In ihrem Sondierungspapier stellen die potenziellen Regierungsparteien zu Recht fest: „Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive“. Vier Jahre Trump haben ihre Spuren bei der Rüstungskontrolle hinterlassen. Aber auch unter Präsident Biden ist nicht alles rosig. Vor dem Hintergrund fortgesetzter chinesischer und russischer Aufrüstung müssen neue politische Impulse her, um die internationale Sicherheitsarchitektur zu stärken. In der aufgeheizten innenpolitischen Debatte hingegen wird Sicherheitspolitik allzu oft auf bessere Abschreckung, die Beschaffung neuer Waffensysteme und zusätzliche Rüstungsexporte reduziert.

Die vermutlichen Koalitionäre wollen dagegen auch durch mehr Abrüstung sowie durch Rüstungs- und Rüstungsexportkontrolle die Sicherheit Deutschlands und Europas stärken. Die gute Nachricht ist: Eine neue Bundesregierung kann dies auch. Deutschland kann auch bei politisch besonders kontroversen Themen wie der nuklearen Teilhabe, der Verhinderung des militärischen Missbrauchs von Informationstechnologien und der Kontrolle von Rüstungsexporten politisch gestalten. Eine neue Regierung sollte diese Handlungsspielräume selbstbewusst nutzen.

Deutschland kann auch bei politisch besonders kontroversen Themen wie der nuklearen Teilhabe politisch gestalten.

Weit oben auf der Prioritätenliste steht dabei die Rolle von Atomwaffen in der deutschen Sicherheitspolitik. Das Verteidigungsministerium fordert eine schnelle Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge, um die „Tornado“-Flotte zu ersetzen. Tatsächlich aber werden die „Tornados“ bereits umfassend modernisiert, sodass sie bis mindestens 2030 einsatzbereit bleiben. Die Notwendigkeit einer raschen Entscheidung in der nächsten Legislaturperiode besteht also nicht. Die damit gewonnene Zeit sollte die Bundesregierung nutzen, um zu versuchen, mit Russland zu einer Vereinbarung über eine Reduzierung von Atomwaffen in Europa zu kommen – und gleichzeitig den zentraleuropäischen Verbündeten militärischen Beistand gegen mögliche Bedrohungen aus dem Osten zu leisten.

Damit würde Berlin die Biden-Administration aktiv unterstützen. Das Weiße Haus versucht gegenwärtig, mit Russland ein umfassendes nukleares Rüstungskontrollabkommen auszuhandeln, das alle Atomwaffen erfasst – von den in Europa stationierten russischen Kurzstreckenwaffen bis zu den amerikanischen Langstreckenraketen. Außerdem ist es ein generelles Anliegen des US-Präsidenten, die Rolle von Atomwaffen zu verringern und diese nur noch zur Abschreckung eines Nuklearangriffs einzusetzen – gegenwärtig sollen Atomwaffen auch rein konventionelle Aggressionen verhindern. Die aktive Unterstützung einer solchen neuen Doktrin durch die nächste Bundesregierung wäre nicht nur ein Beitrag zu transatlantischer Geschlossenheit, sondern auch ein positiver Impuls für die im Januar 2022 stattfindende Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags.

Ein zweites Feld ist der Umgang mit unbemannten Waffensystemen – seien sie ferngesteuert oder autonom. Deutschland kann sich für eine internationale Regulierung der Nutzung und Verbreitung von unbemannten Waffensystemen, insbesondere bewaffneten Drohnen, einsetzen. Sollte eine neue Bundesregierung der Bewaffnung der bereits geleasten Drohne „Heron TP“ zustimmen, muss ihr klar sein, dass sie damit letztlich die Entwicklung zu schnelleren, autonomeren Waffensystemen begünstigt. Ein Beispiel für diesen Trend ist das noch zu entwickelnde deutsch-französisch-spanische Kampfflugzeugsystem „Future Combat Air System“, zu dem auch bewaffnungsfähige Drohnen mit autonomen Fähigkeiten gehören sollen.

