Dirk Campbell, ein 72-jähriger Komponist und Klimaaktivist, wurde letzten Monat vom Podium der National Conservatism-Konferenz (NatCon) in London gezerrt, weil er versuchte, die Delegierten vor dem Faschismus zu warnen. Er hatte Recht, denn genau das ist das Ziel der neuen Gruppierung, die als NatC bezeichnet wird. Die Konferenz bot nicht nur der britischen Innenministerin Suella Braverman, sondern auch den Tory-Hinterbänklern Danny Kruger und Miriam Cates eine Plattform. Braverman, die asiatischer Abstammung ist, versicherte dem überwiegend älteren, weißen Publikum, dass „weiße Menschen nicht in einem besonderen Zustand der Sünde oder Kollektivschuld leben“.

Cates sagte, eine niedrige Geburtenrate sei die „eine übergreifende Bedrohung“ für „die gesamte westliche Gesellschaft“. Kruger (selbst in Eton und Oxford ausgebildet) wetterte gegen „Intellektuelle und die globalisierte Elite“ und behauptete, die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau sei die „einzige Grundlage für eine sichere und erfolgreiche Gesellschaft“. Während der zweitägigen Konferenz, an der auch Klimaleugner teilnahmen, wurde immer wieder die Rückkehr zur „Tradition“ und zur Liebe zum Vaterland betont. „Konservatismus bedeutet Ordnung“, sagte Braverman, „oder er bedeutet nichts“. Die Konferenz markierte den Beginn eines neoliberalen Nationalismus innerhalb des rechten Flügels der Tories. Inspiriert durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump scheint diese Strömung in der Lage zu sein, die Partei zu zerreißen, sobald sie nicht mehr die Regierung stellt.

In meinem Buch Faschismus – Und wie man ihn stoppt habe ich fünf Säulen der Architektur des modernen faschistischen Denkens untersucht: Erstens die Theorie des Großen Austauschs, die die Einwanderung in westliche Länder als eine Form des Völkermords an weißen Christen darstellt. Zweitens die Stigmatisierung des Liberalismus: Anwälte werden verteufelt, weil sie die Menschenrechte von Flüchtlingen verteidigen, Feministinnen, weil sie angeblich die Fruchtbarkeit unterdrücken. Drittens der Begriff des „Kulturmarxismus“, verbunden mit der Behauptung, die „permissive Gesellschaft“ sei eine Verschwörung der Frankfurter Schule der Nachkriegszeit, um die westliche Gesellschaft zu untergraben. Viertens eine Meta-Politik der ständigen Wiederholung von Verschwörungstheorien und Unwahrheiten, die in den Köpfen der Verzweifelten so viel Verwirrung stiftet, dass sie, wie Hannah Arendt einmal schrieb, „nicht ihren Augen und Ohren glauben, sondern nur ihrer Einbildung“. Und fünftens der „Tag X“ – das Hirngespinst eines kommenden globalen ethnischen Bürgerkrieges, der die Welt in ethnisch homogene Superstaaten neu ordnen und das Ende der Moderne bedeuten werde.

Von diesen fünf Säulen fehlte auf der NatCon-Konferenznur die letzte. Alle anderen wurden implizit, manchmal auch explizit, propagiert. Die Bewegung ist nicht faschistisch. Aber wie in den USA, wo der Nationale Konservatismus geboren wurde (ein rechtsgerichteter amerikanischer Thinktank organisierte die Veranstaltung), hat die Ideologie des modernen Faschismus – die in den Werken von Alexander Dugin, Guillaume Faye und Richard Spencer deutlich zum Ausdruck kommt – begonnen, das Denken dieser neuen konservativen Rechten zu strukturieren.

Für diesen Teil der britischen Rechten war der Brexit nie genug.

