Die Fragen stellte Philipp Kauppert.

Beginnen wir mit den jüngsten Verhandlungen zwischen den USA und Russland. Wie beurteilen Sie diese Gespräche aus der Perspektive Lettlands – eines Landes, das geografisch nahe an der Ukraine liegt?

Wir alle wollen Frieden in der Ukraine – ein Ende von Leid und Verlusten. Seit drei Jahren hält dieser brutale Krieg an, doch die Ukrainer beweisen bemerkenswerte Widerstandskraft. Jeder Friedensprozess muss sich an ihren Interessen orientieren. Entscheidend ist: kein Abkommen über die Ukraine ohne die Ukraine. Es muss gerecht, nachhaltig und von der Bevölkerung akzeptiert sein. Die territoriale Integrität und Souveränität sind nicht verhandelbar – die Ukraine allein entscheidet über ihre Zukunft, einschließlich einer möglichen EU- oder NATO-Mitgliedschaft. Solche Beitrittsprozesse brauchen Zeit und Konsens, doch das Recht der Ukraine, ihre Bündnisse selbst zu wählen, darf nicht infrage gestellt werden. Verfrühte Zugeständnisse bergen Risiken und müssen mit Vorsicht behandelt werden. Wir unterstützen Friedensbemühungen – aber sie müssen fair sein und die langfristige Sicherheit der Ukraine gewährleisten.

Falls es ein Friedensabkommen gibt, das für die Ukraine – ihre Bevölkerung und Regierung – akzeptabel ist, welche Auswirkungen hätte das auf die osteuropäischen Länder, insbesondere auf Lettland? Würde es langfristig das Sicherheitsrisiko erhöhen?

Ein Friedensabkommen muss sorgfältig geprüft werden. Ein überstürzter Waffenstillstand oder Zugeständnisse auf Kosten der Ukraine könnten Russland ermutigen und künftige Aggressionen begünstigen. Wir kennen Russlands expansionistische Tendenzen – sie haben sich über Jahrhunderte nicht grundlegend geändert. Dennoch gibt es keinen Grund zur Panik. Die Ukraine und ihre Verbündeten haben durch NATO-Zusammenarbeit und kollektive Verteidigungsmaßnahmen Widerstandsfähigkeit aufgebaut. Ein Frieden, der als Sieg für Putin gilt, wäre jedoch ein gefährlicher Präzedenzfall. Russland muss eine strategische Niederlage erleiden, um weitere Eskalationen zu verhindern. Das wird Zeit brauchen, aber die Sicherheit und Souveränität der Ukraine bleiben oberste Priorität. Russland bleibt unser Nachbar – diese geopolitische Realität ändert sich nicht.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben schockiert auf die jüngsten Entwicklungen reagiert. Welche strategischen Optionen haben die westeuropäischen Länder und die Europäische Union jetzt?

Europa muss eine stärkere Rolle bei seiner eigenen Sicherheit übernehmen. In der Vergangenheit hätte es aus Westeuropa oft schnellere und entschlossenere Unterstützung geben müssen. Fortschritte wurden erzielt, doch militärische Hilfe kam oft zu langsam. Deshalb sind verstärkte Investitionen in Verteidigung entscheidend – nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa. Lettland geht mit gutem Beispiel voran: Die Verteidigungsausgaben sind auf über vier Prozent des BIP gestiegen, die Ukraine erhält jährlich 0,25 Prozent unseres BIP an Militärhilfe. Würden alle europäischen Länder diesem Beispiel folgen, ließe sich die Unterstützung für die Ukraine verdreifachen. Auch Dänemark und Schweden zeigen klare Haltung – doch Europa braucht eine breitere, einheitliche Reaktion.

Ein dauerhafter Frieden erfordert Stärke und Solidarität. Die NATO muss geeint bleiben, und alle Mitglieder müssen ihren Beitrag leisten. Politische Führung und Engagement sind entscheidend, um gerechte Verhandlungen zu sichern. Nur mit geschlossenem europäischem Auftreten kann ein nachhaltiger Frieden erreicht werden. In diesem Zusammenhang ist es positiv, dass unsere Politiker Donald Trump besuchen. Am Ende zählt die transatlantische Zusammenarbeit – sie bleibt ein zentraler Pfeiler unserer Sicherheit.