Sollte eine neue Bundesregierung der Bewaffnung von Drohnen zustimmen, begünstigt sie die Entwicklung zu schnelleren, autonomeren Waffensystemen.

Die schrittweise Entwicklung hin zu autonomen Waffensystemen macht eine Regulierung in diesem Bereich dringend. Denn: Autonome Funktionen bringen zwar militärische Vorteile mit sich, aber es gibt auch rechtliche, ethische und sicherheitspolitische Bedenken. So können diese neuen Waffen beispielsweise die Umsetzung des humanitären Völkerrechts erschweren, die Würde der zum Ziel bestimmten Menschen verletzen oder zur Konflikteskalation führen. Für die Regulierung dieser autonomen Waffensysteme bietet sich ein Möglichkeitsfenster in der multilateralen Rüstungskontrolle. Eine klare Haltung der Bundesregierung zu einem Verbot autonomer Waffensysteme kann neuen Schwung in die entsprechenden Verhandlungen bei den Vereinten Nationen bringen. Das zentrale Kriterium wäre dabei ein Gebot menschlicher Kontrolle über den Gewalteinsatz – ein Prinzip, für das sinnvolle interdisziplinäre Konzepte vorliegen, die in einen völkerrechtlichen Vertrag übersetzt werden können.

Drittens kann die Bundesregierung die Kontrolle des Exports von Rüstungsgütern verbessern. Dazu ist eine Doppelstrategie geeignet, die ein nationales Rüstungsexportgesetz mit Bemühungen für striktere Kontrollen auf internationaler Ebene, insbesondere bei der EU, verbindet. Vorrangiges Ziel sollte es sein, in Zukunft Exporte an Regime zu verhindern, die Menschenrechte massiv verletzen, Kriege gegen die eigene Bevölkerung oder Angriffskriege führen oder die sich an Rüstungsbeschaffungen bereichern. Dieses Ziel ließe sich umso eher erreichen, je größer der Kreis der Exporteure ist, die darauf verpflichtet werden. Aber schon auf EU-Ebene gibt es starke Widerstände gegen eine stärkere Rüstungsexportkontrolle, die vor allem in Frankreich auch in den nächsten Jahren nicht kleiner werden dürften, nicht zuletzt um das Scheitern des U-Boot-Geschäfts mit Australien zu kompensieren. Um eine restriktivere Rüstungsexportkontrolle zumindest für Exporte aus Deutschland verbindlich festzuschreiben, bedarf es eines neuen Gesetzes, das bestehende Lücken und Unklarheiten beseitigt und den Genehmigungsbehörden klare Vorgaben macht. Ein striktes deutsches Rüstungsexportgesetz würde die deutschen Bemühungen auf EU-Ebene unterstützen. Der Verzicht auf ein nationales Gesetz könnte dagegen am Ende der Legislaturperiode dazu führen, dass sowohl auf deutscher wie auf EU-Ebene alles so bleibt wie gehabt.

Ein striktes deutsches Rüstungsexportgesetz würde die Bemühungen auf EU-Ebene unterstützen.

Um Erfolg zu haben, muss die von den möglichen Koalitionären angekündigte Abrüstungsoffensive integraler Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik sein. Sie sollte bei der Analyse aller Problemlagen von Anfang an mitgedacht werden und nicht, wie allzu oft in der Vergangenheit, lediglich als Ergänzung und Feigenblatt dienen. Die Palette rüstungskontrollpolitischer Instrumente ist groß. Sie reicht von Regelungen zur Cybersicherheit bis hin zu einem umfassenden Verbot von Atomwaffen, das von effektiven Verifikationsmaßnahmen begleitet wird. Die neue Bundesregierung sollte diesen Instrumentenkasten nun auch wirklich nutzen.