Indem sie offene Rassistinnen und Klimaleugner an der Seite einer amtierenden Innenministerin auf eine Bühne stellen, das antisemitische Schlagwort des „Kulturmarxismus“ verwenden und sich an die geistige Architektur der extremen Rechten anpassen, haben die NatCs gezeigt, wohin sie sich orientieren. Die „Incels“, die Teenager, die wegen des Herunterladens von Handbüchern für gewalttätige Angriffe im Gefängnis sitzen, die Leute, die den Buchstaben Z auf öffentliche Gebäude und Hakenkreuze auf jüdische Gräber kritzeln, waren im Saal vielleicht nicht willkommen. Aber Sie können darauf wetten, dass sie zusahen und dass sie auf die Schritte warten, die Braverman und ihresgleichen unternehmen werden, sobald die Tory-Partei nicht mehr am Drücker ist.

Für diesen Teil der britischen Rechten war der Brexit nie genug. Nachdem sie drei Millionen EU-Bürger im Land zu „Anderen“ gemacht hat und eine knappe Mehrheit der Wähler davon überzeugt hat, die Handelsbeziehungen mit dem größten Nachbarn und Partner zu zerstören, versucht sie nun, die philippinischen Krankenschwestern, die sudanesischen Ärzte und die Familien der indischen Studierenden in Großbritannien zu stigmatisieren.

Braverman, die einer Regierung angehört, die einen Großteil ihrer Wachstums- und Sparpläne auf die Ankunft von einer Million legaler Wirtschaftsmigranten pro Jahr gestützt hat, wettert gegen das Konzept der Migration an sich. Sie behauptet, dass die Löhne steigen würden, wenn Großbritannien nur seine außer- und innereuropäischen Migranten loswerden könnte. Doch die gesunkenen Reallöhne sind das Ergebnis einer Politik der Regierung, der sie angehört. Und die von ihr versprochenen hochwertigen Arbeitsplätze können nicht geschaffen werden, weil die Investitionen der Unternehmen nach dem Brexit stagnieren. Die Löhne sinken also, während im Vereinigten Königreich 50 000 LKW-Fahrer, 43 000 Krankenpfleger und 165 000  Sozialarbeiter fehlen.

Die Forderungen der NatCs entbehren jeder wirtschaftlichen Logik, aber diese ist auch nicht nötig. Was sie tun, ist eine Bewegung zu schaffen, die die britische Demokratie desorganisiert und degradiert. Sie stellen eine ständige Quelle für Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie dar, die von den rechten Talkkanälen wie GB News und TalkTV verstärkt wird.

Wie Trump, der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der (noch) ungarische Premierminister Viktor Orbán und ihre Nachahmer sind die NatCs neoliberale Nationalisten. Sie lehnen die Globalisierung ab, nicht aber das unerbittliche Aufzwingen der Marktkräfte auf das gesellschaftliche Leben. Was die Tory-Regierung gerade tut, ist, die Reichen zu retten und die Armen verhungern zu lassen – im Vereinigten Königreich gibt es eine Rekordzahl von 177 Milliardären und etwa 2 500 Lebensmittelbanken. Das setzt voraus, dass Demokratie, Menschenrechte und Medienvielfalt ausgehöhlt werden, während autoritärer Nationalismus und Rassismus normalisiert werden.

Was die Tory-Regierung gerade tut, ist die Reichen zu retten und die Armen verhungern zu lassen.

Dies wird jedoch scheitern. Vor kurzem warf ein liberaler Konservativer, Kulturminister unter David Cameron, den NatCs „Realitätsverweigerung“ vor und warnte sie: „Man muss das Land, in dem man lebt, wirklich mögen und es besser machen wollen, damit die Öffentlichkeit hinter einem steht.“ Die meisten Britinnen und Briten lieben die Gesellschaft, in der sie tatsächlich leben – mit ihren Gay Pride-Paraden, ihren Drag-Acts, ihren Dating-Apps, ihren öffentlichen Saufgelagen und ihren Bahnstreiks.