Was erwarten Sie von der künftigen deutschen Regierung in Bezug auf Außen- und Sicherheitspolitik?

Deutschland spielt eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheit. Als zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine innerhalb der NATO und als größte Volkswirtschaft Europas trägt es eine besondere Verantwortung. Trotz erheblicher Beiträge erfolgte die militärische Hilfe oft zögerlich, und Waffenbeschränkungen haben die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine beeinträchtigt. Meiner Meinung nach sollte die Ukraine das Recht haben, militärische Ziele in Russland anzugreifen – eine notwendige Verteidigungsstrategie. Lettland hat diesen Ansatz bereits verfolgt, indem es Drohnen ohne Einschränkungen geliefert hat, unter Wahrung des Schutzes ziviler Ziele.

Meiner Meinung nach sollte die Ukraine das Recht haben, militärische Ziele in Russland anzugreifen – eine notwendige Verteidigungsstrategie.

Die Präsenz deutscher Truppen in Litauen wird geschätzt. Deutschland muss seine Führungsrolle weiter ausbauen – durch Investitionen in die Militärindustrie, multinationale Verteidigungsprojekte und eine stabile europäische Sicherheitsarchitektur. Die Einheit der NATO erfordert faire Beiträge, entschlossene politische Führung und Solidarität. Nur ein geschlossenes Europa kann eine gerechte und nachhaltige Sicherheitsordnung für die Ukraine und den gesamten Kontinent gewährleisten.

Hybride Angriffe im Ostseeraum sind inzwischen an der Tagesordnung. Welche Auswirkungen hat das auf die Sicherheit, aber auch auf die Energiesicherheit und die Energiepreise?

Die baltischen Staaten stehen wegen ihrer Nähe zu Russland vor besonderen Sicherheitsherausforderungen – von hybrider Kriegsführung über Cyberangriffe bis hin zur gezielten Destabilisierung der Grenzen. Wir haben Sabotageakte, die Instrumentalisierung von Migration sowie Angriffe auf kritische Infrastrukturen erlebt. Trotzdem haben wir eine starke Widerstandsfähigkeit aufgebaut – dank regionaler Zusammenarbeit, NATO-Integration und der Verringerung unserer Abhängigkeit von russischer Energie. Der Verzicht auf russisches Öl und Gas war ein entscheidender Schritt, ebenso wie die jüngste Abkopplung vom russischen Stromnetz – ein wichtiger Meilenstein für langfristige Sicherheit. Energiepreise bleiben eine Herausforderung, doch Investitionen in erneuerbare Energien, Infrastruktur und europäische Kooperation können Risiken minimieren und die Energiesicherheit langfristig stärken.

Wie werden die steigenden Energiepreise und die Inflation in Lettland wahrgenommen? Und wie stark ist die lettische Industrie von dieser Situation betroffen?

In jeder Demokratie gibt es Diskussionen, aber in Lettland herrscht derzeit ein klarer Konsens: Sicherheit, Unabhängigkeit und Freiheit haben ihren Preis. Mit steigenden Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP stellt sich nicht die Frage, ob investiert werden soll, sondern wie diese Investitionen finanziert werden. Wirtschaftlich betrachtet hat die Abkehr von Russland keine zusätzlichen Kosten verursacht. Die baltischen Staaten haben bereits seit Jahren keinen Strom mehr aus Russland importiert und sind vollständig in den nordisch-baltischen Markt integriert. Die aktuellen Preisschwankungen sind eher auf die Netzsynchronisation zurückzuführen als auf eine Verschiebung der Handelsbeziehungen. Langfristig bringt diese Unabhängigkeit mehr Stabilität, Sicherheit und wirtschaftliche Effizienz. Die Risiken, sich auf ein Energiesystem zu verlassen, das Russland als Druckmittel nutzt, waren schlicht nicht tragbar – sowohl in geopolitischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Jetzt liegt der Fokus darauf, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und strukturelle Schwachstellen in der Wirtschaft zu beheben.