Schweden zwar ausgeblieben, doch das Land ist weiter nach rechts gerückt. Die Schwedendemokraten haben die traditionelle Blockpolitik ausgehebelt. Bislang wurden die Rechtspopulisten von anderen Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen. Wird sich daran jetzt etwas ändern?
Zunächst muss man sagen: Die Sozialdemokraten sind nach wie vor die stärkste Partei in Schweden und haben mit 28,4 Prozent ein deutlich besseres Ergebnis als in allen Umfragen vorhergesagt wurde. Sie liegen knapp zehn Prozent vor der zweitgrößten Partei, den konservativen Moderaten. Trotzdem kommt das traditionell starke Blockdenken jetzt wohl zum Ende. Weder Progressive noch Konservative haben eine eigene Mehrheit und eine Minderheitsregierung scheint unwahrscheinlich. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Löfven versucht nun, Mehrheiten über die Blockgrenzen hinweg zu finden.
Sollte das scheitern - können die Schwedendemokraten zur tragenden Säule einer konservativen Minderheitsregierung werden?
Das kann passieren. Der konservative Block in Schweden hat nur dann eine Chance den Ministerpräsidenten zu stellen, wenn sie sich von den Rechtspopulisten tolerieren lassen. Wenn das passiert werden wir wahrscheinlich eine sehr instabile Regierung erleben, bei der die Schwedendemokraten die Konservativen vor sich hertreiben werden.
Die Sozialdemokraten haben ihr schlechtestes Ergebnis seit 100 Jahren eingefahren. Dabei war die rot-grüne Regierungsbilanz durchaus positiv. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, wirtschaftlich steht das Land sehr gut da. Woher kommt das Maß an Unzufriedenheit mit den Sozialdemokraten?
Um das zu verstehen, muss man mit dem manchmal etwas verklärten Schweden-Bild der Deutschen brechen. Auch in Schweden gab es einen deutlichen Abbau des Sozialstaates seit den 1990er Jahren. Die Spaltung der Gesellschaft hat deutlich zugenommen. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen dem ärmsten und dem reichsten Teil der Bevölkerung liegt in Stockholm bei 16 Jahren. Unbefristete und atypische Verträge nehmen zu, der Zugang zum Gesundheitssystem wird als schwierig wahrgenommen, die Infrastruktur im ländlichen Raum ist wachsend ein Problem. In diesem Klima der Spaltung, Angst und Verunsicherung gedeiht der Rechtspopulismus mit einfachen Antworten.
Haben die Sozialdemokraten im Wahlkampf auf die falschen Themen gesetzt?
Nein, zumindest nicht in der Schlussphase. Die Sozialdemokraten haben einen Mix aus klassisch-sozialdemokratischen Themen wie Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Bildung einerseits und Verschärfung im Migrationsbereich und Law and Order andererseits gesetzt. Nachdem sie im Mai eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik erklärt haben sind die Zustimmungswerte für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten nach oben geschnellt. Es war quasi wie eine Bestätigung für die Rechtspopulisten in dem Sinne: Wir haben es ja immer schon gesagt. In der Schlussphase des Wahlkampfs haben die Sozialdemokraten dann sehr auf die Sicherung und den Ausbau des Sozialstaats gesetzt und damit gepunktet und übrigens auch ihre eigenen Mitglieder noch einmal richtig mobilisiert. Das zeigt, dass Migration eben nicht das alles entscheidende Thema ist.
Wie verlief diese Mobilisierung? Welche technischen Besonderheiten gab es?
Beeindruckend war die App der Sozialdemokraten, mit denen sie Wählerinnen und Wähler angesprochen haben. Mit sehr einfachen Mitteln konnte sich hier jeder unkompliziert in der Wahlkampagne engagieren. Nach allem was wir wissen hat das in der Schlussmobilisierung den Sozialdemokraten einen ordentlichen Schub gegeben.
Welche Rückschlüsse sollten die Sozialdemokraten in Europa aus der Wahl in Schweden ziehen, auch im Umgang mit Rechtspopulisten?
Erstens: Das Übernehmen der Positionen des Rechtspopulisten bringt nichts, das stärkt sie nur. Zweitens hilft es nicht, die Rechtspopulisten auszugrenzen und nur als Faschisten zu bezeichnen. Das hilft ihnen dabei, sich als Opfer zu inszenieren. Drittens hilft, sich nicht in die Enge treiben zu lassen und nur über ein Thema zu reden, die Migration, sondern Lösungen für klassisch-sozialdemokratische Aufgaben anzubieten: Arbeit, Bildung, Soziales, auch Familie und mehr Zeit für die Familie.