Es stimmt, dass diese Wirklichkeit aufgrund von 13 Jahren Austeritätspolitik, wirtschaftlicher Misswirtschaft und der selbst zugefügten Wunde des Brexits ein Chaos ist. Aber die britischen Opfer des Neoliberalismus, die bis zu seiner Begründerin Margaret Thatcher zurückreichen, verfügen über mehrere Generationen Erfahrungen mit dem kapitalistischen Chaos. Die Briten sind in der Lage, „trotzdem“ zu leben – und haben in Kneipengärten zur Fußballzeit und in Nachtclubs, die die NatCs wirklich schockieren würden, eine äußerst widerstandsfähige Kultur des Überlebens entwickelt.

Junge Menschen wissen, dass dank der Tories – und unabhängig davon, ob sie eine heterosexuelle Kernfamilie bilden – ihre Chancen, auf Großbritanniens sagenumwobene „Eigentumsleiter“ zu gelangen, verschwindend gering sind. Sie wissen, dass, egal wie viele Geflüchtete Braverman nach Ruanda verfrachtet und wie viele Arbeitsvisa sie blockiert, ihre eigenen Löhne nicht steigen können und lediglich ihre Schulden anwachsen werden.

Sie wissen, dass sie in diesem System nur dann eine Chance haben, wenn sie zusammenhalten – wie die Eisenbahner und Krankenschwestern, die für höhere Löhne streiken. Und da sie das Produkt des britischen Bildungssystems sind, das in der Nachkriegszeit immer die echte Nazi-Wochenschau behandelt hat, erkennen sie Faschismus, wenn sie ihn sehen. Deshalb gab es auf der Konferenz letzte Woche unter all den gescheiterten Historikern und rassistischen Experten so wenige Stimmen aus der Arbeiterklasse und unter den jungen Leuten nur die Internet-Betrüger.

Der liberale Flügel des Konservatismus wurde durch den Brexit so gut wie zerstört.

Kurzum, die NatCs sind dem Untergang geweiht – aber gefährlich. Sobald die Konservative Partei die Macht verliert, werden sie sich mit der gesamten Trump-Agenda antreten – und der nationalen Sicherheitsgemeinschaft ist nicht entgangen, dass diese perfekt mit der Agenda des russischen Präsidenten Wladimir Putin übereinstimmt.

Der liberale Flügel des Konservatismus wurde durch den Brexit so gut wie zerstört. Der für den Brexit eintretende, aber sozialliberale Flügel, der mit dem ehemaligen Premierminister Boris Johnson in Verbindung gebracht wird, ist in seiner Reputation beschädigt. Alles, was die Tories dem Bravermanismus noch entgegenzusetzen haben, wird vom derzeitigen Premierminister Rishi Sunak verkörpert, der sich am besten als Technokratie minus Kompetenz beschreiben lässt.

Es war auffallend, wie weit die Sprache der NatCs letzte Woche von der Realität des Vereinigten Königreichs entfernt war. Dank der jahrzehntelangen enormen Migration, die größtenteils unter den Konservativen stattfand, ist dieses Land eine stark multiethnische und unumkehrbar multikulturelle Gesellschaft. Schwule werden nicht „in den Schrank“ zurückkehren, Frauen werden nicht in die Küche zurückkehren und Schulen – selbst Privatschulen – werden nicht damit beginnen, zu lehren, dass die Sklaverei auch ihre guten Seiten hatte.

Zufälligerweise ist in diesem Monat die Geburt des britischen Faschismus genau hundert Jahre her, als einige Anhänger des italienischen Diktators Benito Mussolini die British Fascisti gründeten. Die faschistischen Bestrebungen wurden seither in jedem Jahrzehnt ihres Bestehens besiegt – und jede Fraktion des Konservatismus, die sich mit ihr verbündet hat, wurde von der Geschichte als verräterisch beurteilt. Trotz seiner Besessenheit von der Vergangenheit scheint der neue rechte Flügel der Tory-Partei unfähig zu sein, daraus zu lernen.

Dies ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer